Materialien 2015

Rede von Angelika Lex bei der Überreichung des Georg-Elser-Preises

am 10. November 2015 im NS-Dokumentationszentrum um 18 Uhr

Sehr geehrte Damen und Herren, 
liebe Freundinnen und Freunde, 
 
für diese Ehrung möchte ich mich beim Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter, beim Kulturreferenten Dr. Küppers und bei meinem Laudator Bernd Kastner von der Süddeutschen Zeitung bedanken, aber auch bei den Musikerinnen von Refugio sowie natürlich bei der Jury des Georg-Elser-Preises.

Mein Dank gilt natürlich auch Hella Schlumberger: Nur Ihrem 20-jährigen zivilgesellschaftlichen Engagement ist es zu verdanken, dass es diesen Preis gibt. 
 
Wenn ich über die Zuhörerreihen schaue, sind genau die Menschen da, mit denen ich die letzen 30 Jahre hier gearbeitet habe:

Gemeinsam und doch mit unterschiedlichen Ansätzen. Es ging immer darum, etwas zu erreichen, ohne dass es um Einstimmigkeit oder Mehrheitsfähigkeit ging. Es ging nicht um Parteimeinungen, sondern um Gerechtigkeit. Mit KollegInnen wollten wir immer überzeugende Argumentationen führen. Mit den JuristInnen der höheren Gerichte ging es auch bei unterschiedlichster rechtlicher Auffassung um das Ausdiskutieren rechtlicher Details. Es ging um das Aufmerksammachen von PolitikerInnen aller Fraktionen auf Probleme, die in den Parlamenten sonst nur am Rande vor-
kommen. Es ging um die Zusammenarbeit mit JournalistInnen, die einen hohen Anspruch haben, und das Anliegen, diesen auch weiterzugeben. Es ging um die Einbeziehung von Kulturschaffenden in die Welt der Politik und der Juristerei. Es ging um Flüchtlinge und Menschen, die mit Flüchtlin-
gen arbeiten, genauso wie um Menschen, die von den Behörden als Verfassungsfeinde bezeichnet werden und darunter sind viele persönlichen Freunde. Aber allen voran ging es natürlich immer um meine Familie.
 
Als ich im Sommer 2014 wieder sehr krank wurde, wusste ich nichts von Überlegungen der Georg-Elser-Jury, mich für diesen Preis auszuwählen. Die Georg-Elser-Jury wusste auch nichts von meiner Erkrankung. 
 
Und so wurde eine Entscheidung getroffen, die mich im Krankenhaus genau einen Tag nach meiner Kopf-Operation im Juli 2015 völlig unvorbereitet erreicht hat.  Das hat mich so sehr gefreut! Und es hat mir die Möglichkeit gegeben, die 30 Jahre politischer und juristischer Arbeit Revue passieren zulassen.
  
Heute geht es um Zivilcourage, und das war schon immer mein Thema.
  
Als ich meine politische und juristische Tätigkeit begann, sah es in der Münchner Flüchtlingspoli-
tik folgendermaßen aus:
 
Der damalige Münchner OB Georg Kronawitter hatte 1992 dreihundert Flüchtlinge in Busse ge-
setzt und durch München fahren lassen, um zu beweisen, dass es für sie noch nicht einmal einen Platz in einer Turnhalle gibt. Sie wurden unter anderem in Containern auf der Theresienwiese untergebracht, nach dem Motto: Nicht nur “das Boot”, sondern auch die “Münchner Wies’n” ist voll. So wollte er den MünchnerInnen zeigen, was die Flüchtlinge ihnen wegnehmen wollen. 
 
Hier agierte OB Kronawitter Schulter an Schulter mit dem CSU-Kreisverwaltungsreferenten Hans-Peter Uhl. Ein Mensch, den ich schon 1992 als “administrativen Rassisten” bezeichnet habe. Und auch heute gibt es da nichts zurückzunehmen. 
 
Er und seine Ausländerbehörde haben keine Gelegenheit ausgelassen, die Menschen, die damals noch nicht “Flüchtlinge”, sondern “Asylanten” hießen, zu demütigen, um ihnen zu zeigen, dass sie nicht Teil der Münchner Gesellschaft sind und auch niemals sein werden.
 
In Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda kämpfte damals das gleiche Pack, das heute wieder gegen Flüchtlinge unterwegs ist. Deutsche Polizisten schauten dem Treiben tatenlos zu und der angeblich so linke SPIEGEL beflügelte die Menschen jeden Montag mit der Kampagne “Das Boot ist voll” auf seinem hetzerischen Titelblatt.

Gemeinsam mit einer rückgratlosen Mehrheit im Bundestag wurde das Grundrecht auf Asyl durch den “Asylvernichtungspakt” von 1993 abgeschafft.
 
Wir wollten das nicht hinnehmen und ich habe gemeinsam mit anderen Kollegen viele tausend Asyl- und Aufenthaltsverfahren geführt.
 
Man kann viele Beispiele aufführen, wie ein Rechtsstaat funktioniert, aber man kann es auch recht kurz erklären: Wer z.B. die Rechtmäßigkeit eines Strafzettels von 10 Euro von bis zu drei gericht-
lichen Instanzen überprüfen lassen möchte, kann das im deutschen Rechtssystem tun. Die Kosten trägt dann in der Regel die Rechtschutzversicherung des ADAC
 
Geht es aber um die Frage, ob ein Flüchtling bei der Rückkehr in sein Heimatland gefoltert oder sogar getötet wird, entscheidet in der Regel nur ein Richter in einer Instanz, ob das richtig ist.

Rechtsschutz in diesen Verfahren ist im übrigen bei allen Versicherern ausgeschlossen.

Richter haben in der Regel keine Ahnung, was in den Ländern, über deren politische Verhältnisse sie urteilen sollen, überhaupt passiert. Ohne sich mit dem Schicksal des Betroffenen im einzelnen zu beschäftigen, wird aus anderen Urteilen einfach nur abgeschrieben. Manche wissen oft nicht einmal, wie man die Stadt ausspricht, aus der der Flüchtling stammt, in die er dann anhand ihres Urteils zurückgeschickt werden soll.

Zum Beispiel Irak: Dachten denn diese Richter tatsächlich, sobald Saddam Hussein im Irak gefaßt wird, schwebt die Demokratie dort mit einem Fallschirm ein? 
 
Ich bin Juristin und ich glaube – trotz allem – an einen Rechtsstaat. Aber gerade im Umgang mit Flüchtlingen musste ich über Jahrzehnte erleben, dass er jeden Tag und in jeder Verhandlung neu erkämpft werden muss.
 
Nirgendwo ist das bundesdeutsche Rechtssystem so willfährig bereit, alle Standards über Bord zu schmeißen, denn wie wir wissen: “Das Boot ist ja voll.”
 
Derzeit erleben wir wieder, wie der Gesetzgeber fast täglich neue Änderungen zum Asylrecht fabriziert. Wenn die Bundeskanzlerin sagt, “Wir schaffen das!” – sagt das deutsche Rechtssystem: “Wir schaffen das ab!”
 
Haben die Politiker tatsächlich geglaubt, alle Flüchtlinge würden für immer im Mittelmeer ertrinken und Deutschland nie erreichen?
 
Menschen, deren einziges Verbrechen es ist, geflohen zu sein, werden in Abschiebeknäste gesteckt. Und viele haben sich lieber das Leben genommen, als in ihr Herkunftsland zurück zu kehren.
 
Man braucht schon viel Sturheit, Verbissenheit und Kompromisslosigkeit, wenn man hier gegen arbeiten und gewinnen will.
 
Die letzten Jahrzehnte waren für ein Zuwanderungsrecht verlorene Jahre. Seltsamerweise über-
rascht stehen nun die politisch Verantwortlichen vor den Flüchtlingszahlen 2015.
 
Und jetzt?
 
Wir sehen einen vollkommen unfähigen Bundesinnenminister, der nichts über Flüchtlingspolitik weiß, und sich auch noch jemanden zur Unterstützung holt, der bisher noch nie einen Asylantrag auf seinem Schreibtisch hatte.
 
Behörden, die seit Jahrzehnten behaupten, man müsse nur genug Beschleunigungen einführen und schon würden Flüchtlinge kapieren, dass sie doch besser zuhause bleiben sollen: Die müssten doch verstehen, dass das Land, aus dem sie kommen, gerade als sicheres Herkunftsland eingestuft wurde.
 
Aber gibt es nicht doch momentan eine Chance auf etwas Neues?
 
Zumindest einige wagen sich vor und ich meine, man muss es als ein gutes Zeichen werten: Es gibt zum ersten Mal eine Kanzlerin, die sagt: “Wenn wir in Notsituationen nicht helfen, dann ist das nicht mein Land!” Es gibt zum ersten Mal einen Münchner OB, der ohne Frage nach seiner juri-
stischen Zuständigkeit von einem Tag auf den anderen Tausende von Schlafplätzen für Flüchtlinge organisieren konnte, weil es sein musste!
 
Und das Wichtigste: Es gab und gibt eine Münchner Bevölkerung, die einfach aktiv wurde, statt auf staatliche Unterstützung zu warten oder auf jemanden, der ihnen Aufgaben zuteilte.
 
1992 standen viele in der Lichterkette mit einer Kerze am Straßenrand -  unter anderem auch Kronawitter und Uhl – und es gibt viele schöne Fotos von damals, aber nur die wenigsten waren hinterher weiter aktiv.

Jetzt hat man doch manchmal das Gefühl, viele sind aufgewacht, weil Menschen die Flüchtlings-
politik jetzt auch selbst in die Hand nehmen.
 
Denn nach den Ereignissen der letzen Wochen, als Flüchtlinge die Außengrenzen Europas von Griechenland, Italien und Ungarn bis zum Münchner Hauptbahnhof zurück geschoben haben, verstehen manche Menschen vielleicht besser, warum die halbe Welt auf der Flucht ist.
 
Nicht deshalb, weil ein paar Leute auf der anderen Seite der Welt es auch so gut haben wollen wie wir, sondern weil wir uns seit vielen Jahren das Beste von dieser Welt holen und die anderen, denen das nicht möglich ist, dort einfach vergessen.
 
Das können nur die verstehen, die wirklich helfen wollen. Und das wird nur dann funktionieren, wenn die sich von diesen Behörden lösen und die Initiative dafür selbst in die Hand nehmen. Jetzt ist die Zeit dazu.
 
Heute wäre Georg Elser Fluchthelfer!
 
Aber nicht nur die Rechte der Flüchtlinge waren mir immer ein wichtiges Thema.
 
Die ganzen Jahre habe ich mit meinem Mann und vielen anderen immer für Freiheiten gekämpft: für Demonstrationsfreiheit, für Meinungsfreiheit und gegen Überwachung.
 
Wir haben Themen diskutiert, Versammlungen angemeldet, gegen unsinnige Beschränkungen geklagt, und wenn wir das Ergebnis nicht überzeugend fanden, sie schlicht und einfach nicht eingehalten.
 
Wir haben uns gegen illegale Polizeiübergriffe verteidigt, gegen prügelnde Polizisten gewehrt, die ihre illegalen Videoaufnahmen genau an den Stellen gelöscht hatten, wo ihre Übergriffe stattfan-
den.
 
Aber auch hier lassen sich die Münchner und Münchnerinnen nicht einschränken.
 
Als 2002 wegen der Demonstration zur Sicherheitskonferenz die Gerichte, der so genannte Ver-
fassungsschutz wie auch die Presse wieder einmal behaupteten, in München würden – wie schon beim Münchner Kessel 1992 – 3.000 Gewalttäter die Innenstadt kurz und klein schlagen, wurde ein vollständiges Demonstrationsverbot über die Stadt verhängt.
 
Und trotzdem: Die geplante Kundgebung auf dem Marienplatz fand statt. Friedlich von Seiten der angeblich 3.000 gewalttätigen DemonstrantInnen, gewalttätig von Seiten der Polizei. 800 Gewahr-
samnahmen sind damals erfolgt.

Und viele Jahre später haben wir diese Verfahren gegen die Polizei gewonnen. Denn wir haben uns damals nicht einschüchtern lassen. Da, wo es wichtig war, haben wir unsere Grundrechte vor Ort und zum richtigen Zeitpunkt durchgesetzt.
 
Mein größter Erfolg war aber sicherlich, das Bayerische Innenministerium zu zwingen, a.i.d.a. e.V. – das Antifaschistische Informations- und Dokumentationsarchiv – aus dem Bayerischen Verfas-
sungsschutzbericht zu streichen.
 
In Zeiten, wo Rassismus und Neonazismus immer deutlicher wurden, haben Menschen den Aussagen von Behörden nicht mehr geglaubt, dass sie alles im Griff haben, und sie wollten die Informationen selbst überprüfen.

Nach vielen Jahren harten Kampfes haben wir hier gesiegt: Der gedruckte Text musste geschwärzt werden – ein einmaliger Vorgang in Bayern – der online-Text wurde gelöscht.

Wie viel Kraft kostet es doch oft, diesen Rechtsstaat zu retten!
 
Es gibt aber auch immer noch Organisationen, die zu Unrecht im VS-Bericht stehen. Sie machen wichtige Arbeit, aber sie werden in Mißkredit gebracht, ihnen wird ihre Gemeinnützigkeit genom-
men und ihre politischen Freiheiten werden eingeschränkt. 
 
In den letzten Jahren habe ich die Witwe des in München ermordeten Theo Boulgarides im NSU-
Verfahren vertreten.

Als NebenklagevertreterInnen haben wir versucht, die bundesweiten und lokalen Strukturen des rechtsterroristischen Netzwerkes im Hintergrund auszuleuchten.

Aber:

:: hätte nicht der NSU die Paulchen-Panther-CD selbst verteilt,

:: hätten nicht Journalisten ihre Aufgabe ernst genommen und versucht, alles, was möglich war, aufzudecken,

:: hätten nicht Initiativen wie NSU-Watch, a.i.d.a., Apabiz und andere Gruppen vor Ort und bundesweit die eigentliche Arbeit der Behörden übernommen,
 
nichts wäre passiert!
 
Das Hauptanliegen aller Behörden bestand doch darin, zu vertuschen, zu schreddern, zu ver-
nichten und zu leugnen. Weder die Ermittlungsbehörden und schon gar nicht der so genannte Verfassungsschutz hatten das geringste Interesse, Aufklärung zu leisten.
 
Leider hat sich auch hieran nichts verändert:
 
:: Wie kann es sein, dass nach all den vorliegenden Erkenntnissen weder die Bundesanwaltschaft noch der angebliche Verfassungsschutz wirklich ernsthaft bereit sind, tätig zu werden?
 
:: Wie kann es sein, dass Nazi-Zeugen hier, wie in keinem anderen Prozess, bodenlos und folgenlos lügen dürfen, aber Beweisanträge der Nebenklage, die Aufklärung bringen könnten, abgelehnt werden?
 
Die Behörden haben beim NSU bestenfalls weggeschaut.

Nur eine konsequente Überprüfung ihrer rassistisch geprägten Ermittlungs- und Sichtweise könnte hier Veränderungen bringen.
 
Aber dass sie nichts gelernt haben, zeigt alleine schon der letzte Überfall auf eine von einem Afghanen betriebene Imbissbude am Ebersberger Bahnhof:

Obwohl der Angriff keineswegs der erste war, obwohl er mit einem Messer, mit Hämmern und einem Baseballschläger erfolgt ist, obwohl zwei Leute verletzt wurden und der Überfall im Zu-
sammenhang mit jeder Menge rechtsextremer Schmierereien stand, sagte der ermittelnde so genannte Staatschutzbeamte zum Sachstand: (Zitat) “Es gibt überall welche, die zu stark rechts tendieren, genauso – wie nach stark links.”

Bitte schickt diesen Menschen an einen Baumarkt-Parkplatz und lasst ihn dort Autos nach rechts und nach links einweisen, aber nehmt ihm seinen Titel als “Staatsschutzbeamter” weg! Auch seinen Kollegen von der politischen Staatsanwaltschaft kann er gleich mitnehmen. Dieser hat die vier Tatverdächtigen nämlich wieder auf freien Fuß gesetzt, da angeblich keine Tötungsabsicht erkennbar sei: (Zitat) “Nur weil jemand ein Messer mitbringt, ist er noch kein versuchter Totschlä-
ger.” Erst 4 Tage später wurden Hausdurchsuchungen angeordnet. Aber wie blöd muss denn der letzte Nazi sein, dass er nach 4 Tagen immer noch nicht weiß, was er wegwerfen muss, um nicht mehr verdächtig zu sein.
 
Jede der Meldungen, dass wieder eine Gemeinschaftsunterkunft von Flüchtlingen angegriffen wurde, dass es gebrannt hat, dass Schmierereien an den Wänden angebracht wurden, fängt damit an, dass es “keinen Beleg für einen ausländerfeindlichen Hintergrund” gibt. Denn diesen gibt es anscheinend nur dann, wenn der Täter seine Nazigesinnung schon auf dem Hirn tätowiert hat.
 
Ich bin nicht mehr bereit, hier an die politische Blindheit Einzelner zu glauben. Das was hier erkennbar wird, ist ganz eindeutig ein strukturelles Versagen.
 
Mit welcher Akribie der Rechtsstaat aber bereit ist, konsequente Nazigegner zu verfolgen, das habe ich hier sehr oft erleben müssen. Vor allem bei meiner schlimmsten Strafverteidigung, der Vertei-
digung von Martin Löwenberg.
 
Im Jahr 2003 gab es – wie immer wieder – eine Vielzahl von Neonaziaufmärschen, gegen die immer wieder Gegenveranstaltungen stattfanden. Gegen Christiaan Boissevain, Sigi Benker und Martin Löwenberg wurden Strafbefehle verschickt.

Martin Löwenberg hatte gesagt: „Es ist legitim, ja es ist legal, sich den Totengräbern der Demokra-
tie entgegen zu stellen. Eine solche Handlung, eine solche Aktion, ist keinesfalls verfassungswidrig oder ein Verstoß gegen das Grundgesetz: Gegen das Grundgesetz verstoßen alle diejenigen, die den Neonazis den Weg freimachen.“

Martin Löwenberg hat in der Hauptverhandlung in aller Ausführlichkeit die Geschichte des jüdischen Teils seiner Familie geschildert, die vielen Toten in den KZ’s. Beeindruckt hat das die Juristen dieses Verfahrens nicht.

Martin Hofman, damals Staatsanwalt der politischen Abteilung des Landgerichts München I, hat in seinem Plädoyer folgendes von sich gegeben: (Zitat) „Das, was Martin Löwenberg gesagt hat, ist eine Aufforderung zur Straftat. Wir leben in einem Staat, auf den man sich verlassen kann, Martin Löwenberg stellt sein eigenes Handeln über die Rechtsordnung. Folgen wir seiner Maxime, dann wird es der Mob auf der Straße genauso machen und bestimmen, wer seine politische Meinung äußern darf.“ 
 
Das hat mich dazu gebracht, mein Plädoyer so zu beginnen: „Ich schäme mich für diesen Rechts-
staat, der mich zwingt, einen Mann wie Martin Löwenberg hier vor diesem Gericht verteidigen zu müssen“. Natürlich wurde Löwenberg durch die Justiz verurteilt. 
 
Dafür haben wir uns aber bitter gerächt: Wir konnten die Anklageschriften in den Grundstein des Jüdischen Zentrums legen, damit spätere Generationen die Möglichkeit haben nachzulesen, wel-
che furchtbaren Juristen auch 60 Jahre nach Kriegsende in München tätig waren.
 
In den vergangenen dreißig Jahren sind viele staatsanwaltschaftliche und gerichtliche  Verfahren gegen meine Familie angestrengt worden. Allein in den 18 Jahren der Stadtratstätigkeit von Sigi Benker wurde 12 Jahre lang gegen ihn ermittelt.

Dafür haben wir uns aber nie geschämt. Im Gegenteil, jede neue Anzeige war ein Beweis, wie wichtig zivilgesellschaftliches Engagement, wie wichtig Widerstand ist. 
 
Seit mehr als eineinhalb Jahren wird z.B. wegen unserer Aktivitäten gegen das “Braune Haus” in Obermenzing, in dem sich auch Mittäter des NSU herumgetrieben haben, ermittelt.
 
Vor Ihnen stehen also nach wie vor Tatverdächtige, verdächtig, sich gegen Neonazis zu wehren und verdächtig, gegen illegale polizeiliche Ermittlungsmethoden vorzugehen. 
 
Deshalb möchte ich allen, die wissen, wie wichtig der zivile Ungehorsam und der Widerstand in dieser Gesellschaft ist, noch viel Kraft und Zuversicht bei ihrer Arbeit wünschen.
 
Die Zeiten sind oft sehr mühsam, aber auch immer wieder erfolgreich und wir brauchen Sie und Euch.
 
Wir brauchen keinen Verfassungsschutz, sondern wir brauchen Menschen, die ihre Verfassung selber schützen, sie ernst nehmen, weil Meinungs-, Presse- und Demonstrationsfreiheit funda-
mentale Freiheitsrechte sind.
 
Wir brauchen Zivilcourage und Menschen, die sich nicht einschüchtern lassen. Wir brauchen Menschen, die gegen Nazis, Faschisten und Rassisten arbeiten.
 
Wenn jeder von uns einen Schritt weiter geht, als er sich ursprünglich vorgenommen hat, dann mache ich mir auch keine Sorgen!
 
Vielen Dank Ihnen und Euch allen für diesen Abend.
 
Und jetzt hoffe ich, dass wir heute noch etwas haben, was wir oft bei unseren schweren Aktivitäten vermissen: Nämlich Spaß, Freude und Hoffnung bei unserer Arbeit.

Überraschung

Jahr: 2015
Bereich: Bürgerrechte