Materialien 1997

Für die sanfte Revolution 97

„Wie schaut München, eine Stadt der Zukunft, bis zum Jahre 2001 aus?"

Kleine Stadtteile sind autofrei geworden. Gemeinschaftsfahrzeuge stehen zum Beispiel an Mittleren Ring (mit Trambahn).

In jeder der 2.200 km Straßen von München steht wieder eine Baumalle, ältere MitbürgerInnen sitzen auf Bänken oder flanieren auf prunkvoll gestalteten Plätzen, Kinder spielen draußen auf der Straße! Das soziale Wohnumfeld ist besser geworden, die Kommunikations- und Gesprächsbereitschaft unter allen Bevölkerungsschichten hat sich enorm verbessert.

Straßenlaternen, angebracht auf FußgängerInnenhöhe, werfen ein angenehmes Licht. Auf dem aus alten Reifen hergestellten Fahrradbelag mit aufgerauter Oberfläche (gute Haftung auch bei Regen) steuern RadlerInnen ihrem Ziel entgegen. Sie haben es nicht mehr so eilig, weil sie lieber fünf Minuten eher aus dem Haus gehen – ein kurzer Plausch mit Freunden am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen.

Mit durch solarenergie-unterstützte Fahrrad-Rikschas können BürgerInnen bequem und billig vom Stadtzentrum aus jeden Ort von München erreichen – in einer halben Stunde (bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 20 km/h). Die Rikschas sind vollverkleidet; es können bis zu drei Personen einsteigen (plus Fahrer).

Autofahren ist out! In einer Stadt, die alles unternimmt, um Arbeit, Freizeit, Wohnen und Einkaufen wieder in Fußnähe zu bringen und in der alle weiter entfernten Ziele gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und den Rikscha-Taxis zu erreichen sind, kann mensch sehr gut auf sein eigenes Gefährt verzichten. Neue Arbeitsplätze entstehen durch die Straßenrückbauten und Begrünungen, durch den Bau von Gleisanlagen für die Trambahn sowie der Tramzüge selbst. Ebenfalls gibt es an fast jeder Tram- oder Bushaltestelle einen kleinen Kiosk, Tante-Emma-Läden erleben eine Renaissance, die Supermarkt-Hallen auf der „grünen Wiese“ – am Stadtrand – werden für kulturelle Veranstaltungen jeglicher Art genutzt.

Und mit der Fahrrad-Rikscha lässt m.a.n. sich in nur einer halben Stunde dorthin bringen …

Wir wollen, dass der Mensch als Individuum selbst mehr wert ist als ein Automobil. Das heißt also absoluuutes Vorgangsrecht der BürgerInnen vor den Autos! Tempo 30 an Kreuzungen, also im gesamten Stadtgebiet von München ist eine zwingende Forderung hieraus.

Radwegebenutzungspflicht ade! RadlerInnen sollen nicht mehr von der Polizei gegängelt werden, wenn sie aufgrund der eigenen Sicherheit in der Mitte einer Fahrspur auf der Straße fahren.

BürgersteigparkerInnen müssen abgeschleppt werden – in jedem Fall. Autos können und sollen in der 2. Reihe auf der Straße parken! …

Das Gehen in der Mitte einer Fahrspur auf der Straße stellt eine Ordnungswidrigkeit dar; die mit einem Bußgeldbescheid (in der Regel 40.– DM) geahndet werden kann. Nötigungsparagraph 240 entfällt. Zitat BGH: Es liegt … nahe, hier – nicht anders als in den Fällen der Sitzblockade – tatbestandsmäßige Gewalt mit der Begründung zu verneinen, dass das Verhalten des Angeklagten „lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die auf den Genötigten nur psychischer Natur ist (Urteil vom Bundesgerichtshof, Az. 4 Str 283/95, vom 31.8.95)

Auch § 315 b, „schwerer Eingriff in den Straßenverkehr“ ist vom BGH verneint worden. Deshalb: „Der Angeklagte ist für die zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung … zu entschädigen. … Es kann dem Angeklagten nicht als vorsätzliche oder auch nur grob fahrlässige Verursachung seiner Strafverfolgung angelastet werden, dass er … weiterhin an seinen Aktionen festhielt. Dies umso weniger, als er – im Ergebnis zu Recht – von vornherein von der Straflosigkeit seines Verhaltens überzeugt war.“ (Heute fordert die Polizei zwei mal auf, wieder den BürgerInnensteig zu benutzen, wenn sie jemanden auf der Straße gehen sieht. Kommt m.a.n. dieser Aufforderung nach, so erhält mensch keinen Bußgeldbescheid.)

Kreuzungen in der Diagonalen gehen kann ebenfalls einen Bußgeldbescheid (in der Regel 10.– DM) nach sich ziehen.

Weicht mensch in der Mitte einer Fahrspur aus, weil Autos abmarkiert oder durch Verkehrsschilder erlaubt auf dem BürgerInnensteig parken, so dürfte m.a.n. keinen Bußgeldbescheid erhalten! Denn der Mensch ist dem Auto wieder gleichgestellt worden mit Verhandlung BGH vom 31.8.95.

Autoübersteigen kann nicht bestraft werden, solange m.a.n. nichts beschädigt! Kommt eine Delle rein und mensch wird aufgehalten, die Polizei wird gerufen, so wird es mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zu einer Anzeige wegen Sachbeschädigung kommen. In den seltensten Fällen beschwert sich jemand, wenn mensch ein Auto übergeht …

Sie (die BürgerInnen) werden auch die Ampeln bei Rot, Kreuzungen in der Diagonalen gehen.

Und sei es, wenn grad mal kein Auto kommt. Viele Menschen im Kreuzungsbereich fordern die AutofahrerInnen zu größerer Achtsamkeit auf! …

An den beampelten FußgängerInnenüberwegen werden nur wenige damit beginnen, diese bei Rot oder in der Diagonalen zu begehen. Hat aber einmal wer damit angefangen, sind es viele, die es ihm gleich tun! Die Kreuzung wird sich auf einmal in einen von regem FußgängerInnenverkehr beschrittenen Platz verwandeln …

Mensch kann die Straße bei FußgängerInnenrot solange betreten, als dass die AutofahrerInnen noch kein Grün erhalten haben. Ist m.a.n. auf der Straße und sie dürfen losfahren, so können sie halt nicht gleich wie gewohnt aufs Gas treten …


Michael Hartmann, Der Autogeher. AutoBiographie eines AutoGegners. März 1988 bis Juli 1997, München 1997, 162 ff.

Überraschung

Jahr: 1997
Bereich: Umwelt