Materialien 2015

Ausflug zum Schloss Nymphenburg

Offenbar wurde es ihnen dann doch zu heiß. Ursprünglich waren die lieben Münchnerinnen und Münchner zum öffentlichen Gelöbnis der Offiziersanwärterinnen und -wärter der Bundeswehr vor der Kulisse des Nymphenburger Schlosses herzlich eingeladen worden.

Dann machte eine Information die Runde, der zu Folge einige liebe Münchnerinnen und Münchner den feierlichen Akt stören könnten.

In einem Flugblatt stand:

„Seit geraumer Zeit versucht die Bundeswehr-Führung ihr ramponiertes Image durch Aufmärsche mit klingendem Spiel bei Zapfenstreichen und Appellen im öffentlichen Raum aufzupolieren. Nach dem Rekrutengelöbnis auf dem Marienplatz und dem umstrittenen Brimborium im Hofgarten 2012 vor der martialischen ‘Heldengruft’ an der Staatskanzlei nun vor dem Nymphenburger Schloss. Wie um glorreiche Zeiten des Militarismus wieder aufleben zu lassen, die allesamt desa-
strös endeten! Schon seltsam, dass es die angeblich so demokratische „Parlaments-Armee“ wie magisch ausgerechnet vor feudale Kulissen zieht.

So wird die Beförderung von Offiziersanwärtern als öffentliches Militärschauspiel, als Propaganda-
Show für das Soldatische und damit als Reklame für den Krieg inszeniert. Seit 1999 steht die Bun-
deswehr an diversen Fronten in blutigen Auslandseinsätzen. Dabei haben ihre verfassungswidrigen Kriegseinsätze mit Landesverteidigung nicht das Geringste zu tun. Ihre Out-of-area-“Missionen“ bringen weder Demokratie noch Menschenrechte in die Welt, und schon gar keinen Frieden. Sie produzieren nur massenhaft Zerstörung, Verkrüppelung, Tod und tausendfaches Leid. Und jede Menge traumatisierter Soldatinnen und Soldaten.

Wir lehnen diese staatlich organisierte Hofierung des Soldatentums und jede Kriegsverherrlichung entschieden ab. Dieses militärische Schauspiel verdient weder Beifall noch schweigende Zustim-
mung – sondern den lautstarken Protest der Münchner Bevölkerung. Den wird sich die Bundes-
wehr wohl oder übel gefallen lassen müssen, solange sie sich mit derartigen Spektakeln publikums-
trächtig in Szene zu setzen erdreistet. Außerhalb ihrer Kasernen hat sie nichts zu suchen.“

Da wurde mit Sicherheit hinter den Kulissen heftig diskutiert: Einerseits soll das ein öffentliches Gelöbnis sein, denn die Bundeswehr „ist ja in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, fühlt sich hier sozusagen zu Hause und pudelwohl, andererseits kommt es ganz sicher zu hässlichen Stö-
rungen, das kennt man ja. Verrückte mit Trillerpfeifen, unverständlichen Parolen und Zetteln in den Händen, auf denen 2.000 Jahre alte Weisheiten auf Latein stehen.

Schließlich setzten sich die Angsthasen durch. Kurzerhand erklärte am Tag zuvor der Veranstalter seine Veranstaltung zur Privatsache. Rein kam nur noch, wer eingeladen war und seine Einladung dabei hatte. Die lieben Münchnerinnen und Münchner mussten draußen bleiben. Und wir Stö-
renfriede natürlich auch.

Zunächst wies man uns, die wir unser Recht auf Protest wahrnehmen wollten, einen Platz im östlichen Schlossrondell zu. Man schickte uns so weit wie möglich weg vom Festakt. Und auch der Westwind sollte dafür sorgen, dass unsere ansonsten lautstarke Anwesenheit vor dem Schloss nicht zu hören war. Zum Glück war der Motorrad-Club „Kuhle Wampe“ bei uns eingetroffen, so dass das klingende Spiel der Militärkapelle mit einigen dissonanten Untertönen unterlegt wurde.

Wir konnten von unserem Platz aus nur mit Hilfe eines Teleobjektivs das Geschehen verfolgen. Umgekehrt wurden wir auch aus der Nähe äußerst scharf beobachtet. Der polizeilichen Ein-
satzleitung war klar, von uns war nichts zu befürchten.

Und so konnten einige von uns mit unschuldsvollem Blick bis zur Absperrung vor spazieren und wenigstens hier unsere abweichende Meinung ein wenig kund tun.

Manche Familien hatten sich ins Festtagsgewand geworfen, der Vater in seine Tracht, die Mutter ins Lodenkostüm, die Kinder fein herausgeputzt. An der Sperre wurden sie abgewiesen. Sogar die, die von weither gefahren kamen. Da zitterte die bürgerliche Stimme vor Erregung: „Erst wer ma eingladn, dann deaf ma ned nei! So a Sauerei!“ Uns streifte dabei ein böser Seitenblick.

Es gab interessante Begegnungen. Für einen alten Hasen wie mich, der sich seit Jahrzehnten in
der Sado-Maso-Szene herumtreibt, war der Anblick von uniformierten, ahnungslosen „Kindern“ zutiefst erschreckend. Dieser Schrecken verwandelte sich dann in erstauntes Entsetzen, als er teutsche Soldatinnen mit einer geglückten Kombination aus teutschen Zöpfen und Dutt mit schwarzen eleganten High Heels entdeckte.

Sie glaubten, alles unter Kontrolle zu haben. Auch uns. Einer von uns aber, Günter Wangerin, war schon sehr frühzeitig da, trug ein kleines Treppchen, Brille, Anzug, hellblaues Hemd und blauen Schlips und schien der typisch stolze Vater eines Offizieranwärters zu sein. So schlüpfte er durch die Sperren, konnte sich beim Aufmarsch der Uniformen auf die Staffelei stellen, seine Gauck-Mas-
ke überziehen und die Soldatinnen und Soldaten begrüßen.

Was dann geschah, berichtet er selber:

„Wer nicht jubelt über militärisches Gepränge, wird abgeführt … Ich habe etwas gegen Tsching-
derassa Bummbumm. Deswegen bin ich nach der freundlichen Einladung durch Herrn Brauns von der Bundeswehr-Universität am Samstag morgen zum Nymphenburger Schloss gegangen und habe mir erlaubt, in Vertretung unseres Präsidenten, die Anwesenden in Maske mit eisernem Kreuz zu begrüßen. Kaum aber hatte ich nach klingendem Spiel mein ‘Habt Acht’ gerufen und salutiert, stießen mich zwei Feldjäger ohne Warnung mehr als unsanft von meinem kleinen Podestchen auf den Boden. Das tut weh, denn die beiden Herren waren wirklich nicht zimperlich, ein Glück, dass ich (Jahrgang 45) mir dabei nichts brach. Obwohl ich sofort beteuerte, den schwerbewaffneten jungen Männern nichts zu tun, knieten sie sich auf mich, drehten mir die Arme auf den Rücken – das haben sie wirklich drauf! –, drückten mir die Nase hoch, den Hals nach rechts und links und führten mich schließlich in Handschellen ab. Das Ganze ohne Gegenwehr, denn ich weiß ja, wie schnell man wegen Widerstand dran ist. Festnahme durch die Polizei, sehr viel freundlicher diesmal, muss ich sagen. Die Anzeige lautet Hausfriedensbruch. Warum weiß ich nicht. Ich war doch eingeladen.“

Hinterher meinte eine ältere Dame: „Dass sie soviel Angst vor unserem harmlosen Protest haben, ist eigentlich erstaunlich. Dass sie so reagieren, zeigt uns, dass wir Recht haben. Heute sind wir nur fünfzig, morgen …“


Die fünf Fotos von Günter Wangerin machte ein zufällig anwesender Besucher, der Text und die anderen Fotos stammen von Günther Gerstenberg.

Überraschung

Jahr: 2015
Bereich: Frieden/Abrüstung