Materialien 1971

Industrie greift nach den Hochschulen

Vorstellungen des GASt zur gewerkschaftlichen Mitbestimmung an der Universität

Bisher war die Diskussion um die Reform der Hochschule eine Sache, die mehr oder weniger ausgetragen wurde zwischen Hochschul-Establishment (Professoren, Beamte, Kumi-Bürokratie einschließlich übergeordneter Gremien, wie WRK, Kumi-Konferenz, Bund-Länder-Kommission) und den Studenten und ihren Organisationen.

Die Industrie hatte bisher ihre Interessen durch die Vermittlung staatlicher Stellen mit Erfolg wahren können, wie man an den wirtschaftsorientierten Entwürfen des HRG ablesen kann.

Nunmehr greift das Großkapital über einen seiner Verbände, den BDI, direkt in die Diskussion ein und meldet seine Interessen nachdrücklich an. So heißt es im BDI-Memorandum „Zur Lage von Forschung, Lehre und Studium an den Hochschulen“ unter anderem: „… Geht es der Industrie keineswegs allein um die naturwissenschaftlich-technischen, juristischen und wirtschaftswissen-
schaftlichen Fächer. Sie ist nicht weniger auf die Sozial- und Geisteswissenschaften angewiesen …“ Damit meldet die Wirtschaft ihre Interessen auch an jenen Fächern an, die sie nicht unmittelbar betreffen, mit dem Ziel, den gesamten Ausbildungsbereich unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Grund für dieses plötzliche Engagement wird unverhohlen genannt:

„Die bisherigen staatlichen Gesetze und Gesetzgebungsvorschläge zeigen jedoch unklare und widerspruchsvolle Vorstellungen in Prinzipienfragen. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die Anwendung eines falsch verstandenen demokratischen Prinzips auf die Hochschulen sowie auf
das Verhältnis zum Leistungsprinzip.“

Die Industrie droht …

Der BDI fordert vor allem höhere Effizienz, größere Leistung, stärkere Praxisbezogenheit. Er verschweigt jedoch, in wessen Interesse. Das lässt sich aber eindeutig aus dem Sachverhalt entnehmen: Es muss mit allen Mitteln gut verwertbares, möglichst unkritisches Fachpersonal ausgebildet werden, das sich den Profitbedürfnissen der Wirtschaft anpassen lässt.

● So wird die Forderung nach größerer Leistung sofort mit der Drohung verknüpft: „Wenn eine objektive Leistungsprüfung im Rahmen der Hochschule nicht mehr möglich sein sollte, hätte dies die unausweichliche Folge, ersatzweise Prüfungen bei Eintritt in das Berufsleben vorzunehmen.“

… verlangt …

● Wer den Nutzen an der höheren Effizienz der Forschung ziehen soll, zeigt die Betonung der Auftragsforschung:

– „Die Auftragsforschung muss ihren legitimen Platz an der Hochschule BEHALTEN.“

– „Entgeltliche Nebentätigkeiten der Hochschullehrer sollten ausschließlich einer Missbrauchskontrolle des Ministers unterliegen.“

Damit ist dann gewährleistet, dass u.a. Rüstungsforschung ungestört von einem „falsch verstandenen demokratischen Prinzip“ im Auftrage der großen Monopole betrieben werden
kann, ohne Rücksicht auf die Interessen der Werktätigen nehmen zu müssen.

● Aber auch der BDI will die Kooperation von Hochschule und Gesellschaft:

– „Diese Partnerschaft zwischen Hochschule und Gesellschaft muss institutionell gesichert
werden …“

Diese Institution soll nach § 60 HRG die sog. Studienreformkommission sein. Die „Partnerschaft“ findet allerdings nur in Abstufungen statt: In der Kommission, die für Studien- und Prüfungs-
ordnungen zuständig ist, legen die Hochschulmitglieder und staatlichen Stellen die Schwerpunkie des gesamten Lehrbetriebes fest. Lediglich beratend wirken Industrie und Gewerkschaften mit. Unter den gegenwärtigen Voraussetzungen muss jedoch angenommen werden, dass die staatlichen Stellen sich die Standpunkte der Industrie zu eigen machen. Deshalb müssen alle Bemühungen um eine echte Demokratisierung des Hochschulbereichs darauf gerichtet sein, dass in diesen zentralen Gremien die Interessen der Studenten und Werktätigen wirksam vertreten werden.

Wir schlagen die Einrichtung eines gesellschaftlichen Beirats vor!

● Der „Gesellschaftliche Beirat“ kann die gesellschaftlichen Interessen, also vor allem die Interessen der arbeitenden Bevölkerung, nur dann an der Hochschule wirksam zur Geltung bringen, wenn er das Recht hat, die Schwerpunkte für Forschung und Lehre zu setzen.

Dazu ist erforderlich, dass er über das wirksamste Mittel der Einflussnahme, den Etat, verfügen kann. Er soll nicht quasiadministrative Funktionen übernehmen, sondern Mittel schwerpunkt-
mäßig für bestimmte Projekte und Lehr- und Forschungsaufträge binden. Dies kann z.B. bedeuten, dass bestimmte, bereits vorhandene Disziplinen besonders gefördert oder neue Institute errichtet werden.

● Der Gesellschaftliche Beirat hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Anteil an Arbeiterkindern an der Hochschule der tatsächlichen gesellschaftlichen Struktur entspricht. (Unter den heutigen Bedingungen sind nur 10 Prozent der Studenten Kinder aus Arbeiterfamilien.)

Konkret heißt das:

Eine ausreichende Ausbildungsförderung und angemessene Wohnmöglichkeit muss gewährleistet sein. Den Absolventen der Einrichtungen zur berufichen Bildung muss der Übergang zur Hoch-
schule erleichtert werden.

Die Hochschuldidaktik ist gemäß diesen Anforderungen zu entwickeln.

● Der Beirat hat das Recht, Entwicklungen entgegen zu treten, die den Interessen der arbeitenden Bevölkerung widersprechen.

Dazu ist einerseits ein Vetorecht in Berufungsfragen notwendig, andererseits müssen die Mitglie-
der des Beirats freien Zugang zu allen Organen der Universität haben. Sie müssen dazu in der Lage sein, auf Grund der von ihnen gewonnenen Erkenntnisse Konsequenzen zu ziehen, z.B. Streichung von Mitteln, die für Kriegsforschung verwendet werden.

Insbesondere muss aufgezeigt werden, welcher Art die private Auftragsforschung an den Instituten ist. Die Bevölkerung muss über alle Mißstände an der Universität aufgeklärt werden.

Dieser Vorschlag für einen gesellschaftlichen Beirat soll veranschaulichen, wie die Forderung nach einer Demokratisierung des Bildungssystems an einem wichtigen Punkt konkretisiert werden kann.


GASt-Extra. Informationen des Gewerkschaftlichen Arbeitskreises der Studenten zum Konventswahlkampf, Wintersemester 71/72, Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Überraschung

Jahr: 1971
Bereich: StudentInnen