Materialien 1982
Sprache der Bewegung - in Bewegung
Zur Sprachpolitik der neuen Jugendbewegung
Der folgende Beitrag behandelt das Sprachverständnis der neuen Jugendbewegungen. Er ver-
sucht, die sprachliche Protesthaltung der Jugendlichen jenseits der falschen Alternative von politisch-strategischer “Einschätzung” und linkspastoralem “Verständnis” zu diskutieren: nämlich einfach zu sagen, was daran richtig und auch, was problematisch erscheint.
Grundsätzlich zunächst dies: Ich halte die gängige, auch unter Linken nur allzu verbreitete These von der “Sprachlosigkeit” des heutigen Jugendprotests für reine Zweckpropaganda. Wer sie ver-
tritt, sollte erst einmal lernen, genau hinzuhören: Diese neue Fundamentalopposition ist weder sprachlos noch ungerichtet, sie entwickelt vielmehr eine solche Vielfalt (nicht nur, aber auch) von Sprachaktivitäten, von der die Sprachstrategen der herrschenden Politik nicht einmal träumen. Gewiß, es mangelt dieser Sprache an “Geschliffenheit” und “argumentativer Stringenz”, das be-
deutet aber keineswegs, daß die ungeschliffenen, eher aus der unmittelbaren Betroffenheit heraus formulierten Argumente keine wären.
Zweierlei Öffentlichkeit
Allerdings verweigern sich die Jugendlichen recht konsequent einer Diskussion mit den “Etablier-
ten”, vor allem den Trägern der etablierten Politik. Was diese nicht nur kränkt, sondern in einem ihrer effektivsten Machtmittel bedroht: der öffentlich inszenierten Selbstdarstellung, des massen-
medial aufgeblähten Scheins, sie hätten was zu sagen. Im Klartext: Die Jugendlichen haben die Frechheit, nicht mit Politikern diskutieren zu wollen, deren einziges (oder zumindest vorrangiges) lnteresse an der Diskussion darin besteht, nachher öffentlich legitimiert behaupten zu können, sie hätten ja mit den Jugendfichen diskutiert, es habe aber leider nichts genützt, deshalb müsse man jetzt eben andere Saiten aufziehen …
Die Jugendlichen sperren sich also einfach – und wie ich meine: mit guten Gründen – gegen eine Beteiligung an solchen Diskussions- und Öffentlichkeitsräumen, in denen aus ihrer Sicht die Fol-
genlosigkeit auch der besseren Argumente schon von vornherein feststeht. Sie wollen sich nicht, egal was sie sagen, für die Selbstinszenierungszwecke der anderen Politik einspannen lassen. Eher schon wollen sie die Politiker bei ihrem Geschäft stören.
In dieser Frontstellung besteht ein zentrales Anliegen der Protestbewegung der Jugendlichen gerade im phantasievollen Unterlaufen, im Aufsprengen der offiziellen Sprachregelungen selbst; eben darauf verwenden sie mit Vorliebe ihren Einfallsreichtum. Dabei reicht das Spektrum der angewandten Sprachspiele und Verfremdungsverfahren von der einfachen Technik der Kontext-
verschiebung, die im neuen Sinnzusammenhang den faktischen Herrschaftsgehalt der “demo-
kratischen” Redefloskeln enthüllt, über situationale Unterlaufungsstrategien bei Politikerauf-
tritten, etwa gezieltes Klatschen bei Bindewörtern und Pausen, kokette Provokationen: Die Zürcher Polizisten sollten doch “ihre blaue Reizwäsche ausziehen” bis hin zu absurden (“Grönland”) oder auch solid anarchistischen Parolen (“Keine Macht für niemand!”), die neben dem spezifischen Rationalitätsverständnis der bürgerlichen Politik eben auch deren bierernste Bürokratenmentalität aufs Korn nehmen.
Sprachmächtigkeit und Verweigerung
Auffälliger noch als in solchen Sprachhappenings zeigt sich die sprachliche Kreativität der Bewe-
gung jedoch in ihren zentralen Programmformulierungen selbst. Der Begriff “Instandbesetzung” etwa ist ein außerordentlich rationales Verdichtungssymbol: er formuliert sehr genau den Gegensatz zwischen einem quasi-naturrechtlichen Anspruch auf Erhaltung gesellschaftlich geschaffener Werte (marxistisch: Gebrauchswerte) und dem partikular-parasitären Interesse an einem finanzspekulativen Umgang mit Wohnraum, mag dieses Interesse durch das bestehende Haus- und Eigentumsrecht auch noch so abgedeckt und geschützt sein. Gerade der ja stets unterstellte Anspruch auf Verallgemeinerbarkeit der im geltenden Recht und in der Politik ausgedrückten Interessen wird in diesem Begriff ebenso phantasievoll wie aufklärerisch in Zweifel gezogen.
Nicht zufällig haben deshalb auch die Sprecher der etablierten Parteien gerade in dieser Wort-
schöpfung einen Frontalangriff auf das von ihnen repräsentierte Deutungssystem gesehen und gingen sofort zum semantischen Gegenangriff über: Die “sogenannten Instandbesetzer” seien in Wirklichkeit “Kaputtbesetzer” – woraufhin die Hausbesetzer freilich sofort den alten Deutungs-
dissens wieder in Kraft setzten, indem sie klarstellten, Instandbesetzen richte sich gerade gegen das “Kaputtbesitzen” dringend benötigten Wohnraums.
Wer hier “in diesem unserem Land” also die Sprache verschrottet: diejenigen, die die politische Bedeutung der Begriffe immer schon in ihrem eigenen Herrschafts- oder zumindest Repräsen-
tanteninteresse festlegen, oder diejenigen, die diese Bedeutungen durchaus auch mit sprachlich-
kreativen Mitteln unterlaufen und verändern – dies scheint mir jedenfalls keine Frage zu sein. Und dennoch birgt gerade das spielerische Durchbrechen der politischen Sprachregelungen auch für die Jugendlichen selbst, für die weitere Entwicklung und Verbreitung ihrer Bewegung gleichzeitig ein hohes Risiko: dies besteht grundsätzlich darin, dass die Jugendlichen die politische Entfaltung ihrer eigenen Sprache eben auch dadurch blockieren können, daß sich ihre Sprache schließlich nur noch aus der Ablehnung der Sprache der Herrschenden speist, der sie sich in Kreisgesprächen versichern; dass sie, indem sie nur noch die metaphorisch entgrenzte, auch gestisch-körperlich verschwimmende Sprache der Auflösung der herrschenden Sprachregelungen beherrschen, zu einer rationalen, moralisch ausgewiesenen und verallgemeinerungsfähigen Formulierung ihrer eigenen Ziele und Interessen dann nicht mehr in der Lage sind. (Dass damit zugleich auch allerlei Einfallstore für politischen Irrationalismus, religiöse Sektenbildung usw. aufgestoßen werden, versteht sich nach dem Gesagten von selbst.)
Rationaler Konsens versus Fetisch der “Bewegung”
Die zentrale Gefahr einer solchen Sprachstrategie sehe ich also darin, daß – soziologisch gespro-
chen – mit der (durchaus legitimierbaren) Ablehnung fremdbestimmter Öffentlichkeitsformen gleichzeitig auch das Prinzip der Öffentlichkeit selbst destruiert werden kann, dass also die Ab-
lehnung der herrschenden Argumentationsmuster und -räume letztlich in eine Demontage des Prinzips rationaler Argumentation überhaupt umschlägt. Dass von wirklich demokratischen Gesellschaftsverhältnissen faktisch immer nur dort gesprochen werden kann, wo Entscheidungen in letzter Instanz nur durch den “zwanglosen Zwang des besseren Arguments” (Habermas) legitimiert werden können, ist eine Wahrheit, an der nicht nur gegen die Scheindiskussionen der herrschenden Politik, sondern auch gegen die subjektivistische Protestmentalität der Jugendlichen festgehalten werden muß.
Schlägt nämlich die Abneigung gegenüber der Sprache der Politik als generelle Verweigerung und Geringschätzung von Diskussion überhaupt auch ins Innere der Bewegung durch, so gibt es letzlich keinen rationalen Maßstab für ihren demokratischen Charakter mehr: Eine diskursive Vereinheit-
lichung der Bewegung auf ihre Ziele findet dann, trotz ständiger selbstbespiegelnder Dauerkom-
munikation, nicht mehr statt. Statt dessen lebt die Bewegung von der immer neuen Herstellung situationaler (meist gewalttätiger) Arrangements, die nicht beliebig wiederholbar sind; sie bestätigt sich nur noch in ihrer eigenen Militanz. Das heißt: auch sie fängt an, sich selbst zu inszenieren.
Parallel dazu entwickelt sich bei den Individuen die Neigung, “die Bewegung” zu einem eigenstän-
digen, von ihnen unabhängigen Subjekt zu stilisieren und sich selbst, entlastet von Entscheidungs-
druck und individueller Veranwortung, bewegungsbewegt in ihr treiben zu lassen. Damit aber wäre der gesellschaftliche Protest- und Emanzipationsgehalt der Bewegung am Ende wieder auf eine subkulturelle Verweigerungshaltung reduziert, die immer nur in Form neuer Moden verallgemei-
nerungsfähig wäre und sich dadurch verbreitern könnte. Ein radikaldemokratisch verändertes Prinzip politischer Entscheidungsfindung wäre damit gerade nicht durchgesetzt.
Rainer Paris
links. Sozialistische Zeitung 145 vom April 1982, 14.