Materialien 2013
Feuer den Knästen!
Silvester: Während sich die ganze Stadt besäuft und in Feierlaune gerät, um schließlich ein paar Stunden ausgelassen herumzuknallen, sich zu beglückwünschen und durch die Straßen zu torkeln, gibt es an jedem Tag und so auch an Silvester immer einige Individuen, die sich nicht an Vorschrif-
ten, Gesetze und den von den Herrschenden diktierten Rahmen des Erlaubten halten. So geschah es dieses Jahr, so wie es international in etlichen Städten seit vielen Jahrzehnten Gang und Gäbe ist, dass sich eine kleine Zusammenrottung von knapp zwanzig Leuten im allgemeinen Neujahrs-
taumel an die riesigen Gefängnismauern Stadelheims in Giesing wagte.
Die Architektur dieses 1.500 Menschen einsperrenden Monstrums verhindert von vorneherein fast jede Kontaktaufnahme mit Gefangenen, da kein Sicht- oder Rufkontakt möglich ist. Der neben dem von Kameras umringten und fast nicht als Knast erkennbaren Frauen- und Jugendknast ge-
legene Männer- und Untersuchungshafttrakt wird von hohen Wachtürmen umgeben, deren pan-
optische Wirkung einem das Gefühl gibt, immer gesehen zu werden.
Um kurz vor Zwölf am Gefängnis angelangt, machte sich der Mob sogleich daran, einen der
Wachtürme ins Visier zu nehmen, und so sah sich das im Turm trohnende Schwein mit etli-
chen auf sich zurasenden Raketen und Böllersalven konfrontiert. Einige Parolen für die Freiheit aller Gefangenen rufend und Knaller über die hohen Mauern werfend, konnte so mächtig Lärm geschlagen werden und Raum für eine gewisse Unübersichtlichkeit und Spontaneität geschaffen werden. Inmitten dieses Tohuwabohus wurden großflächige Parolen wie „Feuer den Knästen!“ an die Knastmauern gesprüht und schließlich dutzende Farbbeutel an die Mauern und den Wacht-
turm geschleudert, die dem Wärterarsch ganz schön die Sicht verdorben haben müssen. Nach einigen Minuten löste sich die wilde Versammlung auf und der kleine Haufen von Knastgegnern verschwand im Dunkel der Nacht und im Chaos der Straßen in den ersten Minuten des neuen Jahres. Bevor die in den Giesinger Polizeikatakomben hockenden Bullen anrücken konnten, waren nur noch Spuren des kleinen Angriffs zu sehen.
Um so höher die Mauern, um so schärfer der Stacheldraht, desto lautere und geschicktere Wege müssen gewählt werden, damit der Versuch, an Isolation, Unterdrückung und Einsperrung zu rütteln und diese zu durchbrechen, auch Gehör findet. Egal wie schnell sie bereinigt werden oder wie klein sie sind, die Spuren betonen für jeden ersichtlich und keiner weiteren Erklärung bedürf-
tig die Dringlichkeit und Notwendigkeit des Angriffs auf die Knastgesellschaft und ihre Fundamen-
te, sie ermutigen jeden gegen diejenigen zu rebellieren, die einem die Freiheit rauben oder es ver-
suchen. Doch um an den Gitterstäben dieser Stadt zu feilen und den eigenen Unmut gegenüber jeglicher Autorität sichtbar zu machen, gibt es tagtäglich und überall Möglichkeiten und Gründe, sich mit zerstörerischen Absichten zusammenzutun. Auch wenn es Vorteile haben mag, im Schat-
ten eines Festes wie Silvester zu handeln, haben wir uns an keine Tradition, an keinen Zeitplan und keine Vorschrift zu halten, wenn wir zuschlagen wollen.
Und die Tentakel der Knaststruktur und ihrer Erhalter und Betreiber erstrecken sich über die Stra-
ßen der ganzen Stadt und sicherlich sind sie auch dort verwundbarer als da, wo sie sich hinter Pan-
zerglas und Stacheldraht verstecken. Angefangen bei den Architekten und Baufirmen, die im Inne-
ren des Stadelheimer Knastes bald einen neuen Hochsicherheitsgerichtsaal errichten bis zu den Profiteuren der Zwangsarbeit im Knast gibt es viele Leute, die Geld daran verdienen oder die es sogar erfüllt, Leute einzusperren und jeglicher Selbstbestimmung und Würde zu berauben.
Auch wenn es in dieser Nacht nur wenige Minuten waren, hat diese nächtliche Zusammenrottung nicht nur Spaß und Mut gemacht, sondern auch einigen Bütteln und Beschützern des Knastes klar gemacht, dass es nicht nur in den Mauern einen Haufen Leute gibt, die eins für sie übrig haben: Wurf- und Fluggeschosse. Ja, auch hier draußen tummeln sich etliche entschlossene Feinde der Autorität, die nur nach passenden Momenten suchen, um ihre angriffslustigen Leidenschaften zu entfesseln.
Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung