Materialien 1961
Lieber Herr Brandmüller!
Ob Sie sich fassen lassen können oder nicht als kommunistische Zeitschrift, unabhängig davon möchte ich Ihnen schreiben: die Art und Weise, mit der etwa bischöfliche Worte von Ihnen zerzaust werden, sowie ein P. Leppich (ein mutiger Non-Konformist innerhalb der Kirche!) unverschämt karikiert wird, ist mir noch recht in Erinnerung vom „Stürmer“ und „Schwarzen Korps“. Sie befinden sich also in guter Gesellschaft!!
Studienprofessor Anton Brandmüller, München 22, Widenmayerstr. 8/II
Der quälenden Ungewissheit, “ob (wir uns) fassen lassen können oder nicht als kommunistische Zeitschrift“, würden wir Sie gern entheben; doch ist das gar nicht einfach. Sie – und verschiedene andere Zeitgenossen – glauben, dass contra eine kommunistische Zeitschrift ist. Wir dagegen wissen, dass dies nicht zutrifft. Wer hat nun Recht?
Die CDU/CSU verdächtigt alle, die politisch nicht so denken wie sie selbst, der Sympathie mit den Kommunisten; demnach wären auch wir zusammen mit 55 Prozent anderen wahlberechtigten Deutschen, die ihre Stimmen nicht der bisherigen Allein-Regierungspartei gegeben haben, Kommunistenfreunde. Die SPD wiederum bezeichnet heute jene Kreise als kommunistisch, die weiterhin so denken, wie die SPD noch im vorigen Jahr gedacht hat. Die CDU hatte vor 12 Jahren ein Programm, das der SPD schon 1957 viel zu „links“ war. Demnach müssten sogar die Christdemokraten seinerzeit „kommunistisch verseucht“ gewesen sein.
Die trostlose Einfallslosigkeit, die Primitivität der politischen Argumentation in der Bundesrepublik geht zwar so weit, auch Weiß noch für Rot zu erklären, nur weil es nicht schwarz ist – sie verleitet aber auch manchmal dazu, rot zu sehen, sobald man Schwarz sieht, und auf jeden Fall schwarz zu sehen, wenn man die bei uns betriebene Politik betrachtet.
Wir stehen mit unserem Verstand im Gegensatz zu dem hierzulande so geliebten „gesunden Menschenverstand“, der mit der blödsinnigen Schwarzweiß-Malerei der Boulevard-Presse, den Wochen- und Tagesschauermärchen wieder zu voller Lebensgröße hochgepäppelt worden ist. Was uns so betroffen macht, ist die Tatsache, dass er sich weder vom „gesunden Menschenverstand“ zu Kaiser Wilhelms Zeiten unterscheidet noch von jenem, der uns in den Zusammenbruch von 1945 geführt hat. Wenn wir also weiterhin versuchen werden, einen anderen, einen wirklich gesunden Verstand bilden zu helfen, dann in aufrichtiger Sorge um unser Volk – im Sinne der Mehrheit also, die immer noch jenem „gesunden Menschenverstand“ huldigt, den wir nur als geistige Verwirrung ansehen können, dank dem wir aber zur ungern gelittenen Minderheit gestempelt werden, zur Anhängerschaft der DFU, zu „Kommunisten“ also.
Nach Marx wäre Kommunismus aber eine Gesellschaftsordnung, in der jeder erhält, was er braucht, und jeder nur das tut, wozu er körperlich oder geistig fähig ist. Ob eine derartig hochstehende Gesellschaft jemals erreicht werden kann, darüber lässt sich streiten; Tatsache ist nur, dass viele Menschen sich für dieses Ziel bisher begeisterten und dafür zu kämpfen und zu sterben bereit waren. Wenn das der Bundeskanzler wüsste, würde er vielleicht sagen: „Ich verston dat zwar nich janz, aber eijentlich, meine Damen und Herren, wär dat vielleicht jar nicht so fies!“ Doch kann Herr Adenauer das wahrscheinlich ebenso wenig wissen wie die Masse unserer Bundesbürger, weil die Schriften von Marx, Engels und Lenin ja zu den ganz wenigen „längst überholten und widerlegten“ Schriften gehören, die es nirgends zu kaufen gibt. Zur Befriedigung des „gesunden Menschenverstandes“ reichen die Werke der Herren Ernst Wiechert, Hans Carossa und Rudolf G. Binding allerdings aus, die überall zu haben sind, obwohl sie längst in die Mottenkiste gehören.
Ein Wort noch zum Nonkonformisten-Pater Leppich: Nonkonformismus an sich ist noch nichts Positives; alle Asozialen sind nonkonformistisch! Bis vor kurzem soll es Kannibalen-Stämme gegeben haben, deren Jungvermählte im trauten Familienkreis zänkische Schwiegermütter am Spieß brieten – jedoch nur an bestimmten Feiertagen; so streng waren dort die Bräuche. Andernorts gab es Menschen, die ihre Toten den Geiern zum Fraß vorwarfen, durchaus nonkonformistisch (gemessen an den Sitten der Mehrheit der Menschen), gleichzeitig aber auch rationell, weil sie sich die Beerdigungen ersparten mit dem oft so lästigen Zwang, tiefe Trauer wegen des verblichenen Anverwandten zu heucheln, auf dessen Nachlass man schon so lange wartete. Nonkonformistisch und rationell: ein Zeichen von Menschlichkeit (in unserem Sinne), ein Zeichen von Kultur (in unserem Sinne) sind diese Bräuche nicht. Vom Nonkonformismus zum Zynismus führt häufig nur ein Schritt. Wo der Nonkonformismus – wie im Falle Leppich – dazu nur eine Variante des Konformismus darstellt, wird er stets auf den Widerstand der Einsichtigen stoßen.
Was Sie in punkto „Stürmer“ und „Schwarzes Korps“ geschrieben haben, werden wir überprüfen müssen, denn wir haben nur wenige dieser Blätter gelesen. Was wir dort lasen, stimmte allerdings vielmehr mit Leppichs Worten überein, mit denen wir gar nicht übereinstimmen können. Und wenn Sie, schließlich, seinen „Mut“ lobten, so dürfte es kaum jener sein, der Männern wie Frauen zu eigen sein kann, sondern eher jener, wie er in dem Todesmut vieler Soldaten zum Ausdruck gekommen ist, die in Augenblicken schrecklicher Angst ganz und gar in Aktion traten, mit Armen und Beinen, mit Darm und Blase, mit Stimmbändern – und mit dem Maschinengewehr.
Wenn Ihnen, lieber Herr Brandmüller, dies alles zu verrückt erscheint, dann gestehen Sie uns – in Ihrer Eigenschaft als Religionsprofessor – wenigstens zu, dass „selig sind, die geistig arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich“. Sie können uns also den Weg in den Himmel nicht verpatzen, und wenn Sie fortfahren sollten, uns zu verleumden, könnten wir nur vermuten, Sie seien eher ein Brandstifter denn ein Brandmüller.
Rolf Gramke
Contra 14/1961, 43 ff.