Flusslandschaft 1956

SPD

Kritische Beobachter sehen beim Münchner Parteitag der SPD am 10. bis 14. Juli im Großen Kon-
gress-Saal des Deutschen Museums eine geschickte Parteitagsstrategie am Werk, deren Existenz Parteivorsitzender Ollenhauer in seinem Schlusswort nachgerade abstreitet. Die Delegierten halten sich mit Widerworten auffällig zurück, da „die offiziellen Repräsentanten der Arbeiterbewegung erst dann eingreifen, wenn sie meinen, ein Recht zu haben, beleidigt zu sein. Zudem wird Kritik am Vorstand und seiner Politik in ebenso leichtfertiger Weise mit Verstoß gegen die Partei gleichge-
setzt, wie die Bundesregierung jegliche Kritik an ihrer Politik als einen Angriff auf den demokra-
tischen Staat bezeichnet …“ Klar, die so genannten Linken in der SPD wissen, wenn sie meckern, zerstören sie das einheitlich-schöne Bild, machen sich verdächtig, unbeliebt und ausschlussreif. Kritische Beobachter sind erstaunt über das harmonische Gesamtbild, in dem die Parteiführung einen optimistischen Lobgesang auf die wundervollen Chancen anstimmt, die die aktuell sich vollziehende technisch-industrielle Revolution bereithält, Vollbeschäftigung, höheren Lebensstan-
dard und Arbeitszeitverkürzung, sodass als einzige Aufgabe der Politik gilt, die Konkurrenzfähig-
keit der Bundesrepublik im internationalen Maßstab zu besorgen. „… Eine große Anzahl wirklicher Probleme sind offenbar im Zusammenhang damit schonungsvoll nicht behandelt worden. Die Tat-
sache, dass unter kapitalistischen Bedingungen in dieser neuen industriellen Revolution die Pro-
dukte immer mehr Verbraucher mit immer größeren zivilisatorischen Ansprüchen verlangen, dass der Raubbau an der Natur gewaltigere Formen annimmt und damit die Entfremdung des Men-
schen von sich selbst erst zur höchsten Stufe gesteigert wird, dass der national oder auch kontinen-
tal durch den Zwang zur Kapitalserhöhung erweiterte Konkurrenzkampf um die Märkte der unter-
entwickelten Völker verschärft und der einst von Marx behauptete Prozess der Durchkapitalisie-
rung der Erde nun doch Wirklichkeit wird, dass damit erhöhte Krisen- und Kriegsgefahren ent-
stehen, diese andere Seite der Entwicklung, die uns eben bei Aufrechterhaltung von privaten, anonymem oder staatlichem Kapital doch der Barbarei entgegentreibt, wenn nicht die Menschen die gesellschaftlichen Vorbedingungen umwälzen, diese eigentlich revolutionäre Aufgabe einer sozialistischen Bewegung wurde offenbar nicht erkannt …“1

Es fällt auf, dass auf dem Parteitag kein Protest gegen die Stationierung von US-Atomwaffen erhoben wird. Erst nach dem Wahlsieg der CDU/CSU 1957 reiht sich die SPD in die Bewegung gegen die Atomrüstung ein.


1 Funken. Aussprachehefte für internationale sozialistische Politik 8 vom August 1956, 118 f. Vgl. dazu auch Peter von Oertzen: „Im Schatten der kommenden Bundestagswahlen. Taktik und Kompromiß siegten auf dem Münchener Parteitag“ in: Sozialistische Politik 7 vom Juli 1956, 1 f.

Überraschung

Jahr: 1956
Bereich: SPD