Flusslandschaft 1954

Bürgerrechte

Artikel 10 des Grundgesetzes formuliert unmissverständlich: »Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen dürfen nur aufgrund eines Gesetzes angeordnet werden.« Im Oktober 1954 finden die Pariser Verhandlungen über die Westintegration der Bundesrepublik statt. »… Da die Bundesregierung aus innenpolitischen Gründen trotz mehrfa-
cher Aufforderungen der Besatzungsmächte nicht bereit und in der Lage war, die bis dahin von den Alliierten durchgeführten Überwachungsmaßnahmen mit Erlangung einer beschränkten Souverä-
nität in vollem Umfang für den Westen zu übernehmen, bestanden die Drei Mächte auf Beibehal-
tung ihres Rechts zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs in der Bundesrepublik. Bun-
deskanzler Adenauer schlug daraufhin vor, den Katalog der alliierten Vorbehaltsrechte durch einen neuen Überwachungsvorbehalt der Alliierten zu erweitern. Das, was das Grundgesetz strikt unter-
sagte, die Beschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses zu nachrichtendienstlichen Zwek-
ken ohne ein entsprechendes Gesetzes, sollte durch Fortgelten alliierten Besatzungsrechts auch künftig möglich bleiben. Wurde die beschränkte Souveränität, die die Bundesrepublik mit Inkraft-
treten der Westverträge am 5. Mai 1955 erhielt, durch einen Verfassungsbruch des Bundeskanzlers erkauft? …«1 Von den Anfangsjahren der Bundesrepublik bis zum Ende der 60er Jahre wurden jährlich um die 100.000 Postsendungen, die in der BRD aufgegeben wurden, aus dem Verkehr ge-
zogen. »Die quellenmäßig belegten Postkontrollen durch die Amerikaner betrafen allein in den Jahren 1960 bis 1968 etwa 50 Millionen Postsendungen.«2

»Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei in Bayern (Polizeiaufgabengesetz — PAG —) vom 16. Oktober 1954 … Art. 42 (1) Der Gebrauch von Schusswaffen ist außer in den Fällen der Notwehr und des Notstandes sowie in den durch andere Gesetze geregelten Fällen nur zulässig … 5. gegen eine Menschenansammlung, aus der heraus Gewalttätigkeiten begangen werden oder unmittelbar bevorstehen, wenn die Anwendung unmittelbaren Zwanges gegen bestimmte Teil-
nehmer der Menschenansammlung offensichtlich keinen Erfolg verspricht …Art. 44 (1) Der Ge-
brauch von Schusswaffen ist außer in den Fällen der Notwehr und des Notstandes stets unmit-
telbar vorher anzudrohen. (2) Als Androhung kann ein Warnschuss abgegeben werden, wenn es die Umstände erfordern. Bei Menschenansammlungen sind in diesem Fall mindestens zwei Schüsse abzugeben …«3

(zuletzt geändert am 15.1.2021)


1 Josef Foschepoth, Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik, Göttingen 2014, 14 f.

2 A.a.O., 8.

3 Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl) 23/1954, 237 ff.

Überraschung

Jahr: 1954
Bereich: Bürgerrechte