Materialien 2014
Rede zur Eskalation von Gewalt im Nahen Osten, Schwerpunkt Gaza
Liebe Friedensfreunde!
Ich bin Tanja Kleibl. Als ich 2012 als Leiterin des Menschenrechtsprogramms der Caritas Irland in die besetzten Palästinensergebiete und in den Gaza Streifen reiste, um Projekte von Israelischen und Palästinensischen Partnern zu besuchen, habe ich in Gaza mit einer Witwe und ihren beiden Töchtern gesprochen. Die Haut der beiden Mädchen war von Phosphor-Rauch verbrannt und die ganze Familie hatte mehrmals tiefstes Trauma erlitten. An diese Begegnung erinnere ich mich gerade jetzt wieder mehrmals täglich, die Bilder der Zerstörung in Gaza sind kaum auszuhalten. Seit langem setze ich mich für die gewaltfreie Lösung von Konflikten ein. Es ist mir daher sehr wichtig, heute bei dieser Protestkundgebung dabei zu sein, und ich bin froh, daß so viele Menschen gekommen sind.
Wir können nicht hinnehmen, dass der israelische Staat und die Armee dieses Massaker in Gaza verlängern. Jetzt wurde neben Krankenhäusern und Moscheen sogar eine weitere UN-Schule in Gaza beschossen, in der 1.200 Menschen Schutz gesucht hatten. 16 Menschen wurden dabei getötet und 200 verletzt. Soll so ein Frieden erreicht werden?
Ich möchte, bevor ich auf einige weitere Fakten eingehe, nachdrücklich klarstellen, daß ich Anti-
semitismus scharf verurteile – denn Antisemitismus ist eine Form von Rassismus. Wenn es zu antisemitischen Rufen kommen sollte, möchte ich alle Anwesenden bitten, diese Stimmen nicht zuzulassen.
Liebe Friedensfreunde!
Die völlig unverhältnismäßigen israelischen Angriffe auf Gaza finden jetzt schon über mehr als zwei Wochen lang statt. Ernstgemeinte Friedensverhandlungen, welche die Interessen beider Seiten, die der israelischen Regierung wie auch der Hamas einschließen würden, werden hier in Deutschland von der Bundesregierung nicht in Betracht gezogen.
Versuche, eine Waffenruhe und Frieden auszuhandeln, haben bislang denkbar schlechte Ausgangsbedingungen. Die jüngsten Vorschläge, die US-Außenminister Kerry für einen Waffenstillstand präsentiert hat, sind zum Scheitern verurteilt. Sie missachten vor allem die berechtigte Minimalforderung, die menschenfeindliche Blockade und Abschnürung Gazas aufzuheben.
Während der gesamten israelischen Operation ‚Protective Edge‘ besteht Israel auf dem Kriegsziel, die Hamas vollkommen entwaffnen zu wollen. Nur so könne die Regierung die Sicherheit lang-
fristig verbürgen. Damit werden Luft-, See- und Bodenangriffe begründet, welche v.a. mit ca. 80 % (UN Ocha) die Zivilbevölkerung treffen.
Andere argumentieren moralisch, dass der Angriff auf die Hamas eine gerechte Antwort auf die Entführung und brutale Ermordung dreier israelischer Siedlerjungen sei. Diese verabscheuens-
würdige Tötung und die ebenso schreckliche spätere Tötung eines palästinensischen Jungen können allerdings niemals eine kollektive Bestrafung von Palästinensern in Gaza rechtfertigen.
Die Gründe und Begründungen dieser Menschenrechtsverletzung beiseite lassend ist die Weltgemeinschaft mit dem kontinuierlichen Leiden der etwa 1,8 Millionen Bewohner Gazas konfrontiert. Diese Menschen sind in ein überfülltes Kriegsgebiet gesperrt, ohne Unterkunft und ohne Fluchtmöglichkeit wegen der tagtäglichen Gefahr, ihr Leben zu verlieren. Die Erfahrung kontinuierlicher Angriffe und der 24-stündige Lärm von Flugzeugen, Drohnen und Bomben verursachen bei den Palästinensern in Gaza tiefstes Trauma und Ohnmacht. Das massive Ausmaß der Angriffe verursacht unumkehrbare psychische Schäden, vor allem bei Kindern. Von diesem Trauma und der tagtäglichen Angst sind natürlich Menschen auf beiden Seiten des Konflikts betroffen.
Israel verteidigt sich gegen die Kritik, keine Rücksicht auf zivile Opfer zu nehmen: Es sende doch vor den Angriffen auf militärische Ziele Warnungen an die Bevölkerung. Leider seien aber zivile Opfer („Kollateralschäden“) in dem dicht besiedelten Gebiet unvermeidbar. Eine rechtliche Analyse unabhängiger europäischer, menschenrechtsorientierter NGOs hat jedoch klar aufgezeigt, dass diese kurzen Warnungen keinesfalls die Verpflichtung einer Besatzungsmacht auflösen, die Regelungen des internationalen Rechts einzuhalten.
Ich möchte nochmal ganz klar sagen, dass der Einschluss der Palästinenser in Gaza eine völkerrechtswidrige kollektive Bestrafung darstellt (Artikel 22 der 4ten Konvention von Genf). Wegen der vielen getöteten Zivilisten will der UN Menschenrechtsrat bereits Ermittlungen einleiten.
Die Tatsache, dass Israel 800 Palästinensern mit ausländischen Pässen, davon 150 mit amerikanischem Ausweis, erlaubt, den Gazastreifen zu verlassen, zeigt in meinen Augen den Zynismus der israelischen Machtdemonstration nur noch deutlicher (Vgl. Richard Falk, UN Sonderbeauftragter). Denn kein anderer ziviler Bewohner Gazas bekommt die Möglichkeit, den Gaza Streifen zu verlassen, weder wegen Krankheit, Behinderung oder Alter.
Deshalb muss die Beendigung der Blockade Gazas grundlegender Bestandteil eines Friedensabkommens sein.
Der international respektierte palästinensische Menschenrechtsaktivist und Völkerrechtsexperte in Gaza, Raji Sourani, fordert aktuell v.a. eines:
End the occupation. This is all that is needed.
Die Landesarbeitsgemeinschaft Frieden und Internationale Politik in Bayern sieht in ihrer kürzlich veröffentlichten Erklärung außerdem eine Mitverantwortung dieses Konflikts u.a. bei der deutschen Regierung, da diese das Besatzungsregime im Westjordanland, den Landraub, die Siedlungspolitik sowie die Abriegelung des Gazastreifens ohne politische oder wirtschaftliche Folgen gegen den Besatzer zulasse.
Zusätzlich möchte die Arbeitsgemeinschaft Frieden und Internationale Politik möglichst viele zivilgesellschaftliche Organisationen und Verbände bitten, folgende Forderung an die deutsche Regierung zu stellen:
• die sofortige Lieferung von Medikamenten nach Gaza und humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung
• das sofortige Ende der deutschen Waffenlieferungen an alle Staaten im Nahen Osten
• keine Gelder für israelische Rüstungsunternehmen aus dem EU Forschungsprogramm
• das sofortige Aussetzen des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel, das in Artikel 2 alle Vertragspartner zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet, bis diese eingehalten werden.
Herzlichen Dank für Eure Aufmerksamkeit!
Salam! Shalom!
Tanja Kleibl
zugeschickt von Rolf Eckart am 30. Juli 2014