Materialien 1987

Zum Rangiermonster

Wir, einige Leute aus verschiedenen Münchner unabhängigen und libertären Gruppen, die bisher eher schwerpunktmäßig am WAA-Widerstand beteiligt waren, wollen mit diesem Flugblatt unsere Argumente gegen den Rangierbahnhof und unsere Kritik an den „Widerstandsparteien“ CSU und SPD sowie auch Kritik an den Grünen und Bund Naturschutz formulieren. Weiterhin wollen wir unsere eigenen politischen Vorstellungen vor allem im Zusammenhang mit Großprojekten und zum praktischen Widerstand dagegen darstellen. Unser Ziel ist es auch, unseren Beitrag zum Widerstand gegen das Milliardenprojekt zu leisten und gemeinsam mit allen Betroffenen den Widerstand weiterzuentwickeln. Es kann auch nicht angehen, dass wir Münchner nur nach Wackerdorf oder sonst wohin fahren und uns um menschenverachtende Projekte in München selbst zuwenig kümmern.

Brauchen wir den Rangierbahnhof?

Unserer Meinung nach ist, auch bei den jetzigen gesellschaftlichen Verhältnissen, der Rangier-
bahnhof völlig überflüssig. Die bisherigen zwei kleineren Rangierbahnhöfe sind kapazitätsmäßig nicht ausgelastet und der Trend läuft auch dahin, dass das Güteraufkommen sich weiter verringern wird. Selbst wenn der Trend wieder von der Straße auf die Schiene laufen würde, was wir befür-
worten würden, reicht die Kapazität der bisherigen Anlagen, die ja noch das 1½-fache leisten können, auf jeden Fall aus. Durch Modernisierung und Systemverbesserung können sich auch noch zusätzliche Kapazitäten ergeben.

Statt Ausbau des Personenverkehrsnetzes und Verbilligung der Tarife (bis hin zum Nulltarif) wer-
den Milliarden verpulvert. Der Mensch wird – wie immer – hinten angestellt. Wenige Kilometer neben dem Großprojekt fährt die S1 teilweise nur im 40-Minutentakt und fühlen sich die Pendler zu Hauptverkehrszeiten wie in einem Viehtransport, in dem nicht einmal die elementarsten Tier-
schutzvorschriften eingehalten werden. Viele sind aus diesen Gründen gezwungen unnötigerweise mit dem Auto zu fahren.

Gerade im sowieso durch Müllberg, Kläranlagen, diverse Kasernen, Rüstungsbetriebe, Versuchsreaktor bei Garching, Atommüllsammelstelle Neuherberg und viele Gewerbegebiete belasteten Münchner Norden soll dieses Monster entstehen.

Ein Grund dafür ist wohl die Bevölkerungsstruktur. Denn im Norden leben zum großen Teil Ar-
beiter, „Ausländer“ und Wenigverdienende, denen die Planer unterstellen, sich nicht effektiv zur Wehr setzen zu können. Sie hoffen, dass die Bevölkerung durch ihre eintönigen, fremdbestimmten Arbeitsbedingungen so abgestumpft ist, dass sie sich alles gefallen läßt. Im Münchner Süden, wo eher Wohlhabende und Reiche wohnen, wird die Natur vergleichsweise geschont. Die, die politisch das Sagen haben, verschaffen sich selbst Vorteile, verdienen an der Arbeit anderer, und scheren sich einen Dreck um die Lebensbedingungen der Unterprivilegierten. Hier werden die sonst so gut vertuschten und wegdiskutierten Klassenunterschiede sichtbar.

Angesichts der weltweiten Naturzerstörung darf einfach keine Grünfläche mehr zubetoniert werden, der Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen muss Einhalt geboten werden, erst recht
im Ballungsraum München.

Wir können uns vorstellen, ein selbstbestimmtes Leben in einer Gesellschaft zu führen, die auf Dezentralität und Autonomie ausgerichtet ist, sich an den tatsächlichen Bedürfnissen der Be-
völkerung und nicht an den Interessen von Staat und Kapital orientiert, in der kapitalistisches Konkurrenz- und Konsumdenken wegfallen. Ohne Überproduktion und sinnlosen Hin- und Hertransport von Waren braucht es Großprojekte wie den Rangierbahnhof nicht mehr, werden sich die Lebensbedingungen der meisten Menschen zum Besseren wenden.

Der etablierte „Widerstand“

Der geplante Rangierbahnhof hat auf den ersten Blick überraschend viele Gegner: Sogar die Stadt München als Delegierte aller Parteien hat vor Gericht gegen das Projekt geklagt. Dass diese Klage nur Show ist, haben schon die Richtet in ihrem Teilurteil verkündet. Wenn die Stadt mit Umwelt-
schutz argumentiert, hätte sie auf ihr Siedlungs- und Gewerbeprojekt verzichten müssen, um glaubhaft zu sein. Ihr Hintergrund ist wohl, dass sie durch Gewerbeansiedlung auf Steuerein-
nahmen hofft und gleichzeitig den Mittel- und Großbetrieben, den die etablierten Parteien CSU, FDP und SPD verpflichtet sind, billige und stadtnahe Flächen zur Verfügung stellen will.

Den Grünen unterstellen wir zwar keinen aus ihrer Sicht unehrlichen Widerstand. Die Grünen bekämpfen zumeist nur Folgewirkungen dieses kapitalistischen, profitorientierten Systems, sie wollen darin noch ihren grünen Vorgarten hegen, sehen und bekämpfen aber nicht die Ursachen der gesamten Misere. Wir wehren uns gegen eine Vereinnahmung des Widerstands zu ihren parlamentarisch-reformistischen Zielen.

Auch mit dem Bund Naturschutz können wir aufgrund seiner hierarchischen, autoritären Struk-
turen und dessen Staatsloyalität nur bedingt zusammen arbeiten. Der BN hat schon vielfach seine Funktion erfüllt und den Widerstand gegen Großprojekte gespalten, wurde zum Handlanger der staatlichen Versuche, Widerstand wieder ins System zu integrieren.

Perspektiven

Soll der Widerstand Erfolg haben, dann dürfen wir uns nicht auf Parteien und hierarchische Orga-
nisationen verlassen. Konkret heißt das, dass wir in vielfältigen selbstbestimmten Aktionen unsere eigene Stärke gegen Staat und DB entwickeln müssen. Wer sich auf die Gerichtsbarkeit verlässt, dem ist nicht mehr zu helfen. Im besten Fall zwingt das Schlussurteil die DB zu geringfügigen Änderungen, aber selbst das ist zweifelhaft. Verhindert wird der Rangierbahnhof auf Gerichtsweg oder über parlamentarische „Mehrheiten“ bestimmt nicht.

Um das Projekt zu verhindern, muss an mehreren Punkten zugleich angesetzt werden. Rodung selbst sollte nicht reibungslos ablaufen. Durch die ständige Präsenz auf dem Platz, vor allem an den Sonntagspaziergängen, wollen wir unseren Protest und Widerstand praktisch ausdrücken. Weiterhin ist auch vermehrte Öffentlichkeitsarbeit in den unmittelbare betroffenen Stadtteilen nötig. Wir sollten uns aber nicht nur auf den Ort der Rodung selbst beschränken, die Bundesbahn soll unseren zünftigen Widerstand zu spüren bekommen. In diesem Zusammenhang lehnen wir aber Aktionen, bei denen Menschen zu Schaden kommen und Unbeteiligte betroffen sein könnten, kategorisch ab.

Großprojekte wurden schon immer im Interesse einiger weniger gegen die Interessen vieler Be-
troffener durchgesetzt. Die Entscheidungen fallen hierzulande immer durch wenige Berufspolitiker und in den Vorstandsetagen der Industrie. Wer das Geld hat, hat die Macht, und wer die Macht hat, hat das Recht.

Der Kampf gegen den Rangierbahnhof muss auch mit dem Widerstand gegen andere Großprojekte zusammenkommen, das Problem Rangierbahnhof darf nicht isoliert gesehen werden, sondern muss im Zusammenhing mit anderen reaktionären Übergriffen und Projekten gesehen werden. Wir müssen innerhalb einer sozialrevolutionären Perspektive handeln.

FÜR EINEN MACHTVOLLEN, SOLIDARISCHEN UND SELBSTBESTIMMTEN WIDERSTAND!
WEG MIT DEM RANGIERMONSTER UND ALLEN ANDEREN LEBENSZERSTÖRENDEN GROSSPROJEKTEN!
DAS SYSTEM MACHT KEINE FEHLER, ES IST DER FEHLER!

Jeden Sonntag Waldspaziergang
Treffpunkt 15.00 S-Bahn Fasanerie

Herausgeber: Einige Leute aus anarchistischen und autonomen Gruppen
V.i.S.d.P.: Christoph Zindel, Landsbergerstraße 275, 8000 München 21, E.i.S.
Kontakt: Libertäre Ameisen c/o Infoladen, Breisacherstraße 12, 8000 München 80,
(Tel. 089/4489638 Dienstag von 17.00 bis 20.00)


Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Überraschung

Jahr: 1987
Bereich: Umwelt