Materialien 2015

Laudatio zur Verleihung des Georg-Elser-Preises an Angelika Lex

Liebe Frau Lex,
liebe Familie Lex-Benker,
liebes grün-rot-schwarzes München!

Es tut mir wirklich leid, aber ich muss Sie zunächst mit einer Formalie behelligen. Das haben meine Vorredner leider versäumt, ich finde aber, dass alles seine Ordnung haben sollte.

Durchsage auf Grundlage von Artikel 4 des bayerischen Versammlungsgesetzes: An alle Mitar-
beiter des Staatsschutzes, die sich gerade inkognito in diesem Saal aufhalten: Seien Sie doch bitte so freundlich und gehen Sie ins Erdgeschoss. Begeben Sie sich dort unverzüglich in die Transit-
zone. Zeigen Ihre Einladung vor und lassen sich registrieren. Sobald Sie in Besitz einer gültigen Duldung sind, sind Sie hier bei uns herzlich willkommen. Ende der Durchsage.

Tut mir leid, aber das musste jetzt sein, wir wollen ja nicht, dass Sie schon wieder Ärger kriegen, liebe Staatsschützer.

Apropos Ärger.

Herr Oberbürgermeister, ich lesen Ihnen mal ein Aktenzeichen vor: BY 86 43-00 00 573-14-6. Sagt Ihnen das etwas? Nein? Wissen Sie denn überhaupt, welche Preisträgerin Sie sich heute ausge-
sucht haben? Dieses Aktenzeichen gehört nämlich zu Angelika Lex. Geboren 1958 in Rosenheim, verheiratet, zwei Kinder, Rechtsanwältin von Beruf. Der Staatsschutz ermittelt gegen sie, und das seit eineinhalb Jahren. Das muss was Ernstes sein. Ganz ehrlich, wenn ich jetzt nicht hier stehen, sondern in der Redaktion sitzen würde, ich würde glatt schreiben:

„Prominente Münchner Rechtsanwältin unter Verdacht.“

Ja, Herr Reiter, so ist Ihre Preisträgerin. Irgendwie gefährlich. Bemerkenswert gefährlich.

Ich weiß nicht mehr, wann ich den Namen Lex zum ersten Mal gehört oder gelesen habe. Jeden-
falls war meine letzte Lateinstunde schon lange her, aber diesen Namen konnte ich gerade noch übersetzen. Lex. Und ich erinnere mich, dass ich ihn …. naja, ich will nicht sagen: für einen Fake gehalten habe, aber doch für einen Künstlername. Eine Rechtsanwältin namens Lex. Wie originell!

Als ich ihn dann aber regelmäßig in der Zeitung gelesen und gemerkt hatte, dass er keine Erfindung ist, dachte ich mir: Logisch, diese Frau musste Juristin werden – wenn sie so heißt.

Irgendwann habe ich Angelika Lex dann persönlich kennengelernt, und dann wieder und wieder getroffen. Ich habe sie reden und argumentieren hören, manchmal auch schimpfen, im Café, in ihrer Kanzlei, im Gericht, auf Demonstrationen. Und irgendwann habe ich gemerkt:

Für diese Frau kann es gar keinen anderen Namen geben.

Kann es sein, dass noch gar niemand nach oben in die Transitzone gegangen ist. Hallo? Ist heute Abend vielleicht gar niemand da vom Staatsschutz? Frau Lex, kann es sein, dass Sie die Herrschaf-
ten so eingeschüchtert haben?

Ehrlich gesagt, das würde mich nicht wundern. Mancher kriegt wirklich Bammel, wenn er Angelika Lex sieht oder hört oder ihr gar begegnet. So muss es auch gewesen sein, als sie in Obermenzing aufgetaucht ist, ganz am Stadtrand, vor dem braunen Haus. Vor eineinhalb Jahren war das, und Frau Lex hatte 1.000 Demonstranten im Gefolge. Die haben alle gegen die Nazi-WG demonstriert, Sie erinnern sich, die hatte sich in einem Häuschen da draußen eingenistet.

Frau Lex war dabei, natürlich, auch wenn sie damals ein Gipsbein hatte und gar nicht recht laufen konnte. Sie fuhr einfach im Demo-Lastwagen mit. Zum Schluss hat die Polizei die Demonstranten beim Heimgehen gefilmt.

Und da hat Angelika Lex dann „Nein“ gesagt.

Ich kann mir schon vorstellen, dass sie dieses Nein nicht geflüstert hat, sondern klar und deutlich ausgesprochen. Nein! Offenbar war das zu deutlich. Jedenfalls hat sie den Kamera-Polizisten so beeindruckt, um nicht zu sagen in Angst und Schrecken versetzt, dass der sich nicht anders zu helfen wusste, als sich zu ergeben – und eine Strafanzeige zu schreiben. Seither wird ermittelt. Wegen Störung einer polizeilichen Maßnahme.

Angelika Lex hat an jenem Tag doppelt Nein gesagt: Nein zu Nazis. Und Nein zu staatlichen Eingriffen in die Rechte der Bürger.

Angelika Lex erhält heute den Georg-Elser-Preis, weil sie seit vielen Jahren dieses doppelte Nein klar und deutlich ausspricht: Sie ist immer wieder auf die Straße gegangen und hat dabei das Agieren staatlicher Behörden erlebt. Das hat ihr oft gar nicht gefallen, weshalb sie zu manchem Minister, zu manchen Beamten gesagt hat: So nicht!

Der NSU-Prozess ist das bekannteste Beispiel dafür. In ihm hat Angelika Lex die Witwe des ermor-
deten Theodorus Boulgarides als Nebenklägerin vertreten. Die Anwältin untersuchte das Nazi-
Netzwerk hinter den NSU-Morden ebenso wie das Versagen des Staates. Dieser Prozess hat sie die letzten Jahre rund um die Uhr beschäftigt. Sie wurde hinter den Kulissen zu einer Art Sprecherin und Koordinatorin der Opferfamilien. Bis vor Kurzem noch, solange es ihre Gesundheit erlaubt hat.

Im Vorfeld des NSU-Prozesses, als alle Welt entsetzt war über die peinlichen Pannen der Justiz, hat sich Angelika Lex mit den Richtern zusammengesetzt und überlegt, wie man diesen Prozess so organisiert, dass er für die Opferfamilien nicht zu einer endlosen Tortur wird.

Vor den Kulissen hat sie gegen Neonazis demonstriert und auf Podien über den Verfassungsschutz diskutiert, von dessen Arbeit sie – zurückhaltend formuliert – nicht wirklich überzeugt ist. Ich nehme an, wenn es nach ihr ginge, sollte man die Büros der Geheimdienste jetzt ganz schnell in Notlager für Flüchtlinge umwandeln.

Nun ist es aber keineswegs so, dass unsere Preisträgerin eine Gegnerin dieses Staats wäre, ganz
im Gegenteil. Mindestens genauso viel Freude macht es ihr, diesem Staat behilflich zu sein. Zum Beispiel als Richterin am Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Ja, ja, der Polizistenschreck aus dem Münchner Westen saß seit 1998 viele Jahre im obersten bayerischen Gericht. Die Grünen im Landtag haben die Anwältin auf diesen Posten gewählt.

Immer wieder hat Angelika Lex den Staat und seine Beamten an die Hand genommen und ihnen so manches erklärt. Zum Beispiel, dass die freiheitliche, demokratische und wehrhafte Bundesre-
publik einen KZ-Überlebenden, einen Martin Löwenberg nicht verurteilen sollte, bloß weil der zum Protest gegen neue Nazis aufgerufen hat.

„Es ist legitim“, hatte Martin Löwenberg damals gesagt, „ja, es ist legal, sich den Totengräbern der Demokratie entgegen zu stellen.“

Rückblickend war es für Angelika Lex die schlimmste Verteidigung. Sie erinnert sich noch heute, wie sie ihr Plädoyer begonnen hat – ich zitiere:

„Ich schäme mich für diesen Rechtsstaat, der mich zwingt, einen Mann wie Martin Löwenberg hier verteidigen zu müssen.“ Zitat Ende.

Man muss sich noch heute schämen, denn Martin Löwenberg wurde tatsächlich verurteilt. Immer-
hin dürfte die bayerische Justiz dank der dezenten Hinweise der Anwältin Lex verstanden haben, dass man zumindest darauf achten sollte, bestimmte Begriffe in den Ermittlungsakten richtig zu Papier zu bringen: Zum Beispiel, dass ein KZ-Wärter eben kein Kfz-Wärter ist.

Ja, ja, der Staat, die Nazi-Gegner und Angelika Lex.

Ich bin überzeugt, dass mancher im Innenministerium längst die Idee bereut hat, Aida für verfas-
sungsfeindlich zu erklären. Aida – den vollen Namen auszusprechen würde meine Redezeit spren-
gen – aber Sie wissen es ja, das sind die mit dem größten Archiv und dem besten Wissen über Nazi-Aktivitäten weit und breit. Und ausgerechnet die galten vor ein paar Jahren plötzlich als verfassungs-feindlich. Der Verein der Nazi-Gegner fand sich im Verfassungsschutzbericht neben den Neonazis.

Der Innenminister hätte sich denken können, was passiert: Die Aida-Leute laufen zu ihrer Anwältin und rufen:

„Angelika, hilf uns!“

Und Angelika hat geholfen.

Zunächst weckte sie verbal leise Zweifel an der Urteilskraft der Geheimen – ich zitiere: „Für den Verfassungsschutz ist jeder ein Linksextremist, der jemanden kennt, der weiß, wie man Linksex-
tremismus schreibt.“ Zitat Ende.

Dann hat sie viele Seiten mit vielen Paragrafen ans Gericht geschickt, dort haben sie sich dann eine Weile gestritten, und irgendwann musste die Staatsregierung ein paar Seiten in ein paar Jahrgän-
gen des Verfassungsschutzberichts schwärzen. Aida war hinterher nicht nur rehabilitiert, sondern bekannter und gefragter denn je.

Frau Lex bekommt heute den Elser-Preis auch deshalb, weil sie diesen Staat immer wieder daran erinnert, dass der Bürger Rechte hat, und dass die Regierenden diese Rechte nicht antasten dürfen. Weil es die Regierenden aber trotzdem immer wieder versuchen, hat ihnen Frau Lex hin und wieder auf die Finger gehauen. Oder positiv formuliert: Ihnen zum Beispiel dabei geholfen, neue Gesetze auch rechtskonform zu formulieren.

Dass ich vorhin die Staatsschützer daran erinnert habe, sich beim Gastgeber registrieren zu lassen, war eigentlich nur ein gut gemeinter Service-Hinweis. Zwei ihrer Kollegen haben das nämlich ein-
mal nicht getan, weil, Einschleichen war damals so üblich bei der Polizei.

Im Eine-Welt-Haus war es dann, als die linke Szene diskutierte, wie man den neuen Nazis am be-
sten beikommt. Die beiden Zivil-Beamten wurden rasch enttarnt, man kennt sich ja gegenseitig, und die Polizisten wurden rausgeworfen. Das werteten die Staatsschützer wiederum als unfreund-
lichen Akt und riefen Verstärkung. Die Kollegen kamen dann nicht mehr inkognito, sondern in Uniform, und so wimmelte es bald von Polizisten im Eine-Welt-Haus.

Und Angelika Lex hat einmal mehr gesagt: So nicht!

Jahre später hat sie in dieser Angelegenheit ein Grundsatzurteil erreicht, und das besagt, dass Po-
lizisten Veranstaltungen in geschlossenen Räumen nicht einfach so besuchen dürfen, nicht ohne Einladung, nicht inkognito.

Oh, was hat der Polizeipräsident hinterher gejammert: Es werde jetzt ganz schwer, extremistische Gewalt zu verhindern, die Position der Extremisten werde gestärkt, links und rechts und überall.

Und wer ist schuld? Logisch, die obersten bayerischen Verwaltungsrichter, verführt von Angelika Lex. Gemeinsam fördern sie den Extremismus. Bemerkenswert.

Trotzdem hat der bayerische Gesetzgeber das Besuchsverbot dann gleich im neuen Versammlungs-
gesetz berücksichtigt, und seither haben die Staatsschützer manchmal früher Feierabend.

So wie heute. Keiner da. Alle schon daheim auf dem Sofa.

Das alles macht Angelika Lex nicht, weil sie so heißt, wie sie heißt. Das macht sie aus Überzeugung. Weil es ihr Herzensanlegen ist. Sie ist eine Kämpferin für die Freiheit, wie sie dieser Staat, diese Demokratie, dieses Gemeinwesen so dringend brauchen. Klar, geradlinig, couragiert, frei von Furcht. Auch dann noch, wenn Nazis ihre Kanzlei attackieren, mit selbstproduzierter brauner Masse.

Nun ist es aber keineswegs so, dass Angelika Lex schon damit zufrieden wäre, immer nur Nein
zu rufen. Es genügt ihr nicht, wenn sie dem Innenminister und dem Polizeipräsidenten hin und wieder, mit einem riesigen Paragrafen in der Hand, in ihren Alpträumen erscheint.

Sie will mehr als Nein und Stopp sagen.

Sie sagt auch Ja.

Sie will ein weltoffenes Land, und was wäre dieses Land ohne seine Migranten! Als Anwältin hat sich Frau Lex auf das Ausländer- und Asylrecht spezialisiert. Das Wartezimmer in ihrer Kanzlei war meistens voll, ja, oft so übervoll wie das eines Hausarztes in Zeiten der Grippe. Da saßen dann Menschen, die um ihr Asyl bangten oder andere, die demnächst abgeschoben werden sollten. Vor allem das Schicksal der Kurden hat es Frau Lex angetan. Und oft hatte sie auch ein Mittelchen zur Hand.

So, wie bei einer jesidischen Familie, die der deutsche Staat in den Irak zurückschicken wollte: Jahrelang hat Frau Lex einen harten Kampf gekämpft. Als alles geschafft war, haben die Eltern
ihr neugeborenes Kind Angelika getauft. Als Referenz an die Anwältin.

Von dieser Kärrnerarbeit hat die Öffentlichkeit wenig mitbekommen, darüber stand selten etwas
in der Zeitung. Aber ohne diese juristische Basisarbeit für die Schwachen in unserer Gesellschaft könnte unser Rechtsstaat nicht leben.

Lange, bevor der Münchner Hauptbahnhof weltweit zum Begriff für das Willkommen geworden ist, lange davor wurde in der Szene der Migranten und Flüchtlinge ein Name, eine Adresse herum-
gereicht:

„Anschellika hinterm Hauptbahnhof.“

Manchmal war auch Post an ihre Kanzlei so adressiert: Anschellika hinterm Hauptbahnhof.

Jahrelang ist diese Anschellika gependelt, von ihrer Kanzlei hinterm Hauptbahnhof zum Marien-
platz, ins Rathaus. Wer glaubt, dass der Einsatz für Flüchtlinge nur Glückshormone produziert, der täuscht sich. Man bräuchte bloß den Georg Kronawitter dazu befragen. Der war Oberbürgermeister in einer Zeit, als schon mal sehr viele Flüchtlinge ins Land kamen, als Container auf der Theresien-
wiese aufgestellt wurden und viele vom „vollen Boot“ schwadronierten. Das war die Zeit, als Ange-
lika Lex im Stadtrat saß, von 1990 bis 1995.

Lex, die Linke. Lex, die Grüne, die sich auch mal giftig gab.

Herr Reiter, jetzt muss ich Sie noch mal anschauen. Sind Sie eigentlich manchmal … also, gaaanz heimlich, meine ich … sind Sie manchmal ein klein bisschen froh, dass diese Angelika Lex ihr Stadtratsmandat schon vor 20 Jahren aufgegeben hat? Damals, nachdem die erste Tochter zur Welt gekommen war. Ich vermute mal, dass sie einem roten Oberbürgermeister das Anbandeln mit der CSU noch ein bisschen unbequemer gemacht hätte.

Wie das ist, wenn die Lex im Stadtrat sitzt – da brauchen Sie bloß Ihren Vorgänger fragen, den Herrn Ude. Der ist eines Nachts aufgewacht, schweißgebadet, weil er geträumt hatte. Geträumt von Verhandlungen mit den Grünen. Und das hieß damals: Geträumt von Diskussionen mit Angelika Lex.

Solche Männerträume mag sie, die Frau Lex.

Aber zurück ins Jahr 1993. Da wollte Kronawitter unbedingt den Herrn Uhl von der CSU weiter als Kreisverwaltungsreferent haben, aber trotzdem weiter mit den Grünen kooperieren.

Uhl? Uiuiui.

Dieser Name löst bei unserer Preisträgerin noch heftigerer Reflexe aus als beim Innenminister der Name Lex. Die grüne Lex hatte dem schwarzen Uhl – ich zitiere – „administrativen Rassismus“ vorgeworfen. Und der hat sich ein paar Jahre später mit diesem Satz an Lex revanchiert – ich zitiere: „Ich halte Sie persönlich für potentiell krimineller als die meisten hier lebenden Auslän-
der.“ Zitat Ende.

Und jetzt sollte die Lex dem Uhl seinen Chefposten im KVR sichern? Niemals!
„Kompromissfähigkeit“, hat Angelika Lex einmal gesagt, „Kompromissfähigkeit gehört nicht zu meinen besten Eigenschaften.“ Wirklich?

Zwar wäre beinahe die rot-grüne Koalition im Rathaus zerbrochen. Dann aber haben sich Lex und ihre Leute doch auf einen Kompromiss eingelassen mit dem OB: Wir lassen dir den Uhl durch-
gehen, wenn du was für die Flüchtlinge tust, und zwar so richtig.

Jahre später, in einem SZ-Interview, hat die Frau Lex den Herrn Uhl ihren „Lieblingsfeind“ genannt. In diesem Wort könnte eine unbekannte Wahrheit versteckt sein:

Liebling!

Es ist nicht überliefert, ob Angelika Lex ihrem Liebling auch mal im Traum erschienen ist. Sicher aber ist, dass wir heute dem bisher völlig verkannten Dream-Team Lex-Uhl danken dürfen. Denn dank ihrer gegenseitigen Zuneigung ist nicht nur das Flüchtlingsamt entstanden, das heutige Amt für Wohnen und Migration, das sich als Partner und Helfer der Migranten versteht.

So ist auch Refugio entstanden. Refugio ist heute nicht bloß ein Behandlungszentrum für traumatisierte Flüchtlinge. Refugio ist längst eine Marke. Eine Marke für ein weltoffenes, ein freundliches, ein hilfsbereites Land. Für ein Land, wie es sich Angelika Lex wünscht.

So wenig wir Angst haben brauchen vor den Flüchtlingen, die gerade Zuflucht in unserem Land suchen, so wenig sollten die Regierenden Angst haben vor Angelika Lex.

Lieber Innenminister, lieber Justizminister, fürchtet euch nicht! Frau Lex tut euch nichts. Dafür tut sie umso mehr für dieses Gemeinwesen.

Zu dem ja auch CSU-Politiker gehören. Zum Beispiel der Herr Gauweiler. Und nicht mal der braucht Angst zu haben. Frau Lex hat ihm ihre Fürsorge zugesichert, wenn’s mal hart auf hart kommt. Glauben Sie nicht? Dann lesen ich Ihnen mal den Brief vor, den sie ihm zu seinem sechzigsten Geburtstag geschrieben hat, 2009 war das, via Abendzeitung – ich zitiere:

„Sehr geehrter Herr Dr. Gauweiler, ein Geburtstagsgruß von der anderen Seite der Barrikade! Einige, ganz wenige Gemeinsamkeiten haben wir: Wir haben am selben Tage Geburtstag und sind beide Juristen. Dann aber teilen sich die Welten.“

Es folgen Worte wie Wackersdorf, marodierende Einheiten, gemeint sind die Unterstützungskom-
mandos USK, Kasernierung von Aids-Kranken und solche Gauweiler-Sachen. Aber dann, dann macht die Gratulantin dem Geburtstagskind schöne Augen. Ich zitiere:

„Nun ist Ihnen aber der weltweite Ordnungsanspruch der BRD doch zu viel geworden. Sie ent-
wickeln sich zum Kriegsgegner! Kosovo-Krieg, Afghanistan-Einsatz und Irak-Krieg gingen Ihnen vermutlich gegen Ihr juristisches Grundverständnis. Irgendwann werden Sie vielleicht noch zum linken Verfassungspatrioten. Machen Sie weiter so – und in zehn Jahren begrüße ich Sie auf der Demonstration gegen die Sicherheitskonferenz und rette Sie dann vielleicht auch vor Ihren USK-
Einheiten.“ Zitat Ende.

Ja, der Gauweiler, der war noch ein rechtes Kaliber. So einer hat der Angelika Lex gefallen.

Alles, was sie macht, macht sie natürlich nicht nur als Einzel-Kämpferin. Es kreisen viele Men-
schen um sie, und ich weiß, wie glücklich sie darüber ist. Da sind die Aktivisten der linken Szene in München, wobei ich links in diesem Fall irgendwie als rot-grün-dunkel-grün-rot verstanden wissen will. Angelika Lex ist ein Bindeglied in dieser Welt. Zwischen Eine-Welt-Haus und Landtag, zwi-
schen Hauptbahnhof und Verfassungsgericht, zwischen Gewerkschaftshaus und Kreisverwaltungs-
referat, zwischen Cafe Marat und dem schwarzem Block im Rathaus, – da steht sie und bringt manchmal Leute zusammen, die sich dann gegenseitig anstaunen:

Was? Mit dem kann man sogar reden?

Ich weiß, in der linken Szene ist Personenkult verpönt. Aber wann immer in diesen Kreisen der Name Lex fällt, wann immer sie als Helferin in der juristischen Not oder als Aktivistin im Kampf für Bürgerrechte gerufen wird, schwingt Bewunderung mit.

Ja, fast so etwas wie Verehrung.

Die Kernzelle ihrer Unterstützung aber hat Angelika Lex zu Hause, in ihrer Familie. Jetzt, in diesen so schweren Zeiten, da sie den Kampf gegen ihre Krankheit aufgenommen hat, ist diese Hilfe noch wichtiger als früher. Wir alle wissen, dass sie auch jetzt nicht klein beigeben wird.

Egal, in welchen Kampf sich Angelika Lex stürzt: Die Familie macht mit. Zum Beispiel der Herr Lex. Der ausgebildete Hausbesetzer ist heute für viele Senioren der Vermieter, und seit langem besser bekannt unter seinem Künstlernamen: Siegfried Benker. Er hat seiner Ehefrau viel zu ver-
danken: Nur weil sie 1995 den Stadtrat verlassen hat, durfte er nachrücken. Für den Staat ist er eine ebenso renitente Person wie seine Frau: Insgesamt 13 Jahre lang haben Staatsanwälte gegen ihn ermittelt. Einmal zum Beispiel, weil er den Nazis die Rote Karte gezeigt hat. Diese Familie macht wirklich permanent Ärger.

Wie oft, Herr Lex, hat ihre Frau Sie eigentlich davor bewahrt, dass Sie im Kast landen? Seien Sie bloß froh, dass Sie ihr kein Anwaltshonorar zahlen müssen. Das hat regelmäßig der Freistaat überwiesen, wenn er vor Gericht mal wieder unterlegen ist und Ihre Frau Sie rausgehauen hat.

Da ist aber nicht nur der Sigi, da sind auch Anna und Miriam, die Töchter. Die wissen nicht nur, wie soziales und politisches Engagement geht, die praktizieren das selber. Und ich wage vorherzu-
sagen, dass die beiden nicht nur den Eltern, sondern auch den Regierenden in Bayern und Mün-
chen noch viel Freude bereiten werden. Die Erziehung im Hause Lex-Benker trägt Früchte.

Und Aktenzeichen.

Lex. Jetzt komme ich noch mal auf diese drei Buchstaben zurück. In vielen Gesprächen habe
ich gelernt, dass dieses Wort, dass dieser Name eine viel tiefere Bedeutung hat, als ich aus dem Lateinunterricht weiß.

Der Name besagt, dass da eine Frau nicht bloß die Gesetze und Vorschriften kennt und anzuwenden weiß. Er besagt, dass da eine Frau tut, was ihr das Gewissen sagt.

Reden und handeln wie Angelika Lex heißt, reden und handeln, wie es das Gewissen verlangt.

Dafür, liebe Frau Lex, erhalten Sie heute den Georg-Elser-Preis.

Dafür, liebe Anschellika Lex, sagt Ihnen diese Stadt DANKE.


Bernd Kastner
10. November 2015

Überraschung

Jahr: 2015
Bereich: Bürgerrechte