Materialien 1981
Wer hat den Strauß wohl abgehängt?
Wieder Ärger mit der Freiheit der Kunst:
Bild von Petrick wurde aus dem Patentamt entfernt
Immer wieder Ärger mit der Freiheit der Kunst im Freistaat Bayern. Auf Veranlassung des brasilianischen Konsulats mußte aus einer Ausstellung im Europäischen Patentamt eine Radierung, auf der unter anderem ein Strauß-Konterfei abgebildet ist, entfernt werden. Der Generalkonsul bestreitet freilich diese Zensur und verweist auf die bayerische Staatskanzlei.
Angefangen hat das Ganze mit einer uneigennützigen Sammlungs-Initiative des brasilianischen Künstlers René B. Lucio, der seine deutschen Kollegen um Kunstspenden zugunsten des durch einen Brand zerstörten Modernen Museums in Rio de Janeiro gebeten hatte. Bevor nun diese 450 Arbeiten nach Rio abgehen, hat Lucio eine Auswahl davon im Patentamt ausgestellt.
Bei der Eröffnung vor zwei Wochen sprachen der Präsident des Hauses, der brasilianische Bot-
schafter, der Münchner Kulturreferent und der Präsident des Goethe-Instituts. Also eine offiziell gelittene und begrüßte Veranstaltung. Doch vor ein paar Tagen entdeckte ein Beamter des Patentamts das Blatt, sah den Ministerpräsidenten beleidigt und informierte Staatskanzlei und Konsulat. Nach Auskunft Lucios soll ihn daraufhin der Generalkonsul gezwungen haben, die Radierung abzuhängen.
Lucio: »Ich wurde förmlich erpreßt. Es war auch von Schwierigkeiten mit der Aufenthalts-
genehmigung die Rede.«
Dazu der Generalkonsul Penner da Cunha: »Wir haben keine Veranlassung gehabt, die Ausstellung von uns aus zu verändern. Rufen Sie bei der Staatskanzlei an.«
Rainer Keßler, Chef der Staatskanzlei: »Ich kenn’ das Bild nicht, habe aber gehört, dass der Mini-
sterpräsident in Verbindung mit Kriegsgestalten zu sehen sein soll. Als ich deswegen den General-
konsul um Einzelheiten bat, sagte mir dieser, er habe bereits die Abhängung veranlaßt. Wir selber haben nichts getan, wir wollten nur erst mal in Erfahrung bringen, worum es geht.«
Nach diesen Auskünften muss sich das Bild von selbst entfernt haben. Der Schwarze Peter hängt in der Luft.
Gezeichnet wurde die inkriminierte Darstellung 1971 von Wolfgang Petrick, Professor in Berlin. Es ist eine Art assoziativer Collage mit zwei Figuren in einem martialischen Labor. Drohende Gesten, brutale Gesichtszüge, eine Gasmaske, ein Eisernes Kreuz, aufgespießte Köpfe und allerlei aggres-
sive Instrumente legen die Interpretation nahe, dass es sich um Militaristen à la George Grosz handeln könnte. Darunter, ziemlich zusammenhanglos, das Porträt von Franz Josef Strauß.
Petrick erklärt: »Das ist eine Arbeit aus einer Künstlermappe, die wir damals zugunsten des wegen einer Strauß-Karikatur verurteilten Rainer Hachfeld gemacht haben. Strauß war seinerzeit eine Negativfigur. Aber das Blatt enthält keine persönliche Diffamierung. Wenn so etwas nicht möglich ist, müßte man auch jede politische Karikatur verbieten.«
Der Jurist Klaus Boele sieht die Sache so: »Eine ausgesprochene Verunglimpfung und Schmäh-
kritik muss niemand hinnehmen, auch eine Person des öffentlichen Lebens nicht. Andererseits haben wir das Recht der Meinungsfreiheit. Dazwischen liegt dieser Fall. Ein Richter müsste diese beiden Rechte gegeneinander abwägen. Das ist letztlich eine Frage der Interpretation.«
Peter M. Bode
Abendzeitung vom 2. Oktober 1981, 23.