Materialien 1992

„Der Kaiser ist ja nackt!“

Das Recht auf Kritik ist ein Menschenrecht. Wer Kritiker ausgrenzt und verlangt: „Wenn es Ihnen nicht passt, dann gehen Sie doch!“ vertritt eine Ideologie des Konsenses, die jede Diskussion unterbindet.

Sind wir Störenfriede, wenn wir diskutieren wollen? Nein. Wer kritische Meinungsäußerungen unterdrückt und uns zu bloßen Fragestellern degradieren will, der darf sich nicht darüber wundern, wenn seine Spielregeln durch Opposition verletzt werden, die sich nicht mundtot machen lässt.

Zu lange schon haben wir geschwiegen. Wir lassen uns nicht mehr gefallen, dass akademische Nullen unsere Öffentlichkeit beherrschen.

Bildung ist ein Recht des Volkes. Es wurde in jahrhundertelangen Kämpfen der Kirche, dem Staat und den Eigentümern unserer Wirtschaft abgerungen. Wer lohnabhängig arbeitende Menschen daran hindert, sich auszusprechen und zu Fragen von Wirtschaft, Kultur und Politik kritisch Stellung zu nehmen, der will sie dumm halten.

Einschüchterung ist die Methode von Herrenmenschen. Sie tun so, als hätten sie auf alles die Antwort. Aber hinter ihrem Blendwerk ist der Kaiser nackt.

Aufklärer sprechen eine andere Sprache. Sie wissen, dass sie sich dem Volk verständlich machen müssen, und hören denen zu, die nach einem anstrengenden Arbeitstag noch den Mut und die Kraft haben, eine Bildungsveranstaltung zu besuchen.

Es ist Zeit für die Aufklärung

Die Wissenschaft vom Menschen steckt noch in den Kinderschuhen. Kritische Geister wie Voltaire, Marx, Adler, Rosa Luxemburg, Brecht, Simone de Beauvoir, Reich, Sartre, Bloch müssten heute ganz kleine Brötchen backen, weil die Maßstäbe, die sie gesetzt haben, verwässert wurden. In den öffentlichen Diskussionen herrscht tiefste Provinz. Und diejenigen, die das Sagen haben, haben nichts zu sagen.

Siegt am Ende doch der Katholizismus über Luther? Ist die amerikanische Lebensweise das Ende der Geschichte? Ist der Informationskanal von Bayern 5 die Widerlegung von Karl Kraus?

Wer so fragt, stellt fest, dass etwas nicht in Ordnung ist. Er stellt fest, dass der Rückzug auf die Familie kein Ersatz ist für den Verlust an Lebensqualität im Berufsleben. Er stellt fest, dass die kleine Welt des Einzelnen immer weniger Freiheitsspielraum enthält, je größer die Zwänge zur Anpassung an die Entscheidungen des anonymen, bürokratisch-technokratischen Staates werden. Er stellt fest, dass das Seelenleben immer stärker unter den Druck seelenloser Mächte gerät, die den Einzelnen zum Roboter machen.

Was sind die Zusammenhänge zwischen unserer Lebensgeschichte und der Geschichte, die andere gemacht haben? Auf welchem Wege erarbeiten wir uns Lösungen für Lebensprobleme? Wer hilft uns, das schmalspurige Denken zu überwinden und Fuß zu fassen in neuen Gedankengängen?

Eine Bürgerinitiative, die Mut macht

Die Aktion Lebensqualität ist eine Bürgerinitiative, die aus der Mieterbewegung hervorgegangen ist. Sie vertritt das soziale Gewissen.

Eine Aktion sind wir geblieben, weil wir mit unseren Informationen dort ansetzen, worüber Tages-
zeitungen, Wochenmagazine, Rundfunk- und Fernsehprogramme schweigen. Und Lebensqualität ist für uns ein uneingelöstes Versprechen auf ein sinnvolles, menschenwürdiges Leben jenseits der Konsumgesellschaft.

Für unsere Mitglieder führen wir politische, philosophische und literarische Seminare durch. Wir haben einen Schreibkurs für Frauen und werden bald auch einen für die Männer durchführen.

Unsere Antwort auf die Fragen unserer Zeit formulieren wir in Arbeitskreisen, die öffentlich sind. Der Arbeitskreis für Frauenpolitik befasst sich mit dem Problemkreis des Patriarchats. Der Ar-
beitskreis für Medienkritik beschäftigt sich mit den vielfältigen Instrumenten der Massenbeein-
flussung. Der Arbeitskreis für Filmkritik will gegen die schleichende Seuche der Gefühlsvergiftung immun machen. Der Arbeitskreis Geschichtswerkstatt soll gegenwärtige Geschichte mit Vergan-
genheitsbewältigung verbinden. Und der Arbeitskreis für Kunstgeschichte soll Maßstäbe setzen für eine menschenfreundliche Kunstbetrachtung.

Das Kulturzentrum der Aktion Lebensqualität

In unserem Kulturzentrum bieten wir Vorträge, Dichterlesungen, Kunstausstellungen und infor-
melle Gespräche an, die zu menschlichen Begegnungen führen und Interessen wecken können.

Unsere Diskussionsabende erfreuen sich immer größerer Beliebtheit, weil unterschiedliche Meinungen ohne Ressentiments ausgesprochen werden dürfen. Wer sein Herz aufmacht, findet immer Gehör.

Unsere Kunstausstellungen stehen unter der Leitung von Frau Joyce Saß-Burke. Sie sind jedes mal ein Höhepunkt unserer Kulturarbeit, die unter dem Motto steht: „Die Kunst zurück zum Volk!“

Die Maßstäbe, die wir mit unseren Ausstellungen setzen, stehen in bewusstem Gegensatz zum heutigen Kunstbetrieb. Mit den Bildern von Heribert Losert, Carl-Heinz Wegert, Gerlinde Teicher-Losert u.a. ist es uns gelungen, Zeichen zu setzen für eine Schönheit, die nicht vom Kommerz bestimmt ist.

Wir verteidigen die Menschenwürde.

Menschenwürde ist Gesundheit.

Verletzung der Menschenwürde macht krank.

Kranke Menschen machen Krieg.

Aus der Satzung der Aktion Lebensqualität e.V.:

1. Der Verein fördert alle Bestrebungen, die darauf abzielen, Menschenrechte und natürliche Umwelt zu verteidigen. Er widmet sich der Erwachsenenbildung, der Friedensforschung, der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Humanisierung der Wissenschaft, der Förderung von Volksgesundheit und Volksbildung sowie der Verwirklichung von Humanität.

2. Der Satzungszweck wird verwirklicht insbesondere durch Veranstaltungen auf wissenschaft-
lichem, kulturellem und sozialtherapeutischem Gebiet, Bildungsveranstaltungen für Ratsuchende in Fragen des Lebensschutzes, der Volksgesundheit und der Lebensqualität, Herausgabe von Flugschriften, Literatur und anderen Veröffentlichungen …


der zeitgenosse 3. Kulturprogramm der Aktion Lebensqualität 1992, Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

Überraschung

Jahr: 1992
Bereich: Religion