Materialien 2013
Der Sommer kommt nach München
Es war kein Aprilscherz, wenn man zu Ostern diesen Jahres lieber das Weihnachtsoratorium auflegen mochte. Doch nun kann es als ernsthaft und gesichert gelten: Am 1. Mai kommt der Sommer. Frühling fällt wahrscheinlich aus. Freilich kommt auch der Sommer etwas spät. 1914 wäre er gerade zur rechten Zeit gewesen: Im August ging’s zwar damals erst richtig los, sollte aber dafür bis Weihnachten vorbei sein.
Verrechnet! Es kam anders: Der Krieg, der für die deutschen Generalstäbler so hoffnungsvoll begonnen hatte, fraß sich schnell fest im Stellungskampf. Nichts ging mehr vorwärts, trotz immensen Materialeinsatzes und gigantischem Blutzoll. Dabei war „das Stahlbad“ so umsichtig vorbereitet worden, nicht nur militärisch mit dem schneidigen Sichelplan von Schlieffen, sondern nicht zuletzt auch politisch und publizistisch von der Sozialdemokratie. Sie hatte Kriegskredite bewilligt, und sie hatte den deutschen Arbeitern, die zu den Waffen gerufen werden sollten, die Einwilligung zum kollektiven Morden und Totschlagen durch den Hinweis zu versüßen versucht, dass das despotische Zarenregime noch viel grausamer zu den russischen Klassenbrüdern sei als das wilhelminische Kaiserreich zur deutschen Arbeiterbewegung. Obwohl es da kaum noch Steigerungsmöglichkeiten gab nach den Sozialistengesetzen. Allein, der Vorwurf, ein „vaterlandsloser Geselle“ zu sein, saß tief. Den galt es zu vermeiden, um jeden Preis – auch wenn der sehr, sehr hoch sein würde.
Also gab man sich Mühe, das Vaterländische hoch zu hängen. Entsprechend viel Girlandenprunk und Fahnengeknatter mit Blasmusik und Glockengeläut beschwingte die abfahrenden Truppentransporte am 1. August. Wie gesagt, es war Sommer. Widerspruch war selten, und endete meist im Gefängnis. Zwei verlorene Weltkriege später traut sich der Sommer nun schon am 1. Mai, und kündet vermutlich ähnlich Dümmliches wie dunnemal: Das Ansehen des Soldaten in der Gesellschaft müsse verbessert werden. Nein, kein völlig neuer Krieg stünde unmittelbar bevor, doch die Kriege laufen bereits an den verschiedensten Fronten, seit Jahrzehnten, wie selbstverständlich längst wieder mit deutscher Beteiligung. Da braucht es freilich auch Gewerkschaftsführer, die dem nicht entgegenstehen, sondern endlich an vorderster Front mal mittun, die Lage der Truppe aufzubessern. Ohne Widerspruch. Ohne kleinliche Vorbehalte. Dummerweise hat sich ausgerechnet der Militärminister de Maizière beim Bundeswehrverband ins Abseits manövriert mit seiner Schelte, deutsche Soldaten gierten zu sehr nach Anerkennung. Pfui Deibel! Und das vom Obersten Heeresführer – verheerend! Da gilt es beizuspringen mit zivil-gewerkschaftlichen Entlastungsangriffen.
Der Sommer schafft das. Er bringt es fertig, den Kriegsminister in die DGB-Zentrale einzuladen und ihm zu versichern, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund zum Soldatischen stehe. Auch wenn der Soldat nicht mehr stehen sollte, sondern gefallen ist. Dann erst recht. Es gilt das Image der Bundeswehrmacht generell aufzupolieren. Es geht nicht mehr so weiter, dass Killerberufe derart schändliches Ansehen genießen. Klar muss auch mehr Lametta her: Die „Rüstungs-Verdienst-Medaille“ für unterbezahlte BundeskanzlerInnen, das „Werben-fürs-Sterben“-Kreuz für unermüdlichen Rekrutierungseinsatz an Schulen, auf Messen und in Arbeitsagenturen, und für vielversprechenden Bakteriologen-Nachwuchs bei „Jugend forscht“ der in Olivgrün gehaltene „Mili-Bio-Orden“, das klänge zeitgeistig, umweltverträglich und wäre nicht einmal eine Lüge: Ist ja auch tatsächlich „Bio“ drin.
Auch die selbstlos im Hintergrund Werkelnden sollten nicht immer vergessen werden, beispielsweise die unermüdlichen Instandsetzungs-Mechaniker. Für sie wäre die „Verrostete Panzerkette am Keilriemen“ ein kleiner Trost, dass sie so selten schießen dürfen. Besonders gastfreundlichen türkischen Kasernenkantinenköchen winkt das „Goldene Krautwickerl“. Kavallerie gibt’s keine mehr, sonst könnte man in den Reiterregimentern noch die „Pferdefleisch-Plakette“ verteilen. Für abgewickelte MAD-Veteranen den „Geschredderten Schlapphelm“ in Plexiglas gegossen. Auf jeden Fall: Mehr Orden fürs Morden! Und natürlich auch: Mehr Kröten fürs Töten. Weil: Gute Arbeit, guter Sold. Mit solchen Sommer-Kampagnen hätten sich locker zwei Weltkriege gewinnen lassen.
Landsknechtschaft muss sich wieder lohnen. Der DGB vertritt schließlich auch die Interessen von Zivilangestellten bei der Bundeswehr sowie die der Belegschaften von Rüstungsbetrieben. Wie würden denn die auf gewerkschaftliche Forderungen nach Rüstungskonversion reagieren?! Das war tatsächlich mal. Nach dem Krieg, dem zweiten großen, der noch desaströser geendet hatte als der erste. Da haben sie aus Stahlhelmen Kochtöpfe gepresst und aus Patronenhülsen Blumenvasen gedengelt. Zwangsweise. Da war praktisch kaum was verdient damit. Die Losung der Gewerkschaften damals lautete: Nie wieder! Was genau nicht wieder, das hat sich der Michi Sommer anscheinend nicht richtig hinter die Ohren geschrieben. Da war er noch zu klein zum Mitschreiben. Aber wenn wir nun mal wieder Kriege haben, dann doch wenigstens: Nie wieder Haubitzen zu Nähmaschinen!
Es sollte schon zeitgemäße High-Tech-Ware sein: Drohnen zum Beispiel; mit denen kann man nämlich nicht nur drohen oder Bienenköniginnen päppeln. Großer Bedienkomfort, sicherer Arbeitsplatz weit ab vom Schuss, prima Arbeitsklima: Wer einen Joystick halten kann und Ballerspiele mag, würde kaum an sich halten können. Deutsche Wertarbeit muss sich wieder rechnen, sagt man herrschenderseits. Und für gute Arbeit ist nun mal der DGB zuständig. Ob er sich das so deutlich zu sagen trauen wird am Marienplatz in München, hängt davon ab, wie stark er befürchten muss, dass ihm das um die Ohren fliegen könnte mit der Militärpropaganda. Nicht zu vergessen: Diverse Einzelgewerkschaften haben kistenweise Trillerpfeifen gebunkert, für den Fall des Falles. Echte Kriegsfeinde darunter, „Panzerknacker“, Brutalpazifisten und gnadenlose Friedenssympathisanten. Die kennen da nichts, die grätschen da rein, zumindest die unteren Ebenen nahe der Basis – notfalls auch unfair, jedenfalls unberechenbar. Guten Flug auch! Vorsicht also vor Rüstungsreklame! Wie heißt es so schön: Eine Schwalbe allein macht noch keinen Sommer – eher eine Bauchlandung. So wie manche Kampfdrohnen-Befürworter eben auch. Besser wär’s wohl, der Sommer fiele aus. Frieden statt Sommer! Denn mit ihm ginge es stramm auf den Herbst zu, und dann käme schon bald wieder Winter. Genug davon!
Wolfgang Blaschka
per Email zugeschickt am 26. April 2013