Materialien 1987

Akustischer Kolonialismus

Private Radiostationen – das Beispiel München

In der Region München konnten bis 1985 über UKW nur der Bayerische Rundfunk mit seinen verschiedenen Programmen und das Programm von Studio Salzburg des ORF ohne größere Schwierigkeiten empfangen werden. Die Schleusen für eine Privatisierung des Hörfunks wurden dann mit dem Ende 1984 in Kraft getretenen „Medienerprobungs- und Entwicklungsgesetz“ geöffnet. Heute, nach zweijährigem legalisierten Privatrundfunk, existieren in München nach einer Übersicht des „Journalisten“ (Mitgliederzeitschrift des Deutschen Journalistenverbandes) vom Mai ’87 acht private Sender, die sich die bislang zugelassenen vier Hörfunkfrequenzen untereinan-
der teilen. Für eine fünfte Frequenz, die ursprünglich Ende des Jahres ’87 zugelassen werden sollte, haben sich inzwischen 35 Bewerber bei der „Münchner Gesellschaft für Kabelkommuni-
kation“ gemeldet, die wiederum kontrolliert wird von dem stark CSU-majorisierten „Medienrat der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien“. Dieser Medienrat entscheidet entsprechend dem „Medienerprobungsgesetz“ alleine über die Zulassung von Bewerbern für die Betreibung einer privaten Rundfunkstation. Zu den Bewerbern gehören u.a. Konstantin Wecker, eine linke Initiative aus der Münchener Alternativszene (Radio LORA) und jede Menge seidene bis halbseidene Par-
venüs aus der Münchner Kir-Royal-Society. Juristische Einsprüche diverser Bewerber haben aber die ersten Sendungen auf der neuen, fünften Frequenz erst einmal in weite Ferne gerückt.

Von den derzeit bestehenden und sendenden Stationen ist „Radio GONG 2000“ mit ca. 22 festen und freien Mitarbeitern mit Abstand der größte Sender. „Radio Charivari“ beschäftigt 15 Mitar-
beiter, während die anderen Sender mit maximal fünf Mitarbeitern ihr Programm in den Äther schicken.

Wie sehen nun die Besitzverhältnisse in der Münchener Radio-Szene im einzelnen aus? Hinter „Radio GONG 2000“ stehen der GONG-Zeitschriftenverlag und die bayerischen Zeitungsverleger mit Ausnahme vom klerikal-konservativen „Münchener Merkur“ und seiner Boulevardzeitung „tz“. Der „Merkur“-„tz"-Gruppe gehört mehrheitlich „Radio Charivari“. Besitzer von „Radio 1“ ist ein Konsortium mehrerer großer überregionaler Zeitschriftenverlage (Burda, Bauer, Springer, Gruner & Jahr), dem Kinotheaterboss Kirch und dem finanzstarken Telefonbuchverlag Müller. ,,Radio 2Day" wird von der Verlagsgruppe Holtzbrink unterhalten. Die anderen privaten Hörfunkstationen werden im wesentlichen von entsprechend finanzstarken Rechtsanwaltbüros und Werbefirmen betrieben.

Der Strauß-Clan ist, mit bislang allerdings wenig Erfolg, vor allem im privaten Fernsehgeschäft engagiert. Pro Monat, so hört man aus Insider-Kreisen, erwirtschaftet der Sender mit dem be-
zeichnenden Namen „TV Weiß-Blau“, trotz der väterlichen Fürsprache von Strauß sen., zwischen 400.000 und 800.000 DM Verlust. Für September ist bei diesem Sender eine größere Entlas-
sungswelle angekündigt, nach der noch nicht sicher ist, ob der Sender dann überhaupt aufrecht-
erhalten werden kann.

Kommen wir aber zurück zum Rundfunk. Ende 1987 wird ein erster Sender mit landesweitem Rundfunkprogramm in Betrieb gehen. „Radio Bayern“, so wird der Sender heißen, wird finanziert von den Medienkonzernen Burda, Springer, Bertelsmann, Gruner & Jahr, der Mediengesellschaft Bayerischer Zeitungsverleger, dem Telefonbuchverleger Oschmann (der ist immer dabei), einem neu gegründeten Unternehmen des GONG-Chefredakteurs Markwort und einem Sponsor mit dem geheimnisvollen Namen „Arbeitsgemeinschaft Amperwelle/TÜV-Akademie“. Nach der Hörfunk-
satzung des Bayerischen Medienrates müssen sich dann einige der Anteilseigner von „Radio Bayern“ aus dem lokalen Rundfunkgeschäft in München und in anderen bayerischen Städten zurückziehen. Über extra aus diesem Grund gegründeten neuen Deckfirmen ist aber für diesen Fall bereits vorgesorgt, dass das dicke Medienkapital trotzdem seine Fäden im lokalen Rundfunkge-
schäft weiterspinnen kann.

Noch erleben wir derzeit, so lassen sich die ökonomischen Aspekte des Privatradiomarktes resumieren, eine eher chaotische ,Gründerzeit’ im Kampf um die Frequenzprofite. Das Medien-
kapital sondiert noch, wie und ob überhaupt auf diesem Markt investiert werden soll. Man experimentiert noch, dilettiert noch viel mehr, bastelt schnell Existenzen auf und lässt sie noch schneller wieder zusammenkrachen. Vor und hinter den Mikrophonen ist der Markt noch unübersichtlich. Aber diese Erprobungszeit wird bald vorbei sein. Die Gerüste für die großen Kartelle auf diesem Sektor der Sinnenindustrie sind bereits weit sichtbar. Zum Beispiel die Expansion des Kirch-Imperiums, das in absehbarer Zeit auch den Springer-Konzern erobert haben wird und einen „umfassenden Medienverbund nach dem Modell ausländischer Konzerne“ plant (vgl. hierzu FAZ, 25.7.1987).

Surf- und Tenniswetter

Die Qualität der von den einzelnen Rundfunkstationen ausgestrahlten Programme ist am besten ablesbar an der Programmübersicht eines einzelnen Senders an einem willkürlichen herausge-
suchten Tag. Am 3. Mai dieses Jahres sendete „Radio GONG 2000“ folgendes Programm:

Um 5 Uhr „Die Sonne geht auf“, um 7 Uhr „Morgens um 7“, um 9 Uhr „Musik, Music, Musique, la Musica“, um 11 Uhr „Grüße aus Hollywood“, um 12 Uhr „Start ins Glück“ (ein Spiel für Schnell-
denker), um 14 Uhr „Wünsch Dir was“, um 16 Uhr „Café Schwabing“, um 18 Uhr „Alles easy“, um 19 Uhr „Schon gehört?“ (die besten Scheiben der Woche), um 20 Uhr „Die amerikanische Macht“ (US-Hitparade), um 23 Uhr „Kopfhörer“ („Ungewöhnliche Musik für Freaks“) und um 1 Uhr schließlich „Nachtschwärmer“. Von diesem Programmschema weicht keiner der anderen privaten Sender im wesentlichen ab.

Wortbeiträge, für die z.B. bei allen Sendern eine maximale Länge von zwei Minuten als Richtschnur gilt, reduzieren sich auf

҂ flapsig vorgetragene Nachrichten, in denen die Studentenunruhen in Seoul gleichwertig neben irgendwelchen Abstrusitäten aus dem lokalen Polizeibericht stehen;

҂ Wetter- und Verkehrsdurchsagen, die besonders abgestimmt sind auf die Segel-, Surf- und Tennisfreunde unter den Hörern;

҂ Moderation von Musiksendungen, bei denen aktuelle Hitlisten auf dem Popmusikmarkt breit ausgewalzt werden;

҂ Quizspiele, bei denen z.B. nach der schönsten Friseuse in Schwabing und dem größten Wassersportrevier in Bayern gefragt wird;

҂ News, die einem die Orientierung durch die Infrastruktur der Boutiquenszene erleichtern.

Es lässt sich kaum ein Stadtteil in einer westdeutschen Großstadt vorstellen, der medial so engmaschig vernetzt ist, wie Schwabing durch die neuen privaten Rundfunkstationen.

Happy Shopping

Versucht man eine erste Einschätzung der bisherigen Erfahrungen mit dem Programmangebot und der Programmvielfalt der privaten Radios einerseits und ihrer mutmaßlichen Wirkung auf
die Hörer andererseits zu formulieren, so können nur einige Thesen gewagt werden:

Adressat der Programme ist vornehmlich ein urbanes kleinbürgerliches Milieu, dem auch die Programm-Macher entstammen. Dieses Milieu hat eine ausgesprochen konsumistische Lebens-
einstellung, die durch die Programme der Rundfunksender auch bekräftigt und nicht infrage gestellt werden sollen. Hier stehen die Privatradios auch (noch) in einem deutlichen Kontrast zu den etablierten öffentlich-rechtlichen Sendern, die, selbst im Falle des Bayerischen Rundfunks, gesellschaftliche Realität jenseits der Boutiquenszene aus ihrem Programmangebot nicht voll-
ständig ausklammern (können). Zu viele Wortbeiträge, womöglich noch mit sozialkritischem Inhalt, würden nur störend auf die „Rock (und Shopping) around the clock“-Bedürfnisse der Privatfunk-Klientele wirken. Die aggressive Zerstörung jeder Kontinuität, in den wenigen Wort-
beiträgen genauso wie in den alles erdrückenden Rockmusikeinspielungen, durch Werbespots und Nonsens-Sprüche, stumpft den Sinnesapparat der Hörer extrem ab. Eine Wortmoderation, die die Zwei-Minuten-Schallgrenze überschreitet, muss der so konditionierte Hörer als einen unmittelba-
ren Angriff auf seine Wahrnehmungsgewohnheiten interpretieren und durch Abschalten oder (in aller Regel) Wahl eines anderen Programms zurückweisen. Diese extreme Zerstückelung jeglicher akustischer Wahrnehmung hat selbst die konservativen Medienexperten der CSU geschockt, als sie sich selbst einmal für eine begrenzte Zeit den Produktionen derjenigen Radiosender aussetzten, die sie politisch seit Jahren protegieren.

Die neuen Sender vernetzen mit ihrer Art eines ,akustischen Kolonialismus’ möglichst viele Pro-
duktions-, Reproduktions- und Distributionsräume der Stadt untereinander. Sie machen diese nicht transparenter und damit einer Kritik zugänglicher, sondern nur durchdringlicher zum Zwecke einer reibungsloseren Warenzirkulation. Die neuen privaten Radiostationen gehören zu den Schlüsselmedien, mit denen die Kommunikationsformen der Bistros, Boutiquen und Ten-
nisplätze zu den hegemonialen in der ganzen Stadt werden sollen. Egalität zwischen Geschlechtern, Generationen und verschiedenen sozialen Milieus, in der politischen Grammatik der Linken noch als ein emanzipatorischer Fortschritt definiert, wird in der Philosophie der Produzenten des kommerziellen Rundfunks aggressiv für die Animation zur Teilnahme am kapitalistischen Waren-
verkehr instrumentalisiert.

So interpretiert sind die privaten Radios wirklich Medien auf der Höhe der Zeit, während die öffentlich-rechtlichen Medien mit ihrem Anspruch, Teil bürgerlicher Öffentlichkeit zu sein, als antiquiert und konservativ zu bezeichnen wären. Dass, diese Anmerkung ist an dieser Stelle unumgänglich, private Radiostationen auch emanzipativen Zielen dienen können und öffentlich-rechtlich verfasste Medien nicht per definitionem ,fortschrittlicher’ als die privaten Medien sind, wird hier nicht weiter ausdiskutiert.

Carl-Wilhelm Macke


links. Sozialistische Zeitung 210 vom September 1987, 19 ff.

Überraschung

Jahr: 1987
Bereich: Medien