Materialien 2013
Revolution in der BMW-Welt
Samstag, 26. Oktober, nachmittags. Sonne dringt durch schlierigen Himmel und legt einen zarten Schimmer hellen Lichts über das Ensemble der Türme, Tore und Kathedralen an der Kreuzung Lerchenauer Straße/Mittlerer Ring. Klassische Musik tönt aus den Hallen der BMW-Welt. Auf dem weiten, leeren Parkplatz steht ein roter BMW. Sein Besitzer umkreist ihn tänzelnd wie ein Liebha-
ber seine Angebetete. Er streichelt sie, kniet vor ihr, fotografiert sie von allen Seiten, ist selig.
Hin und wieder hält ein Bus der Stadtrundfahrt, spuckt Touristen aus, die schnell fotografieren, um dann wie paralysiert noch schneller wieder das Fahrzeug zu entern. Es ist angenehm warm. Aus der BMW-Welt tönen Streicherserenaden.
Der Blick schweift, sieht fantastische Spiegelungen, Splitter von Fassaden, entdeckt ein markan-
tes, bekanntes Gesicht. Du erkennst Albert Einstein, drehst dich um und liest auf der gegenüber liegenden Straßenseite, wozu Revolutionäre heute gut sind.
Zitiert wird Einstein auf diesem riesigen Transparent der Propaganda nicht, aber er wird gefeiert: „Manche Revolutionen entstehen in den Köpfen einzelner. Unsere in den Köpfen vieler. Motor einer neuen Mobilität. BMW Group“
Natürlich denken die Autobauer an den Physiker, wenn sie ihn benutzen. Anderes kommt ihnen gar nicht in den Sinn. Dabei sah Einstein über den Tellerrand seiner Fachgebiete hinaus und bemängelte zum Beispiel am Kapitalismus, dass er der Gesellschaft in ihren Bedürfnissen an
die Wirtschaft nicht gerecht werde:
„Das ökonomische Chaos der heutigen kapitalistischen Gesellschaft ist meiner Meinung nach die eigentliche Ursache des Übels. Vor uns sehen wir eine riesige Gemeinschaft von Produzenten, deren Mitglieder unaufhörlich bestrebt sind, einander die Früchte ihrer kollektiven Arbeit zu berauben – nicht mit Gewalt, aber im Allgemeinen in getreuer Einhaltung der gesetzlich festste-
henden Regeln. Die Produktion ist für den Profit da – nicht für den Bedarf. Es gibt keine Vorsorge dafür, dass all jene, die fähig und bereit sind, zu arbeiten immer Arbeit finden können. Es gibt fast immer eine ‚Heer von Arbeitslosen‘. Der Arbeiter lebt dauernd in der Angst, seinen Job zu verlie-
ren. Da arbeitslose und schlecht bezahlte Arbeiter keinen profitablen Markt darstellen, ist die Produktion von Konsumgütern beschränkt, und große Not ist die Folge. Technologischer Fort-
schritt führt häufig zu mehr Arbeitslosigkeit statt zu einem Milderung der Last der Arbeit für alle. Das Gewinnmotiv ist in Verbindung mit der Konkurrenz zwischen den Kapitalisten für Instabilität in der Akkumulation und Verwendung des Kapitals verantwortlich, und dies bedeutet zunehmende Depressionen.“
Dies habe Einfluss bis hinein ins Bildungssystem: „Unbegrenzte Konkurrenz führt zu einer riesigen Verschwendung von Arbeit und zu dieser Lähmung des sozialen Bewusstseins von Individuen …. Diese Lähmung der Einzelnen halte ich für das größte Übel des Kapitalismus. Unser ganzes Bil-
dungssystem leidet darunter. Dem Studenten wird ein übertriebenes Konkurrenzstreben einge-
trichtert und er wird dazu ausgebildet, raffgierigen Erfolg als Vorbereitung für seine zukünftige Karriere anzusehen … Nach meiner Überzeugung gibt es nur einen Weg zur Beseitigung dieser schweren Übel, nämlich die Etablierung der sozialistischen Wirtschaft, vereint mit einer auf soziale Ziele eingestellten Erziehung: Die Arbeitsmittel werden Eigentum der Gesellschaft und werden von dieser planwirtschaftlich verwendet.“
Allerdings: „Eine Planwirtschaft als solche kann mit der totalen Versklavung des Individuums einhergehen. Sozialismus erfordert die Lösung einiger äußerst schwieriger sozio-politischer Pro-
bleme: Wie ist es angesichts weitreichender Zentralisierung politischer und ökonomischer Kräfte möglich, eine Bürokratie daran zu hindern, allmächtig und maßlos zu werden? Wie können die Rechte des Einzelnen geschützt und dadurch ein demokratisches Gegengewicht zur Bürokratie gesichert werden? … Klarheit über die Ziele und Probleme des Sozialismus ist für unsere Zeit des Überganges von größter Bedeutung. Leider ist bei dem jetzigen Zustand der Gesellschaft die freie Diskussion dieser Dinge durch ein mächtiges Tabu erschwert.“
Zurück zur BMW-Welt. Wie in einem Steinbruch schlagen die Offentlichkeitsarbeiter der industriellen Komplexe aus dem geistigen Fundus unserer Altvordern schamlos Versatzstücke heraus und bauen sie ein in den glänzenden Auftritt ihrer Konzerne. Angeblich sind sie hier genauso genial wie ihr „Vorbild“ und schmücken sich mit fremden Federn.
Tatsächlich warten sie immer erst ab. Nur wenn erkannt ist, dass das Unbekannte sich zum Bekannten gemausert hat, wenn klar ist, hier ist ein Star geboren, der Spitze ist, wird er für
die eigenen Zwecke eingespannt.
Ja, Einstein kann sich gegen Vereinnahmung nicht mehr wehren, wir sollten es können.
Text und Fotos: Franz Gans. Albert Einsteins „Why Socialism?“ wurde erstmals 1949 in der ersten Ausgabe der New Yorker Zeitschrift Monthly Review veröffentlicht. Siehe www.linksnet.de/de/artikel/19102 und www.ag-friedensforschung.de/science/einsteinjahr2.html. Nachtrag: Im Dezember wird das Transparent abgehängt – warum, ist nicht bekannt.