Materialien 2013
Schön wie das Lächeln der Aufständischen
Es gibt nichts, das so schön ist wie die Gesichter der Aufständischen. Nichts in dieser Welt ist so anziehend, so voller Hoffnung. Kein Journalist, kein Politiker, kein religiöser oder sonstiger Führer wird jemals die Schönheit der Revolte auslöschen oder sie unter Diskursen, die weder Freude noch Verlangen kennen, begraben können.
Es ist zunächst diese Schönheit, die uns im Innern berührt, wenn wir von den Revolten in Nordaf-
rika oder England erfahren. Die Schönheit der Momente, in denen trotz der Ermordeten, Verwun-
deten und Verhafteten die Angst dem Mut Platz macht, die Ausweglosigkeit von der Hoffnung überwunden wird, die Traurigkeit der Wut weicht, das Elend, auf das reine Überleben reduziert zu werden, sich in den Schrei nach Leben verwandelt.
Man könnte sich Fragen über die ökonomischen Verhältnisse in den Ländern, über die Erhöhung der Nahrungsmittelpreise, über die Arbeitslosigkeit, über die herrschenden Regime und ihre Poli-
zeien stellen. Man könnte sich fragen, warum die Revolte angesichts solcher Verhältnisse stets so lange auf sich warten lässt, bis sie endlich ausbricht; wie es unsere Zeitgenossen schaffen, die Ar-
mut und die Unterdrückung, die Eintönigkeit und die Unsicherheiten Jahr für Jahr hinzunehmen, ohne sich zu wehren und ohne auf die verantwortlichen Politiker, Bankiers, Bosse und Bullen los-
zugehen. Zudem könnten wir aufzeigen, wie überall in Europa immer mehr Leute über Bord ge-
worfen werden, dazu verdammt, in Ausschaffungsknästen und Gefängnissen zu schmoren, unter immer härteren Bedingungen der Ausbeutung ausgeliefert, täglich die Autorität in all ihren For-
men ertragend. Man könnte sich fragen …
Aber es wird Zeit, mit dem Jammern aufzuhören. Wir sind viele, hier und sonst wo, die wir uns von dieser Welt in die Ecke gedrängt fühlen, in der einzig das Geld zählt, in der unsere Wohnhäuser immer mehr Elendsvierteln gleichen, in der uns die industrielle Verschmutzung langsam vergiftet. Jetzt, da klar ist, dass sie (das heißt, jene, die sich oben in der Gesellschaft befinden) ihre Ausbeu-
tung und Herrschaft noch weiter vorantreiben werden, erzählen sie uns von einer „Wirtschaftskri-
se“ und rufen uns alle dazu auf, das strenger Werden aller Ebenen des täglichen Lebens zu akzep-
tieren. Doch sie, sie befinden sich in keiner Krise, im Gegenteil, ihre Profite steigen stetig an. Und wer wird, hier wie sonst wo, dazu aufgefordert, den Preis dafür zu zahlen?
Selbstverständlich gibt es Unterschiede zwischen hier und dort, auch wenn die Herrschaft des Geldes keine Grenzen kennt, auch wenn ein Regime, alle Regime, ob demokratisch oder autoritär, immer Unterdrückung, Einsperrung und Ausbeutung bedeuten werden. Aber die Revolte, in all ihrer Schönheit, lässt die Unterschiede zerbersten. Eine niedergebrannte Bank in Ägypten oder England schreit nach einer niedergebrannten Bank in Zürich oder Basel; ebenso wie die Befreiung von Gefangenen durch die Aufständischen in Tunesien nach dem Niederreißen der hiesigen Ge-
fängnismauern schreit; ebenso wie die Tatsache, dass Männer und Frauen Seite an Seite hinter den Barrikaden stehen, danach schreit, der Unterwerfung und dem Patriarchat ein Ende zu setzen.
Was die Revolte nährt, das sind nicht nur, und man könnte fast sagen, nicht so sehr die Elends-
verhältnisse. Nein, der Sauerstoff des Feuers der Revolte ist in allen Sprachen ein Ansatz von Freiheit, dieses Unbekannte, das in dieser Welt so abwesend ist, das aber im Akt des sich Aufleh-
nens stolz zum Vorschein kommt. Von da an kann sich alles zu verändern beginnen.
Lassen wir also all die Analysen der politischen Spezialisten, der Journalisten, Ritter-der-Demo-
kratie und all derjenigen beiseite, die sich bereits darauf vorbereiten, den Platz der Ben Ali’s und der Mubarak’s dieser Welt einzunehmen. Wir sind schlicht auf der Seite jener, die im Maghreb und in den UK und sonst wo wissen, dass Freiheit weder Gesetz noch Sharia bedeutet. Jene, die weder Bosse noch Regierungen wollen, die versuchen wollen, als freie Menschen zu leben. Denn während der Revolte haben sie bereits gekostet, dass es möglich ist – und dass es süss ist.
LIEBE UND MUT AN DIE AUFSTÄNDISCHEN IN ALLER WELT.
LASST UNS AUCH HIER DAS PULVERFASS ENTZÜNDEN:
Einige Aufständische von hier
Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung