Materialien 2001
Will Deutschland den Krieg?
Rede von Dr. Winfried Hauck auf der Kundgebung am Montag,
15. Oktober 2001, auf dem Marienplatz
Deutschland schwört unverbrüchliche Treue und ist von Anfang an mit dabei in der Kriegsallianz der USA. Warum? Sind wir immer noch ein Vasall der USA, ihr gehorsamer Erfüllungsgehilfe –
so wie im Frieden auch im Krieg? Werden wir in einen Krieg hineingezogen, den wir im Grunde eigentlich gar nicht wollen?
Wie aber passt das zusammen mit dem Jammern und Klagen des gesamten deutschnationalen Lagers, das bis in die Reihen der PDS reicht, die sonst standhaft gegen den Krieg steht? Da wird das Bild von dem wirtschaftlichen Riesen und dem politisch militärischem Zwerg heraufbeschwo-
ren. O-Ton Gysi: „Ich bin dafür, dass wir eine multipolare Welt bekommen und keine eindimensio-
nale Weltordnung nach den Wünschen der USA.“ Genscher forderte in der SZ im August diesen Jahres: „Amerika muss die multipolare Weltordnung akzeptieren.“ Kanzler Schröder stellt letzte Woche kategorisch klar: Wir müssen internationale Verantwortung auch militärisch übernehmen und das geht nicht ohne Risiko.
Wer als Global Player weltweit in den Krieg zieht, muss an der Heimatfront jeglichem Pazifismus und einer „Ohne-mich“-Haltung den Kampf ansagen und die „Enttabuisierung des Militärischen“ fordern.
Da heißt es Abschied nehmen von Kohls heiligem Schwur, den er nach der Wiedervereinigung in die Welt hinein rief: „Nie mehr dürfen deutsche Soldaten den Boden betreten, den die Wehrmacht besetzt hatte.“
Nun, bis nach Afghanistan ist die Hitler-Wehrmacht nicht gekommen, so wäre Afghanistan aus diesem Schwur ausgenommen. Aber stehen dem militärischen Wollen nicht die angeblichen Unzu-
länglichkeiten des deutschen Militärs entgegen, das ja aus lauter Weicheiern und Schlaffis besteht? Laut General Naumann kann Deutschland gerade mal ein Lazarettschiff in den Krieg schicken. Re-
det man bei Firmen wie Siemens und Mercedes gern von deutscher Wertarbeit, sollen dieselben Firmen in der Rüstung lauter Schrott fabrizieren, glaubt man den CDU- und CSU-Politikern.
Um was geht es in diesem Krieg? Was wollen die USA, was will Deutschland?
Kriege fallen nicht vom Himmel, höchstens Bomben und manchmal Flieger. So wie die Schüsse in Sarajewo willkommener Anlass, aber nicht der Grund für den I. Weltkrieg waren, so war das Atten-
tat auf das World Trade Center höchstens Auslöser, Katalysator und Beschleuniger für den jetzigen Krieg. So konstatierte Herr Scharping zwei Wochen danach: „Die Herausforderungen sind nicht neu, nicht in der Substanz, nur in der Dringlichkeit.“
Seitdem sich das ehemalige „Reich des Bösen“, die Sowjetunion mit einem Winsler aus der Weltge-
schichte verabschiedet hat, ist ein riesiges Machtvakuum entstanden, das neu besetzt und geordnet werden muss. Zentralasien mit seinen riesigen Bodenschätzen und seiner geostrategischen Lage spielt da eine entscheidende Rolle. In diesem Krieg geht es um nichts anderes als das, worum es immer im Krieg geht: Sicherung von Rohstoffen und Sicherung der Transportwege, Standortvor-
teile, Ausschalten der Konkurrenz, Neuaufteilung der Welt.
Nach dem Mauerfall ist die alleinige Weltmachtrolle der USA akut gefährdet. Sie sieht sich von lau-
ter Schurkenstaaten umzingelt, die ihr die alleinige Vorherrschaft streitig machen. Da ist in der er-
sten Reihe – man höre und staune – Deutschland, das als Führungsmacht der EU und Hauptkon-
kurrent der USA bei der Jagd nach Rohstoffen und Absatzmärkten in die Quere kommt. Da ist Russland, und da ist die aufstrebende Wirtschaftsmacht China.
Die USA müssen erstens verhindern, dass Deutschland und die EU zu hochkommt. Ganz draußen
können sie sie nicht lassen. Deswegen wird Deutschland erst mal militärisch abgewatscht, indem deutsche Soldaten mit den AWACS in die USA, weit weg vom Schuss, abkommandiert werden. Die USA müssen zweitens verhindern, dass die Russen im Südgürtel des Kaukasus bis Usbekistan Fuß fassen und die Amis raus hauen. Drittens müssen sie aber vor allem alles daransetzen, um eine deutsch-russische Allianz zu verhindern. Putin auf Besuch in Berlin, aber nicht in New York, will in die NATO.
Die USA müssen viertens verhindern, dass es zu einem russisch-chinesischen Block mit Einschluss Indiens kommt.
Zwar wollen alle Konkurrenten ins gleiche Boot, aber jeder, die USA, die EU, Russland, China, alle wollen etwas anderes. Kann das gut gehen? Wird man sich auf das Abstecken der Jagdreviere eini-
gen können, und wenn nicht friedlich, so nur mit Gewalt?
Wir sehen, die USA haben Riesenaufgaben vor sich. Deshalb die düstere Prognose: Der Krieg wird lang und bitter sein.
Es geht also nicht um Usama bin Laden. Es wäre geradezu eine nationale Katastrophe, würde er lebend oder tot erwischt. Dann wäre ja der Krieg zu Ende. Deswegen muss es ja Tausende und Abertausende von Bin Ladens mit ihren unsichtbaren Netzen worldwide geben.
Aber warum ist ausgerechnet Afghanistan, wo es nichts zu holen gibt, das erste Kriegsziel der USA? Nun, Afghanistan liegt im strategischen Vorfeld Zentralasiens, grenzt an die Ex-SU, an China und den indischen Subkontinent. Es ist das goldene Tor zu den Märchenschätzen wie aus 1000 und einer Nacht. Nur kommen heute über die Seidenstraße keine Seide aus China und Teppiche aus Usbekistan, sondern Öl und Gas. Schon 1995 titelt die Zeit: „Im Kaukasus droht ein kalter Krieg ums Öl. Amerikaner und Russen ringen um wirtschaftliche Ressourcen und geostrategische Posi-
tionen. Wieder ist es ein great game, wie schon im 19. Jahrhundert, wo Russen und Briten in die-
sem Machtvakuum kämpften. Droht jetzt ein heißer Krieg?“
So fordert Brzezinski. ehemaliger Sicherheitsberater der USA: „Kein Konkurrent darf die USA aus Eurasien vertreiben oder ihre Rolle als Schiedsrichter beeinträchtigen.“ Außenminister Fischer wiederum, der im Sommer in Zentralasien nach dem Rechten schaute, sieht „Zentralasien als unseren Vorhof an.“ Rühe forderte schon früher: Europa müsse den Kaukasus nachhaltig stabili-
sieren und in die europäische Staatenfamilie einbinden. Inzwischen wollen alle in die NATO: Die Russen, die Georgier, die Usbeken drängeln sich um den Einlass in das begehrte Weltbündnis. Wo wird das noch hinführen, wenn es keine Gegner mehr und nur noch Schläfer gibt?
Und was macht Deutschland in diesem great game widerstreitender Interessen? Deutschland kann sich reserviert zurückhalten, die USA im afghanischen Sumpf versinken lassen und als lachender Dritter und traditioneller Freund der arabischen Welt einen Platz an der Sonne erobern. Das heißt in der Diplomatensprache: Solidarität ist ja kein Blankoscheck für Abenteuer. So gibt es einen Plan für den day after in Form eines substantiellen Beitrages bei der Flüchtlingshilfe. Da es in Afghani-
stan einen wahren Fleckerlteppich an Ethnien gibt, die Paschtunen, die Farsi, die Tadschiken, die Deri, Hassari. die Turkmenen, muss auch hier zivilisatorisch Ordnung geschaffen werden. Ein UNO/NATO-Protektorat à la Kosovo unter deutscher Führung – wer kann schon was gegen huma-
nitäre Hilfe da hinten am Hindukusch einwenden? Nicht einmal die eingefleischtesten Kriegsgeg-
ner an der Heimatfront BRD. Oder?
Und da gibt es für Deutschland noch die kriegerische Variante: Seit an Seit mit den US-Rangers kämpfen die Elitetruppen der KSK an vorderster Front, einbegriffen – in einer späteren Phase – der Einsatz des neuen Eurokorps unter deutscher Führung. So weit die USA eine so direkte Betei-
ligung zulassen, hätte das den Vorteil, dem deutschen Publikum und der Welt vorzuführen: Wir sind wieder wer, wir sind aus dem Schatten der Geschichte herausgetreten und spielen einen gleichberechtigten militärischen Part. Und für dieses Mitwirken wollen wir auch eine angemessene Belohnung. Denn auch wir wollen unser Öl haben und lassen uns den Ölhahn nicht von irgendwem wie auch immer zudrehen.
Diese kriegerische Variante ist sehr riskant. Da sollte Stalingrad, wo schon einmal der Traum vom kaspischen Öl zerschellte, eine Warnung sein.
Nur wer keinen Krieg und den Frieden will, der hat sicher nichts gegen das Wahlplakat unserer
Münchner SPD-Genossen, das da heißt: Die beste Antwort auf den internationalen Terror ist eine gerechte Weltwirtschaftsordnung. Nur müssen sie das bei ihrem Kanzler einklagen und wir werden sie dabei mit allen Kräften unterstützen.
als Manuskript vom Redner erhalten