Materialien 2014

Gaza-Rede

Vor einer Woche über 330 Tote – heute annähernd 1.000! Also eine Verdreifachung innerhalb einer Woche! Der schauerliche Blutzoll für den palästinensischen Kampf um Freiheit und Würde! Geschätzte 300 Kinder waren darunter – Kollateralschaden!

B’Tselem:

Seit dem Jahr 2000 sind (bis vor diesem gegenwärtigen Massaker!) etwa 1.500 palästinensische Kinder getötet worden. (Diese Zahl dürfte mittlerweile auf ca. 1.800 gestiegen sein!) Im Durchschnitt wird alle drei Tage ein palästinensisches Kind von israelischen Sicherheitskräften oder fanatischen Siedlern inhaftiert oder ermordet.

Insofern ist die Aussage: „ISRAEL – KINDERMÖDER“ keineswegs Ausdruck von Antisemitismus, sondern beruht auf konkreten Fakten und beschreibt das Verhalten eines Staates. Das hat mit DEN Juden erst mal gar nichts zu tun.

Kaum wird die Kritik an Israel mal etwas lauter – kein Wunder angesichts der gegenwärtigen Ereignisse –, wird die Antisemitismus-Keule geschwungen, und schon geht’s nicht mehr um die völkerrechtswidrige Kollektivbestrafung eines ganzen Volkes, um die durch nichts zu recht-
fertigende Verwüstung eines ganzen Landstrichs, sondern – um Judenhass.

Ein durchschaubares Ablenkungsmanöver!

Noch einmal: Es geht nicht um Juden, sondern um die völkerrechtswidrige Blockade des Gaza-
streifens durch die 5.-größte, atomar gerüstete Militärmacht der Welt, was natürlich genau den Antisemitismus hervorruft, den man dann heuchlerisch beklagt.

Der hochrespektierte Jude Alfred Grosser – kürzlich wurde er in den Bundestag eingeladen, um eine Rede zum 1. Weltkrieg zu halten – hat schon vor Jahren kurz und bündig gesagt: „Die Politik Israels fördert den Antisemitismus!“

Und Prof. Rolf Verleger – ehemaliges Mitglied des Zentralrats der Juden – versucht seit Jahren – so wörtlich –, „dem durch Israels Politik anwachsenden Groll gegen Juden entgegenzuwirken“.

Der mittlerweile 90-jährige Doyen der israelischen Friedensbewegung Uri Avnery schrieb: „Der Staat Israel verursacht eine Renaissance des Antisemitismus auf der ganzen Welt und bedroht Juden überall.“

Und genau das lässt sich jetzt wieder beobachten.

Es gibt aber nicht nur Antisemitismus, sondern besonders in Israel auch einen weit aggressiveren Anti-Arabismus mit Aufrufen zum Völkermord an den Palästinensern, insbesondere von israelischen Politikern einschließlich von Knesset-Abgeordneten und sogar Rabbinern.

Araber werden gejagt in Israel. „Tod den Arabern“ liest man immer wieder. Übrigens auch: „Tod den Linken!“

Protestiert einer unserer Politiker mal dagegen? Gegen die völkerrechtswidrige Kolonialisierung, die Enteignung und Entrechtung der Palästinenser im Westjordanland und gegen das Leid der Bevölkerung durch die unmenschliche Blockade des Gazastreifens?

Aber „die HAMAS ist an allem schuld“, vor allem an der hohen Zahl der Toten, weil sie sich feige in und hinter der Bevölkerung, diese als Schutzschild missbrauchend, verberge, oder daß sie ihre Waffen „bei der Bevölkerung“ verstecke.

Dieser Vorwurf wird stets erhoben, um die Opfer der israelischen Militäraktionen zu erklären, auch beim Massaker von 2008/9 – und zuvor schon (2006) auch gegenüber der Hisbollah im Libanon. Allerdings ließ sich dieser Vorwurf in keinem der Fälle bestätigen, die von Amnesty International, Human Rights Watch oder dem Goldstone-Bericht der UNO untersucht wurden.

Die hohe Opferzahlen sind wohl eher einer bestimmten israelischen Kriegsführung geschuldet, die in der berüchtigten „DAHIYA-Strategie“ zum Ausdruck kommt: Der Libanon-Krieg 2006 war mit einem eher unrühmlichen Rückzug Israels zu Ende gegangen und ließ die Israelis zweifeln an ihrer Abschreckungsfähigkeit, ihrer wichtigsten Waffe, der Angst vor ihnen.

Während dieses Krieges, bei dem 15.000 tote Libanesen zu beklagen waren und der halbe Libanon verwüstet wurde, hatte die „moralischste Armee der Welt“ einen südlichen Vorort von Beirut, Dahiya, wo die Hisbollah großen Rückhalt in der Bevölkerung hatte, dem Erdboden gleichgemacht. In der Folgezeit sprachen israelische Offiziere von der „Dahiya-Strategie“.

Ein Oberst der Reserve am Israelischen Institut für Nationale Sicherheitsstudien erläuterte diese Strategie so: „Im Fall von Feindseligkeiten muß Israel sofort, entscheidend und mit einer Kampf-
kraft außerhalb jeder Proportion reagieren … Eine solche Antwort zielt darauf ab, Schaden zu verursachen und Strafe auszuteilen in einem Ausmaß, das einen lang andauernden und kostspie-
ligen Wiederaufbau erfordert.“

Gaza sollte das erste Ziel für diese Blitzkrieg- und Blutbad-Strategie sein, die im Massaker von 2008/9 zu 1.500 toten Palästinensern und 13 Israelis führte.

In Ha’aretz konnte man daraufhin lesen: „Israel hat seine Abschreckungskraft wiedergewonnen, weil der Krieg in Gaza die Mängel des zweiten Libanonkriegs ausgebügelt hat … Kein einziger Araber kann nun noch behaupten, dass Israel schwach sei.“

Übrigens haben israelische Soldaten, die sich in BREAKING THE SILENCE („Das Schweigen brechen“) zusammengeschlossen haben, detailliert bezeugt, dass genau diese Strategie auch bei der Operation „Geschmolzenes Blei“ (von 2008/9) galt.

Beim gegenwärtigen Massaker, der zweiten weitgehenden Zerstörung der Infrastruktur Gazas innerhalb weniger Jahre, scheint diese Strategie erneut praktiziert zu werden.

Aber Schuld an dem Elend ist natürlich die HAMAS, die radikal-islamische Terrororganisation. „Schließlich ruft sie in ihrer Charta nach wie vor zur Zerstörung Israels auf“.

Eine ähnlich lautende Formulierung in der Charta der Fatah allerdings hat den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Itzhak Rabin Anfang der 90er Jahre nicht daran gehindert, mit ihr in Verhandlungen einzutreten.

Im Übrigen hat die HAMAS zumindest viermal offiziell dokumentiert, dass sie sich zufrieden gibt mit einem Staat in den besetzten Gebieten, auf gerade einmal 22 Prozent Palästinas, damit also sehr wohl bereit ist, Israel – zumindest indirekt – anzuerkennen.

1. hat sie die Saudi-Initiative von 2002 unterschrieben, mit der alle 23 Staaten der Arabischen Liga Israel die Anerkennung und normale Beziehungen anboten, sofern es sich aus den besetzten Gebieten zurückzieht.

2. findet sich eine inhaltlich gleiche Formulierung im Wahlprogramm der Hamas von 2005 und

3. im Regierungsprogramm von 2006. Und schließlich

4. wäre die jetzige Einheitsregierung ohne diese erstaunliche Kompromissbereitschaft der Hamas gar nicht zustande gekommen.

Mit der Bildung der Einheitsregierung käme dem radikal-zionistischen Regime aber der dringend benötigte Feind abhanden, ein stets willkommener Vorwand für militärische Übergriffe, die das Leben der Palästinenser immer wieder auf den Kopf stellen.

Letztendlich wird die israelische Politik immer noch vom ursprünglichen zionistischen Ziel bestimmt, nämlich – in den Worten des wichtigsten zionistischen Politikers überhaupt, David Ben-Gurion: „Ganz Palästina als jüdischer Staat“.

Genau das, was der Hamas unterstellt wird – ganz Palästina den Palästinensern, also ohne Israel! -, ist umgekehrt der Kern des zionistischen Projekts, daher gestatte ich mir, analog zur „radikal-islamistischen Terrororganisation Hamas“, vom „radikal-zionistischen Terror-Regime“ in Jerusalem zu sprechen.

Auch von den Opferzahlen her ist das gerechtfertigt. Israel hat im Lauf der Jahrzehnte mindestens zehn mal so viele Palästinenser getötet wie umgekehrt.

Und das soll Selbstverteidigung sein?

Also, um dem ganzen Wahnsinn endlich ein Ende zu bereiten, ist es unerlässlich, dass die Ursachen des Konflikts beseitigt werden.

Die mittlerweile bekannt gewordenen Waffenstillstandsbedingungen der Hamas sehen genau dies vor: Die Hamas ist bereit zu einem auf zehn Jahre angelegten Waffenstillstand, sofern Israel die völkerrechtswidrige Blockade des Gaza-Streifens aufhebt (also die Grenzen öffnet, auch die Seeblockade beendet) und die (nach der Entführung der drei Jugendlichen) im Westjordanland gefangen genommenen Palästinenser frei läßt.

Also, in diesem Sinne muß unsere unmittelbare Forderung an die Bundesregierung sein, Druck auf das radikal-zionistische Regime in Israel auszuüben, notfalls auch – was in anderen Fällen längst geschehen wäre – mit Hilfe von Sanktionen, damit Israel endlich das Völkerrecht beachtet und die unmenschliche Blockade Gazas aufhebt. Das ist das Mindeste!

Ohne die Aufhebung der Blockade wird es keinen Frieden in Palästina geben.

Freiheit für Palästina!

Jürgen Jung


zugeschickt von Rolf Eckart am 30. Juli 2014

Überraschung

Jahr: 2014
Bereich: Internationales