Materialien 1947
Hoch die Verfassung
In Bayern gibt es (seit einiger Zeit schon!) eine Verfassung. Sie ist bekannt als Kind des derzeitigen Justizministers Högner einerseits und des augenblicklichen stellvertretenden Ministerpräsidenten Högner andererseits. Einen titulierten stellvertretenden Ministerpräsidenten gibt es nach der Ver-
fassung des Schöpfers der Verfassung zwar nicht, aber das macht nichts. Es gibt ja nach derselben Verfassung auch keine zwei Staatssekretäre im Kultusministerium und trotzdem sind sie drin.
In einem solchen Fall behilft sich der Jurist mit feineren begrifflichen Schattierungen. Er sagt dann etwa: de jure gibt es nach der Högner’schen Verfassung zwar keinen permanenten stellvertreten-
den Ministerpräsidenten; de facto aber doch. Und bei den Staatssekretären im Kultusministerium ist das ebenso. Es gibt sie nicht (de iure); aber sie sind da (de facto).
Überhaupt ist die Verfassung Dr. Högners – (weit berühmt durch die Wiedereinführung jener Kon-
fessionsschule, die Dr. Högner als Landtags-Abgeordneter in den zwanziger Jahren in fulminanten Reden leidenschaftlich bekämpfte!) – nur für die Untertanen da. Sie müssen sich an die Verfas-
sung halten. Das ist Untertanenpflicht. Was die Regierung mit der Verfassung tut, das ist ihre Sache. Na also!
Davon abgesehen, garantiert die bayerische Verfassung de iure auch noch alles andere Mögliche. Zum Beispiel die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit und sonstige Frei-
heiten. De facto aber ist das komplizierter. Im Artikel 107 z.B. heißt es: „Die Zulassung zu den öffentlichen Ämtern ist von dem religiösen Bekenntnis unabhängig. – Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder … Feierlichkeiten, „gezwun-
gen werden.“ Artikel 137: „Die Teilnahme am Religionsunterricht und an kirchlichen Handlungen und Feierlichkeiten bleibt der Willenserklärung der Erziehungsberechtigten, vom vollendeten 18. Lebensjahr ab der Willenserklärung der Schüler überlassen.“
De jure! De facto aber ist bei uns alles ganz anders. Praktisch – Verfassung hin, Verfassung her – enthebt z.B. Kultusminister Hundhammer (DrDrDr – nach Auswahl!) mit Schreiben vom 21. Februar 1947 den Regierungs-Schulrat Dr. Koller von der Leitung der Schulabteilung bei der Regierung in Regensburg. Gründe gibt der Kultusminister in seinem Schreiben nicht an. Er verschweigt sie schamhaft und hartnäckig und trotz mehrfachen Ersuchens bis heute. Er verfügt! Er verfügt, weil er keine gesetzlichen Gründe hat. Er hat nur stramm ultramontan-autoritäre, parteipolitische Gründe.
Dr. Koller ist examensmäßig hochqualifiziert; dienstlich auch. Er ist als Pädagoge Methodiker und Reformer durch seine Lehrbücher in Bayern und darüber hinaus hochgeschätzt. 80 Prozent der Lehrer seines Kreises stehen hinter ihm. Das alles interessiert Herrn Hundhammer nicht. Deshalb übertrug der Kultusminister Kollers Amt einem Mann, der zwar sachlich weithin unbekannt ist, als katholischer Aktivist dagegen – wenigstens in der Oberpfalz – bekannter ist. Und dieser Umstand ist für den derzeitigen Kultusminister eben entscheidend.
Kultusminister Hundhammer enthob den Regierungs-Schulrat Koller von der Leitung der Schul-
abteilung in Regensburg deshalb, weil der Sohn des Dr. Koller nicht am Religionsunterricht seines Gymnasiums teilnimmt. Das teilte Herr Hundhammer aber bloß dem Landtagsabgeordneten Ort-
loph in Regensburg mit. Dem Regierungs-Schulrat Koller gegenüber schwieg er sich aus; schweigt er bis heute. Den enthebt er und damit basta! Stramm autoritär und natürlich „verfassungsgemäß“.
Und darum: Es lebe die bayerische Verfassung des Dr. Wilhelm Högner!
(Mit gedämpfter Stimme): Hoch!
DER SIMPL
Der Simpl 16 vom September 1947, 198.