Materialien 2007
Wirtschaft und Verbrechen
Wenn Künstler einem Verein gegen Wirtschaftsverbrechen einen Preis verleihen, wird das kaum auf Widerspruch stoßen, da wir, zumindest in kulturellen Zusammenhängen, ganz gerne schon die Wirtschaft selbst für ein Verbrechen halten. Ganz nach dem Diktum Balzacs, dass hinter jedem großen Vermögen ein Verbrechen stehe.
Wenn man sich die Wirtschaftsgeschichte, und beileibe nicht nur die deutsche, ansieht, wird man zugeben müssen, dass Balzacs Bemerkung weniger überspitztes Bonmot als empirischer Befund ist. Man würde zu kurz greifen, wollte man sie nur als Denunziation des Reichtums verstehen. Es benennt allerdings in einer Offenheit. die dem einen oder anderen unangenehm sein könnte, einen profunden Zusammenhang.
Nestroy hat ihn so beschrieben: „Die Phönizier haben das Geld erfunden. Aber warum so wenig?“ Die Menge des Geldes, des Kapitals überhaupt, ist endlich, und wenn es sich irgendwo häuft, muss es von irgendwo hergekommen sein. Damit dies kein verbrecherischer Vorgang bleibt, bedarf der Erwerb der Legitimation.
Wir haben uns zu diesem Zweck eine Rechtsordnung gegeben, die dazu in Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes sagt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allge-
meinheit dienen.“
Gerne wird der erste, irgendwie unvollständig erscheinende Satz gedanklich mit „zu nichts“ ergänzt, der zweite weggelassen, obwohl oder gerade weil er das kleine Beiwörtchen enthält, aus dem sich allerlei ableiten ließe. Es heißt „zugleich“. Wenn der Gebrauch des Eigentums zugleich, also zu gleichem Teil, dem Wohl der Allgemeinheit dienen würde – dann würden wir uns auf dem Boden der Verfassung bewegen und hätten doch eine andere Republik.
Aber das ist natürlich Phantasterei, denn die Realität ist so unendlich viel komplizierter, dass sich die beiden Sätze aus dem Grundgesetz dagegen lesen wie ein Kindergebet.
Es ist heute mehr denn je in Mode, abgeklärt in die Unabänderlichkeit der Verhältnisse einzu-
willigen und man macht sich eher verdächtig, wenn man an ihnen Anstoß nimmt. Am besten tut man dies deshalb mit guten Argumenten und detaillierter Sachkenntnis, wie zum Beispiel der heutige Preisträger BCC – Business Crime Control.
Der Name lässt an eine Sondereinheit vielleicht des BKA oder gar des CIA denken, aber er steht für einen eingetragenen Verein, der sich als Bürger- und Menschenrechtsorganisation versteht, und der sich im besonderen um die Aufklärung über Wirtschaftsverbrechen bemüht.
BCC operiert dabei nicht etwa als eine Art Staatsanwaltschaft von eigenen Gnaden, sondern fühlt sich allein ihrer demokratischen, aufklärerischen Zielsetzung verpflichtet, für die sie heute hier geehrt wird.
Auch die Ansichten über Wirtschaftsverbrechen decken sich nicht notwendigerweise mit jenen der Strafverfolgungsbehörden, denn den Begriff des Wirtschaftsverbrechens fassen sie weit: „Unter Wirtschaftsverbrechen verstehen wir – im weitesten, also auch im nicht-juristischen Sinne des Wortes – alle legalen und illegalen Praktiken, die von den Verantwortlichen der Unternehmen (Eigentümern, Managern, Prokuristen und anderen Kapitalbevollmächtigten) zum Schaden von Mensch und Natur, Staat und Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur und anderen wertvollen Rechtsgütern angewandt werden, um Gewinne zu erzielen, zu steigern oder zu sichern.
BCC unterscheidet aber klar zwischen jenen Praktiken, die vom Gesetzgeber als Straftaten definiert sind und jenen, die nachweislich Rechtsgüter gefährden, verletzen oder zerstören und dennoch legalisiert sind – oder gar von Staat und Kommunen direkt oder durch Steuervorteile und andere Privilegien subventioniert werden. Sozial- und umweltschädliche Wirtschaftspraktiken mögen legal sein, sind aber nach BCC-Verständnis nicht legitim.
Sie müssen deshalb unter dem Aspekt diskutiert werden, ob man sie mittels Strafgesetz, oder – weil Kriminalisierung kein Allheilmittel ist – durch andere gesetzliche, organisatorische Regelungen oder sonstige geeignete Verfahrensregeln und Kontrollsysteme verhindern bzw. minimieren kann.
Man sieht, BCC geht in der Bewertung von Wirtschaftsverbrechen nicht ganz so weit wie Balzac, aber doch weit genug, um mit seinem mutmaßlichen Einverständnis nun zur Preisverleihung schreiten zu können.
Der Change Award wird von der Künstlerin Lucia Dellefant seit 2005 jährlich verliehen. BCC erhält den Preis für den Mut, „eingefahrene Mechanismen und Regeln zu überdenken und dahingehend neu zu gestalten, dass ein Leben in Frieden, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit unter Berück-
sichtigung der Folgen für Umwelt und nachfolgende Generationen möglich ist“.
Georg Oswald
BIG – Business Crime 1/2008, 21.