Materialien 2014

„Kein Bock auf Schule!“ und was das mit unserer Gesellschaft zu tun hat

Wir befinden uns heute auf dieser Demo, weil uns etwas an unserem Schulsystem oder unserem Schulalltag nicht passt und wir unserer Unzufriedenheit laut auf der Straße Ausdruck verleihen möchten. Vielleicht haben einige von uns konkrete Vorschläge, wie die Schule besser werden könnte und wie sich Bildung mit Spaß und unseren eigenen Interessen verbinden ließe. Eventuell haben wir auch nur ein diffuses Bauchgefühl, dass etwas in diesem Bildungssystem nicht richtig läuft. Es kann aber auch sein, dass wir heute, wie an den meisten Tagen, einfach keinen Bock auf Schule hatten und uns deswegen diese Demonstration immer noch als die bessere Alternative zu den langweiligen und ermüdenden Schulstunden erscheint …

Das sind altes unterschiedliche Gründe, welche uns heute möglicherweise auf diese Demo geführt haben. Was uns jedoch vereint, ist, dass wir die Schule, wie sie heute ist, nur allzu oft als reine Belastung anstatt als Bereicherung empfinden. Viele von uns haben mit dem ständigen Leistungs-
druck zu kämpfen, der Angst zu versagen und später in der Gesellschaft nicht zurechtzukommen. Häufig fühlen wir uns regelrecht wie in einer Lernfabrik eingezwängt, die uns entgegen unseres Willens auf eine bestimmte Art formen möchte. Viel zu oft beschleicht uns daher das bedrückende Gefühl, dass die Schule tatsächlich kaum etwas mit unserem Leben und unseren eigenen Vorstellungen davon zu tun hat. Kurzum: So, wie es ist, kann es nicht weitergehen!

Um aber zu begreifen, warum die Schule und unser ganzes Bildungssystem so sind, wie sie sind, lohnt es sich, den Blick auf unsere Gesellschaft als Ganzes zu richten. Wir leben im Kapitalismus, eine Gesellschafts- und Produktionsform, in der zum Zwecke der Profitmaximierung gewirtschaftet wird. Menschliche Bedürfnisse spielen dabei nur insofern eine Rolle, als dass sich diese im Konsum äußern können und daher zum eigentlichen Zwecke, der unablässigen Vermehrung von Kapital, beitragen. Damit dieses ganze System jedoch funktionieren kann, bedarf es menschlicher Arbeitskräfte, die den speziellen Anforderungen dieses Systems genügen. Hier wären wir wieder im Bereich der Bildung angelangt. Die Aufgabe der Schule ist es, innerhalb dieses Systems dafür zu sorgen, dass dem Arbeitsmarkt geeignet qualifizierte Arbeitskräfte in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen. Je nach Schulform sind diese künftigen Arbeitskräfte so zu „bilden“, dass sie auf ihre spätere höhere oder niedrigere Rolle innerhalb des kapitalistischen Produktionsprozesses vorbereitet werden. Was das im Schulalltag bedeutet, erfahren wir tagtäglich am eigenen Leib. In der Schule zählen eben nicht unsere eigenen Vorstellungen von einem guten, freien und selbstbe-
stimmten Leben sowie einem angenehmen und solidarischen Miteinander, auch nicht unsere eigenen Interessen und Vorlieben. Vielmehr werden wir alle einheitlich und unabhängig von unseren individuellen Verschiedenheiten, entsprechend den von Seiten „der Wirtschaft“ gefor-
derten „Schlüsselqualifikationen“, auf unsere spätere Rolle als bloßes menschliches Zahnrad innerhalb des Systems der unablässigen Vermehrung von Kapital zugerichtet. Dass dabei das meiste, was nicht diesen eindimensionalen Interessen der „Wirtschaft“ entspricht, unter den Tisch fallen muss, entspricht der Natur dieses Systems.

Bereits früh werden wir auch auf andere unangenehme Aspekte unserer Gesellschaft vorbereitet. So spiegeln zunehmender Konkurrenzdruck gegenüber unseren Mitschüler_innen und die Jagd nach immer besseren Leistungen in der Schule nur das spätere Arbeitsleben in Konkurrenz und Leistungszwang wider. Wichtig ist, dass wir funktionieren! Begleitet werden wir von ständigen Versagensängsten, blühen uns doch ein Leben am Existenzminimum sowie unerträgliche Jobs, wenn wir den sich stetig erhöhenden Anforderungen an schulische Leistung nicht genügen. Das dabei das, was wir uns als selbstbestimmtes Leben und Lernen vorstellen, immer mehr auf der Strecke bleiben muss, wird als Opfer für spätere materielle Sicherheit von Lehrern, Eltern und Co eingefordert.

Wie wir gesehen haben, reicht es also nicht, bloß einige Verbesserungen unseres Schulsystems einzufordern. Die Schule, wie sie heute ist, ist nur notwendiger Bestandteil unseres kapitalistischen Systems, welches uns nur dann anerkennt, wenn wir den Zwängen nach immer höherer Verwert-
barkeit unserer eigenen Arbeitskraft genügen. Die Schule dient hierbei also lediglich als diszipli-
narische Vorbereitung und Einübung unserer zukünftige Rolle als menschliche Ware Arbeitskraft zum Ziele der möglichst reibungslosen Profitmaximierung. Doch welche Vorstellungen von einer menschlicheren, besseren und selbstbestimmten Gesellschaft lassen sich diesen trüben Aussichten entgegensetzen?

Wir wollen eine Schule und Gesellschaft, in der jede_r sich selbstbestimmt, individuell und innerhalb einer solidarischen Gemeinschaft frei und gemäß der eigenen Interessen entfalten kann. Alles, was uns in der Schule kaputt macht, wie der ständige Zwang durch Noten bewertet und gegebenenfalls aussortiert zu werden, Dinge zu lernen, für die mensch überhaupt kein Interesse hat, sowie sich willkürlich Autoritäten und deren Anordnungen unterordnen zu müssen, sollten in dieser Gesellschaft der Vergangenheit angehören. So wie sich die oder der eine brennend für Naturwissenschaften, Sprachen oder Geographie interessiert, haben andere eine Leidenschaft für Kunst, Theater, Geschichten oder Gedichte schreiben, Sport und vieles mehr. Diese individuell verschiedenen Vorlieben müssen in einer solchen Gesellschaft gleichwertig und ohne jegliche Hierarchisierung anerkannt und gefördert werden, so dass wir in der Lage sind, unser Leben so zu führen, wie es unseren persönlichen Vorstellungen entspricht. Die Voraussetzung dafür, dass der ganze Mist, der uns täglich in der Schule ankotzt, endlich aufhört, bleibt jedoch die Überwindung der kapitalistischen, auf Wert basierenden Produktionsweise, die unser aller Leben unterordnet, unter den irrationalen und blinden Selbstzweck der endlosen Kapitalvermehrung durch Aus-
beutung unserer Arbeitskraft. Daher gilt es, die „Wirtschaft“ endlich unter die Kontrolle einer sich solidarisch und rational selbst verständigenden Gesellschaft zu stellen anstatt von dieser beherrscht zu werden. Dabei ist die Produktion so zu ändern, dass bei einem Minimum an menschlicher Arbeit ein Maximum unser aller Bedürfnisse befriedigt wird, die wegfallende Arbeitszeit in freie Zeit zur Selbstentfaltung umgewandelt wird und die übrig gebliebene Arbeit angenehm, sinnvoll und selbstbestimmt gestaltet wird – eine Vorstellung, die nach dem heutigen Stand der Entwicklung ohne weiteres realisierbar wäre. In einer solchen Gesellschaft würde es uns auch endlich frei stehen, unsere Bildung selbst in die Hand zu nehmen und das zur lernen, was wir als sinnvoll, wichtig und richtig erachten …

deconstruct reality

Für ein selbstbestimmtes Lernen frei von Autorität, Konkurrenz und Leistungszwang!

Kapitalismus abschaffen!

Her mit dem schönen Leben!

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Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Überraschung

Jahr: 2014
Bereich: SchülerInnen