Materialien 2014

München ist bunt

München, 26. November 2014

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

Sie haben am Montag nach Ihrem Gespräch mit den Refugees am Sendlingertorplatz den Medien Auskunft gegeben und auf die Frage, wie Sie jetzt weiter vorgehen werden, gesagt, dass Sie „in sich gehen“ und darüber nachdenken wollten, alles Ihnen mögliche für das Wohl der Flüchtlinge zu tun. Ich weiß, dass Sie als Oberbürgermeister an die gesetzlichen Regelungen gebunden sind, auch wenn Sie diese selber für unzureichend und dringend reformbedürftig halten.

Es kann und darf aber nicht sein, dass Menschen in dieser wohlhabenden Stadt für ihre Menschen-
rechte hungern und dabei ihr Leben aufs Spiel setzen. Das als versuchte „Erpressung“ des Staates abzutun – wie es in der öffentlichen Diskussion mehrfach schon formuliert wurde – und den be-
rechtigten Protest zwangsweise zu beenden, sind keine Optionen einer Zivilgesellschaft.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, ich bin kein Politiker, sehe aber sehr wohl die in der gege-
benen Situation kaum abwägbaren politischen, rechtlichen und ethischen Widersprüche. Ich sehe darüber hinaus aber auch die Möglichkeit, dass Sie mit einem ungewöhnlichen und symbolischen Akt sowohl die Dringlichkeit der notwendigen Reformen der Flüchtlingspolitik für die Kommunen anmahnen als auch zugleich die Situation auf dem Sendlingertorplatz befrieden könnten, wenn Sie der Gruppe der Refugees dort in einer Art „Dekret streitbarer Barmherzigkeit“ das Bleiberecht in der Stadt erteilen und sie zugleich mit der Aufgabe in die Verantwortung nehmen würden, in enger Zusammenarbeit mit Ihnen und den zuständigen Stellen den Aufbau einer Selbstverwaltung der Flüchtlinge praktisch und organisatorisch zu entwickeln und umzusetzen. Die Menschen auf dem Sendlinger­torplatz verstehen sich meiner Kenntnis nach nicht als Bittsteller, sondern fordern selbstbewusst ihre Beteiligung an der Gesellschaft, verfügen über Qualifikationen und sind mehr als bereit, sich bei den Lösungen ihrer Probleme praktisch zu engagieren. Ihre Arbeit am Aufbau einer zukunftsweisenden Selbstverwaltung wäre sowohl ihr Beitrag zur Integration als auch zur Absicherung ihrer materiellen Existenz.

Es wäre ein Modellversuch, der davon ausgeht, das grundsätzlich jedem Flüchtling das Bleibe-
recht erteilt wird, und nur entzogen werden kann, wenn er nachweislich gegenüber den Behörden falsche Angaben zu den Gründen seiner Flucht gemacht hat. Die Umkehrung der Beweispflicht würde die unerträglich langen Wartezeiten das Asylverfahrens auf eine zumutbare Zeit der be-
hördlichen Registrierung verkürzen.

Bitte verstehen Sie diese Anregung als einen Beitrag im Sinne des Selbstverständnisses der Stadt: München ist bunt.

Mit besten Grüßen
Ihr
peter weismann

in Kopie u.a. an: Fritz Schösser, Bundestagsabgeordneter – Mathias Jena, DGB-Vorsitzender in Bayern – Kardinal Reinhard Marx – Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm – Erzpriester Apostolos Malamoussis – Münchner Flüchtlingsrat


zugesandt am 27. November 2014

Überraschung

Jahr: 2014
Bereich: Flüchtlinge