Flusslandschaft 2014
Fußball
Wenn eine Epidemie ganze Landstriche entvölkert, holt sich die Natur zurück, was ihr die Zivili-
sation entrissen hat. Nationalstolz überschwemmt den öffentlichen Raum wie ein Naturereignis. Exzessive Fieberepidemien ohne letales Ende transformieren fade Normalität für kurze Zeit, als ob sich lange Unterdrücktes eine Bahn frei sprengt wie ein Vulkan. Oder hat der Tod das Leben schon längst im Griff?
Wenn Automobile nationalfarbig aufrüsten, indem sie bewimpelt werden, wenn die Kühlerhaube mit Stoff bespannt, die Rückspiegel in parisergleichen Säckchen geschützt und auf den unförmigen Kotflügeln haifischflossenartige Gebilde appliziert werden, erkennt auch der Dümmste, dass jetzt im Juni und Juli die Fußballweltmeisterschaft zelebriert wird.
Im Wohnumfeld bieten sich ebenfalls Geländer, Kanten, Ecken und Hecken an, um der heimeligen Idylle die benötigte Weihe zu verabreichen.
Nicht zuletzt buhlt die schwarz-rot-golden gestimmte Gastronomie um begeisterte Kundschaft.
Den Höhepunkt bietet aber der stolze „Morphsuit“, der Flaggenganzkörperanzug, in dem der Nationalrausch auch die letzten Besonderheiten des so häufig störenden Eigenen aufhebt zu Gunsten des Großen und Ganzen, denn zusammen geht’s halt besser.
Positiv denkende Menschen meinen, wenn das Mittelmaß auf diese Weise ausbreche, käme es nicht auf die Idee, dem Nachbarn mit Waffengewalt auf die Pelle zu rücken. Kritisch Denkende dagegen stellen die „Frage, warum ausgerechnet diese ‘Kultur’ dermaßen für die Übergänge in den Rassismus anfällig ist. Womöglich hat es doch etwas mit der Sache selbst zu tun, die man immerzu vor ihren Übertreibungen schützen will …“2
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Gegenüber der Schrannenhalle in der Prälat-Zistl-Straße
1 Fotos: Franz Gans
2 Gegenargumente 37/2014, 2, Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung. Einen wunderbaren musikalischen Kommentar liefert Deichkind: www.youtube.com/watch?v=FI2yM23Vkb8.
3 Foto © Volker Derlath