Materialien 2011

Geschichte der Wohnungsnot in München

(aus: Radio Lora 1. August 2011)

Ein Gespenst geht um in München: Nicht seit gestern, sondern schon seit Jahrzehnten. Das Ge-
spenst heißt WOHNRAUMMANGEL – genauer gesagt: Mangel an Wohnraum, den Normalver-
diener bezahlen können.

Natürlich begann dieser Mangel mit den Zerstörungen während des 2. Weltkriegs. Nach Kriegs-
ende behalf man sich zum Teil mit dem Bau von sog. „Schlichtwohnungen“. Große Altbauwohnun-
gen wurden aufgeteilt. Zwei, manchmal sogar drei Familien lebten in diesen ehemals komfortablen Bürgerwohnungen, die jetzt nicht mehr komfortabel waren. Obwohl der Wohnungsbau florierte, reichte es hinten und vorne nicht. Die Teile der Münchner Bevölkerung, die während des Krieges auf dem Land und in kleineren Städten gelebt hatten, wollten zurück in die Stadt und der Zuzug von Flüchtlingen tat ein übriges. Das Schlimmste aber war, diese neugebauten Wohnungen waren teuer! Man musste sog. „verlorenen Baukostenzuschuss“ aufbringen und die Mieten waren trotz-
dem noch hoch. Und so blieb es: Die Miete fraß schon damals 30 – 40 % eines Normaleinkom-
mens. Heute sind es 50 – 60 %. Einen Lichtblick gab es nach den Olympischen Spielen. 1973 stan-
den 9.000 Wohnungen leer, davon 6.000 im Olympischen Dorf. Doch diese erfreuliche Situation dauerte nicht lange. München wurde als Wohnort immer beliebter. Es waren mittlerweile hoch-
wertige Arbeitsplätze geschaffen worden, die neue Schichten in die Stadt lockten. Dazu kam der hohe Freizeitwert durch die nahegelegenen Berge und Seen. Demzufolge wurde der Bau von Mietwohnungen zugunsten von Eigentumswohnungen systematisch vernachlässigt. Es gab aus-
reichend gut verdienende Käufer. Auf der Strecke blieben die sozial schwachen und mäßig verdie-
nenden Teile der MünchnerInnen und Münchner, für die Mietwohnungen weiterhin rar und zu teuer waren und blieben. Ende der 70iger Jahre fiel der gierige Blick der Baulöwen und Spekulan-
ten, wie z.B. Jörg Schörghuber und anderer auf die alten Arbeiterviertel Haidhausen, Sendling, Neuhausen und das Westend. Alte Häuser, in denen die Wohnungen billig waren, wurden aufge-
kauft, z.T. den Besitzern geradezu abgeluchst und dann begann das, was heute als „GENTRIFIZIE-
RUNG“ bezeichnet wird. Die Häuser wurden mit brutalen, oft geradezu kriminellen Methoden „entmietet“, was übrigens die Behörden überhaupt nicht interessierte. Die Wohnungen wurden luxussaniert und entweder einzeln verkauft oder sehr teuer vermietet. Die Fassaden erstrahlten in neuem Glanz.

Die alten Mieter, oft ältere und alte Leute, sahen ihre luxuriös gewordenen Wohnungen nie wieder und wurden in Wohnklos am Rande der Stadt untergebracht. So zerbrachen alte Bindungen. Die Menschen, die teilweise in diesen Häusern geboren worden waren, litten schwer unter dem Verlust ihres gewohnten Umfeldes. Doch welchen Investor interessiert schon das Leid alter und sozial schwacher Menschen und Familien.

Der Begriff „Gentrifizierung“ wurde von Soziologen geprägt . Er kommt aus dem Englischen, wo „gentry“ der niedere Adel bedeutet. Stadtviertel werden„veradelt“ = „veredelt“, sowohl was Ambi-
ente, Fassaden, Läden, Lokale anbelangt und die niedrigklassige Population wird durch höherklas-
sige Schichten ersetzt. Soziologen-Deutsch! Damals sagten wir einfach „Mietervertreibung“ und es gab dagegen mehr Widerstand als die Spekulanten erwartet hatten. In vielen Häusern schlossen sich die Mieter zu Interessengemeinschaften zusammen, meistens umfassten die Initiativen meh-
rere Blöcke, oft das ganze Viertel . Politisch nicht unerfahrene Leute, oft Mitglieder der DKP, übernahmen die Rolle der SprecherInnen, fortschrittliche Anwältinnen und Anwälte erteilten kostenlos Beratung, wie man auf juristischem Weg die Vertreibung der Mieter zumindest hinaus-
zögern, manchmal auch verhindern konnte.

Der Höhepunkt des Widerstands war der große Mietersternmarsch am 4.Juli 1981, als 10.000 Menschen aus allen Himmelsrichtungen auf das Rathaus zu marschierten, um ihren Protest der Stadtverwaltung vorzutragen. Aber die Stadtverwaltung sah nichts, hörte nichts und sagte nichts. 1980 waren ca. 16.000 Wohnungssuchende registriert, davon ca. 9.000 dringende Fälle. Trotzdem unternahm die Politik zu wenig, um dem immer üppiger ins Kraut schießenden Spekulantenun-
wesen Einhalt zu gebieten. Zwar steht im Grundgesetz, dass „Eigentum verpflichtet“. Auch in der bayerischen Verfassung heißt es: „Eigentum verpflichtet gegenüber der Gesamtheit. Offenbarer Missbrauch des Eigentums oder Besitzrechts genießt keinen Rechtsschutz“. Aber was bedeutet schon die Verfassung! In Bayern gelten andere, viel ältere Spielregeln: „Der Ober sticht den Unter“ und „Wer zahlt, schafft an“! Und so wird es bleiben, bis das Volk endlich aufsteht und die ganze Kapitalistenbande zum Teufel jagt.


Unser Viertel. Giesing ist fur alle da! Wohnen ist Menschenrecht! 7 vom Winter/2011/12, 3f., www.unserviertel.blogsport.de/zeitungen/

Überraschung

Jahr: 2011
Bereich: Wohnen