Materialien 2014

Christopher Clark auf Schlafwandler-Touren

Wussten Sie, dass es dem britischen Außenminister Sir Edward Grey während der Juli-Krise 1914 wegen eines Augenleidens immer schwerer fiel, „beim Squash den Ball zu verfolgen“ und er nicht mehr in der Lage war, mit bloßem Auge „nachts seinen Lieblingsstern“ am Firmament zu identifizieren?

War Ihnen bekannt, dass es sich beim Außenminister der österreichisch-ungarischen
Monarchie Leopold von Berchtold, um einen „verweiblichten Grafen“ handelte, allerdings verheiratet mit einer Frau, die zu den Freundinnen der Gattin des Thronfolgers zählte?!

Was das alles mit der Entfesselung des Ersten Weltkrieges zu tun hat?
Gar nichts.

Aber Aussagen dieses Kalibers finden sich gehäuft in Christopher Clarks Bestseller „Die Schlafwandler – Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“.

Fragen nach den gesellschaftlichen Wurzeln für die Entfesselung des Ersten Weltkrieges werden weitgehend ausgeblendet.

Clark will die Entscheidungsprozesse der politisch verantwortlichen Männer und ihre jeweiligen – ganz persönlichen – Motive transparent werden lassen. Die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges wird reduziert auf die persönlichen Einstellungen und Handlungen der damaligen Diplomaten, Monarchen und Politiker. Dabei habe es – schreibt er – unzählige Unzulänglichkeiten und Zufälligkeiten gegeben, wobei keiner der Akteure den Krieg wirklich wollte.

Große Aufmerksamkeit schenkt Clark der sich immer wieder verändernden Lage auf dem Balkan – wobei Serbien als „Schurkenstaat“ herhalten muss, der mit seiner Politik eine erhebliche Verantwortung für die Entstehung der Krisis im Sommer 1914 trüge. Das freilich behaupteten damals auch die politisch Verantwortlichen in Wien und Berlin.

> Hinweise auf ökonomische und soziale Strukturen und die immer stärker die Außenpolitik dominierenden wirtschaftlichen Interessen der damaligen imperialistischen Großmächte sucht man bei Clark vergeblich.

> Ebenso wenig erfährt man über die von der Schwerindustrie, Militärs und Banken initiierten Bildung des „Deutschen Flotten-Vereins“, der als „moderner Interessenverband“ seit der Jahrhundertwende mit einer Vielzahl von Publikationen, Veranstaltungen, Pressediensten, Denkschriften und Geldsammlungen für den Bau einer Schlachtflotte erfolgreiche Stimmungsmache betrieb und dabei mit dem Reichsmarineamt aufs engste kooperierte.

> Nichts erfährt man über die von den politischen, militärischen und wirtschaftlichen Eliten des wilhelminischen Staates um die Jahrhundertwende propagierten Bestrebungen, die Welt zugunsten des deutschen Imperialismus neu aufzuteilen, nichts über die Kriegsziel-Pläne und nichts darüber, dass der Krieg die Chance bot, um den lang ersehnten „Platz an der Sonne“ realisieren zu können.

Seit den bahnbrechenden Forschungen des Hamburger Historikers Fritz Fischer und seinem in den sechziger Jahren erschienenen wichtigsten Buch: „Der Griff nach der Weltmacht“ ist das alles gut dokumentiert.

Christopher Clark allerdings will gar keine „Schuldfragen“ klären, ihm geht es nicht darum zu analysieren, wie „Kriege gemacht“ werden, sondern er möchte den Prozess eines angeblichen „Hineinschlitterns“ der damals Mächtigen, ihren „schlafwandlerischen“ Weg in den Ersten Weltkrieg nachzeichnen.

Geschichtsrevision – kein Zufall

Bei der Beurteilung des Erstem Weltkieges wird derzeit ganz offensichtlich der Versuch gemacht, die bisherigen, weitgehend unumstrittenen Erkenntnisse zu revidieren, dass das Deutsche Kaiserreich mit seinen Weltmachtambitionen ein herausragenden Akteur bei der Entfesselung des Ersten Weltkrieges war. Die Gründe liegen auf der Hand.

Das Interesse der herrschenden Eliten der Bundesrepublik, die deutsche Geschichte einer „Reinigungskur“ zu unterziehen, entspricht den immer offener vertretenen Ansprüchen, dass Deutschland „weltpolitische Verantwortung“ übernehmen und bereit sein müsse „früher, entschiedener und substantieller“ seine militärischen Fähigkeiten einzusetzen.

Dazu soll offensichtlich auch das von der bürgerlichen Presse hochgelobte Buch von Christopher Clark dienen. Er hat die Kriegsschuldfrage in einer Weise beantwortet, die den herrschenden Kräften der aufstrebenden Großmacht Deutschland gerade recht kommt.

Niemand soll auf den Gedanken kommen, dass es bei den Kriegen der NATO-Staaten oder bei der aktuellen Propagandaschlacht um die Ukraine – genauso wie 1914 – darum geht, imperiale Ansprüche notfalls mit militärischer Gewalt durchzusetzen.

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EINLADUNG ZUR VERANSTALTUNG 100 JAHRE BEGINN DES I. WELTKRIEGES
Die Ukraine und die deutschen Kriegsziele im Ersten Weltkrieg.
Imperiale Interessen damals und heute
Referent: Dr. Reiner Zilkenat

Der Berliner Historiker befasst sich mit der These von den „schlafwandelnden“ Staatsführern, beleuchtet die Rolle des deutschen Kaiserreichs bei der Entfesselung des Ersten Weltkrieges und die damaligen Kriegsziele des deutschen Imperialismus.

Schon damals spielte die Ukraine eine wesentliche Rolle in den Plänen zur Schaffung eines von Deutschland beherrschten „Mitteleuropa“.

Und heute? Deutschland und die EU betreiben in der Ukraine eine brandgefährliche Politik. Erneut wird versucht, in dem von ihnen geschürten nationalistischen Konflikt eigene wirtschaftliche und geostrategische Interessen durchzusetzen.

Veranstalter: Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus
Mittwoch, 25. Juni 2014, um 19 Uhr, EineWeltHaus, Großer Saal
Schwanthalerstraße 80, 80336 München, U-Bf. Theresienwiese

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VERANSTALTUNGSHINWEIS
1. AUGUST 2014
ANTIKRIEGSAKTION
(voraussichtlich am Stachus)

„Die einzige Lösung sehe ich in einem sofortigen Krieg mit Frankreich.”
Alfred von Schlieffen, 1905, deutscher Generalstabschef 1891-1906, (Rochs, Schlieffen, S. 50)

„Wir brauchen wirtschaftlich den möglichst ungehinderten Bezug der notwendigen Rohstoffe
und andererseits Absatzmärkte für unsere Fertigprodukte.”
„Berliner Börsen-Kurier”, 09.01.1912, deutsche Tageszeitung

„Die Popularität eines Krieges gegen Russland sollte in der Presse besser vorbereitet werden.”
Helmuth v. Moltke, 08.12.1912, deutscher Generalstabschef, (Koch, The Origins of the First World War, S. 72 f)

„Man darf in der serbischen Frage nicht retirieren. […] Ich fürchte mich nicht, wenn es notwendig ist, einen europäischen Krieg zu entfesseln.”
Wilhelm II., deutscher Kaiser, Nov. 1912, gegenüber dem österreichischen Thronfolger Franz v. Habsburg-Lothringen, (Chvostov, Geschichte der Diplomatie, II, S. 269)

„Die anderen sind nicht bereit, sie werden nichts dagegen unternehmen. In ein paar Tagen
müsst ihr in Belgrad stehen.”
Wilhelm II., deutscher Kaiser, Okt. 1913, gegenüber dem österreichischen Generalstabschef
Conrad von Hötzendorff (Dollinger, Der Erste Weltkrieg, S. 29)

„Deutschland treibt einen weltweiten Handel, der sich ständig vergrößert und keine Beschränkungen duldet. […] Wir müssen damit rechnen, dass unsere Interessen sich vermehren,
und wir müssen dann in der Lage sein, sie auf allen Weltmeeren zu verteidigen.“
Wilhelm II., deutscher Kaiser, Okt. 1908 (Daily Telegraph, 27.10.1908)

„Vielleicht lässt sich auch ein Deutscher aus Patriotismus in Marokko erschlagen, damit wir
zu seinem Schutze einschreiten können.“
Alfred von Kiderlen-Wächter, 1911, deutscher Außenstaatssekretär (Dollinger, Das Kaiserreich,
S. 338)

„Dieser Krieg, den wir jetzt führen, war eine Naturnotwendigkeit […]“
Helmuth Graf von Moltke, 1914, ehemaliger Chef des dt. Generalstabes, Tagebuchaufzeichnung im Nov. 1914)

„Ja, Gott, in gewissem Sinn war es ein Präventivkrieg. […]“
Theobald von Bethmann Hollweg, Reichskanzler a.D., am 24. Februar 1918

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V.i.S.d.P.: Claus Schreer, Johann-von-Werth-Straße 3, 80639 München,
Eigendruck im Selbstverlag, Gestaltung: Wob


Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Überraschung

Jahr: 2014
Bereich: Gedenken