Flusslandschaft 2015

Medien


Max Goldt: „BILD ist ein Organ der Niedertracht.“ – Hans Leyendecker: „BILD ist ein Drecksblatt und ein Lügenblatt.“

Die „Troika“ (EU-Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfond) hat bislang alle Vorschläge der neuen griechischen Regierung, die Schulden neu zu verhandeln und eine europäische Schuldenkonferenz einzuberufen, abgelehnt. Dasselbe gilt für den Vorschlag, die Rückzahlung der Schulden an die wirtschaftliche Entwicklung zu knüpfen. Wenn sich aber Pre-
mierminister Tsipras nach Moskau und sein Vize Dragasakis nach Peking aufmachen, um neue Finanzquellen zu erschließen, dann ist das Geschrei über die „undankbaren Griechen“ groß. Die deutsche Presse und vor allem die Bild-Zeitung veröffentlicht zahllose tendenziöse Artikel mit teilweise rassistischen Vorurteilen und volksverhetzenden Sprüchen. Das Blatt ruft Tag für Tag
zur Gewalt auf, es träufelt Tag für Tag Hass in die Gehirne. Es ist die Gazette mit den meisten Rügen des Deutschen Presserats. Am 29. Mai demonstrieren drei Dutzend Menschen vor der Bild-Lokalredaktion auf dem Isartorplatz.1

Bei den Pegida-Protesten skandieren die Empörten „Lügenpresse, Lügenpresse“. Ihr Zorn richtet sich gegen Medien, vor allem gegen die öffentlich-rechtlichen, die sich angeblich einem politisch korrekten Maßstab unterwerfen. In einem Punkt haben die Pegidisten allerdings Recht: Mit mini-
malen Ausnahmen zeichnen die Medien ein penetrantes Bild, das davon berichtet, dass „wir die Guten sind“ und Putin und Russland die allein Schuldigen. Gerade die Berichterstattung über die Vorgänge in der Ukraine strotz vor Schwarzweißmalerei. Was passiert hier? Es geht um Framing bzw. Frame-Setting. Frame heißt Gefüge, Körper. Framing können wir mit Einfassung oder Ein-
rahmung übersetzen. Das Filtern und Aufbereiten von Informationen ist entscheidend für die Be-
wertung von Ereignissen und Sachverhalten. So werden Denkmuster eingeübt, Assoziationen her-
vorgerufen, das Unterbewusste aktiviert. Framing bedeutet, dass Themen nicht in ihrer Komplexi-
tät vermittelt, sondern durch Blickwinkel normiert werden. Ziel ist es, Motivation und Verhalten in eine gewünschte Richtung zu lenken. Was gezielte Gleichschaltung ist, gilt bei denen, die hier ihre Interessen auf indirektem Wege erreichen, als, wie sie selber sagen, „konsonante Medien-Frames“. Und diese Manipulation durchschauen immer mehr Menschen. Warum also sollen sich Linksalter-
native davon abhalten lassen, die Lügenpresse als „Lügenpresse“ zu bezeichnen.

Prof. Dr. Rainer Mausfeld fragt in einem Vortrag „Warum schweigen die Lämmer? Demokratie, Psychologie und Empörungsmanagement“, mit welchen Methoden die Machteliten in ihrer Angst vor dem Volk bemüht sind, den Status quo aufrechtzuerhalten: „Für die Stabilität des gegenwär-
tigen Status politischer Eliten ist es … wichtig, die Illusion von Demokratie als einer »necessary illusion« aufrechtzuerhalten. Notwendige Voraussetzung: eine weitgehend entpolitisierte und von Apathie und Zynismus befallene Bevölkerung. Geeignete Techniken dazu sind: – Apathie-Indukti-
on (durch Sorgen um finanziellen Lebensunterhalt, Ängste/»fear-mongering«, Konsumismus …) – Techniken des Meinungsmanagements – Techniken des Empörungsmanagements“ Für das Mei-
nungsmanagement ist konstitutiv: Deklariere Fakten als Meinungen und fragmentiere die Darstel-
lung eigentlich zusammenhängender Fakten dergestalt, dass der Sinnzusammenhang, z.B. die ge-
schichtliche Kontinuität, verloren geht. Dann ist es nötig, Fakten zu dekontextualisieren. „Dadurch werden Fakten aus dem Zusammenhang gerissen, der allein ihr Verständnis erlaubt, und werden zu isolierten »Einzelfällen« ohne moralische und politische Implikationen.“ Und es ist sinnvoll, Fakten zu rekontextualisieren. „Dadurch werden Fakten in einen fremden Sinnzusammenhang eingebettet, der sie als etwas anderes erscheinen läßt als das, was sie tatsächlich sind, so dass z.B. Folter und schwere Menschenrechtsverletzungen ihre natürliche Empörungsfunktion verlieren.“ Zur Psychologie: Je öfter etwas behauptet wird, auch wenn es zu Beginn als falsch deklariert wur-
de, desto massiver wird es als wahr akzeptiert. Und: „Je weniger wir uns in einem Bereich ausken-
nen, umso stärker neigen wir dazu, alle angetroffenen Meinungen als GLEICHBERECHTIGT an-
zusehen. Wir integrieren dann gleichsam über das angebotene Spektrum und suchen die »Wahr-
heit« irgendwo in der Mitte, d.h. wir meiden die als »extrem« angesehenen Ränder des beobachte-
ten Meinungsspektrums (auch wenn tatsächlich die »richtige« Auffassung dort verortet ist). Wer also den Bereich des öffentlichen Meinungsspektrums festlegen kann, bestimmt auch die Gruppen-
meinung und insbesondere die Urteile über das, was als »extrem« anzusehen ist.“2

Am Ende des Jahres betrachtet David Goeßmann Funktion und Verhalten der Massenmedien: „… Wer sich anschaut, wer die Medien besitzt, finanziert, managt, den notwendigen Strom an Infor-
mationen und Nachrichten täglich bereitstellt oder sie mit ‘Gegenfeuer’ beeinflussen und diszipli-
nieren kann, der sollte die Zeitung morgens mit einer tiefen Grundskepsis aufschlagen oder die Nachrichten anschalten. (…) Man kann natürlich auch dem Idealismus der ‚freien Presse‘ folgen. Das ist die Grundhaltung, die uns anerzogen worden ist. Sie macht jedoch keinen Sinn. Ich meine, die gesellschaftlichen Machtverhältnisse enden ja nicht auf wunderbare Weise an den Toren der Medienunternehmen und Rundfunkanstalten …“3

(zuletzt geändert am 28.2.2019)


1 Siehe Bilder von der Demonstration vor der „bild-lokalredaktion“ am 29. Mai von Franz Gans und www.bildblog.de/tag/pleite-griechen/.

2 Siehe https://www.youtube.com/watch?v=QlMsEmpdC0E, https://www.youtube.com/watch?v=KNt8HWY0Eto, http://www.nachdenkseiten.de/?p=30286 und https://www.youtube.com/watch?v=4WclOOZuyjA.

3 www.nachdenkseiten.de/?p=30135

Überraschung

Jahr: 2015
Bereich: Medien