Materialien 2015
Trauerrede für Angelika Lex
Liebe Freundinnen und Freunde von Angelika,
liebe Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter,
heute vor zwei Wochen ist meine Geliebte, die Mutter von Anna und Miriam gestorben. Seit zwei Wochen sind unsere Tage von Dunkel durchzogen. Einem Dunkel, das in den Tagen da ist wie in den Nächten. Ein Dunkel, das die Haut anfühlen lässt, als wäre sie wund, ein Dunkel, das einem den Atem im wahrsten Sinn des Wortes raubt. Ein Dunkel, das überall lauert. Ein Dunkel, das um so finsterer ist, weil ich dreiundzwanzigeinhalb Jahre das Glück hatte, mit Angelika wirklich in der ganzen Helligkeit des Lebens zusammen zu sein.
Ich habe eben „Geliebte“ gesagt statt „meine Frau“. Dass wir verheiratet waren, hatte für uns keine Bedeutung – Angelika wusste nie, wann unserer Hochzeitstag war. Wichtig war immer unser Ken-
nenlernen. Wir kannten uns damals aus politischen Arbeitszusammenhängen schon zwei Jahre, konnten uns aber nicht wirklich gut leiden. Auf einer Delegationsreise durch Nicaragua und El Salvador im Mai 1992 hat sich alles geändert. Wir haben uns damals „ERKANNT“: Ich muss dieses alte Wort hier verwenden, ERKANNT, als die Menschen ERKANNT, die den Rest ihres Lebens miteinander verbringen wollen. Wie wenn ein Vorhang weggeweht wurde. Und damals entstand die vollkommene Sicherheit, dass da der richtige Mensch ist für ein gemeinsames Leben. Weder zu Beginn noch in all den Jahren gab es daran jemals einen Zweifel. Wir haben später oft und mit großer Freude darüber gesprochen, was damals mit uns passiert ist. Ich danke dem Zufall, dem Universum oder wem auch immer, dass es passiert ist. Keine Sekunde, keine Stunde möchte ich missen – vom Beginn in Nicaragua bis zum letzten Tag mit meiner Geliebten.
Ich möchte nochmal einiges in Erinnerung bringen, was Angelika zu dem gemacht hat, wie sie war und wie wir sie in Erinnerung behalten werden.
Angelika hatte immer Haltung. Andere haben eine Meinung. Angelika hatte zum Leben, zur Po-
litik, zur Liebe und zu ihren Kindern eine Haltung. Eine Haltung, die sich wie eine starker Weg durch ihr Leben zog. Wen sie liebte, den liebte sie bedingungslos, wer ein dummer Rassist war, den nannte sie auch einen dummen Rassisten. Angelika konnte nichts anfangen mit den 500 Seiten starken theoretischen Werken irgendwelcher Männer, sie hat sich ihre Haltung in jahrzehntelan-
gen Auseinandersetzungen mit Menschen und ihren Handlungen erarbeitet. Ihre Haltung hat sie auch über bittere Anfeindungen hinweg verteidigt. Sie hatte Haltung aber keine Ideologie, sie hat ihre Haltung ein Leben lang gefestigt, aber auch in harten Zeiten war sie nicht verhärtet. Wir haben fest daran geglaubt, dass glückliche Menschen nicht verhärten können. Der Beweis dafür war, dass sie auch im größten Kampfgetümmel zur Selbstironie fähig war.
Die Empörung
Angelika konnte sich bis zum Ende ihres Lebens leidenschaftlich empören. Zum lebenslangen Em-
pören gehört eine enorme Kraft. Angelika konnte sich über Ungerechtigkeiten genauso empören wie über die Menschen, die dafür Verantwortung tragen. Ihre ganze letzte Kraft der Empörung hat sie nochmal in ihre Rede bei der Verleihung des Georg-Elser-Preises vor sechs Wochen gelegt. In dieser Rede hat sie nochmal versucht die Fackel der Empörung weiterzugeben.
Zugewandtheit
Angelika war den Menschen und den Entwicklungen immer zugewandt. Nie sah sie in einem Men-
schen nur die Charaktermaske. Nie hat sie einen Menschen, egal wo, nur nach seiner Tätigkeit beurteilt, sondern nur nach seinem Tun. Sie wusste, wer in der Ausländerbehörde menschliche Entscheidungen traf und wer nicht. Sie wusste, welche Richter zuhören, was ihnen ein Angeklagter sagt und welche das Urteil schon fertig haben, sie wusste wer in einer Partei fortschrittliche Mei-
nungen vertrat und wer nicht. Sie wusste auch, wer in der Szene nur schwätzte und wer was tat. Durch diese Grundoffenheit konnte Angelika am Nachmittag im Bayerischen Verfassungsgerichts-
hof sitzen und am Abend im Cafe Marat ein Bier trinken. Das war auch immer im Privaten so. Wer ihre Zuwendung erobert hatte, konnte sich vor Essenseinladungen zu Silvester oder über Weih-
nachten oder über das Jahr nicht retten. Ihr Wunsch, Freunde um sich zu versammeln, führte zu großen Essen mit bis zu 10 Gängen, die manchmal vermutlich mehr Verbundenheit erzeugt haben als manche Demo.
Workoholic
Angelika war das, was man einen Workoholic nennen muss. Angelika konnte vollkommen ironie-
frei am Freitag um 23.00 nach Hause kommen und sagen, dass sie morgen früher in die Kanzlei muss. Einen Mandanten, eine Mandantin, die sich ihr anvertraut hatte, hätte Angelika niemals im Stich gelassen nur deshalb, weil der Tag nur 24 Stunden hat. Angelika hatte ein unumstößliches Arbeitsethos. Die Veränderung der Gesellschaft ist nicht nur der Auftritt im Fernsehen, sondern harte Arbeit.
Familie
Für all das brauchte es eine starke Basis. Für Angelika waren immer wir, Anna, Miriam und ich, die Basis, genauso wie Angelika immer unsere Basis gewesen ist. Wer denkt, Angelika war eh immer am arbeiten und kämpfen, irrt sich. .Angelika konnte auch Alltag. Sie kümmerte sich mit mir um Kindergarten, Schule, Ausbildung genauso mit. Sie war ein Familienmensch durch und durch.
Hier war die andere Angelika, die zwei Kinder hatte, die Köchin, die Bäckerin, die Marmeladen-
einmacherin, die Plätzchenbäckerin, die zum Essen Einladende, die Kunstinteressierte, die Krimi-
leserin, die die Laternen für den Laternenumzug für die Kinder bastelte. Wir waren Meister im Organisieren. Ohne Probleme konnten wir die Arbeit, das Kindergartenfest, eine Demo, das Abendessen mit Freunden und den nächsten Urlaub gleichzeitig organisieren. Angelika und ich haben gezeigt, dass die Familie nicht nur die Keimzelle des Staates ist, wie die Konservativen so gerne sagen, sondern auch die Keimzelle des Widerstandes.
Intensives Leben
Wir haben das Leben nie aufgeschoben. Wir haben uns kennengelernt. Wir waren uns in allem sicher. wir wollten Kinder und bekamen Anna und Miriam. Wir wollten eine Familie, in der Offen-
heit herrscht, wir wollten Politik und Gemeinschaft und Freunde und wir wollten Reisen. Und wir haben alle großen Reisen gemacht, die wir machen wollten. Wir wollten die Stadt verändern. Wir haben alles gemacht. Und wir haben bei all dem immer darauf geachtet – und ich meine wirklich darauf geachtet –, dass unsere Liebe bei all dem nicht verloren geht.
Ich erzähle das, um zu zeigen, dass bei Angelika kein Gefühl blieb, das da hieß: Ach hätte ich doch mal … Sie hatte: Familie; wunderbare Kinder, an den sozialen Kämpfen teilgenommen und blei-
bende Spuren hinterlassen. Natürlich haben wir uns intensiv gewünscht, unser Glück würde noch Jahrzehnte andauern. Aber ich möchte es deutlich sagen: Angelika ist als ein Mensch gestorben, die mit sich im Reinen war, weil sie das, was sie machen wollte, auch gemacht hat – und das mit uns und vielen anderen.
Angelika ist heute vor zwei Wochen gestorben.
Fast genau eineinhalb Jahre nach ihrer erneuten Krebsdiagnose. Diese eineinhalb Jahre waren voller Hoffnung aber auch voller Enttäuschung. Aber zu keinem Zeitpunkt war unser Familienzu-
sammenhalt in Frage gestellt. Und zu jedem Zeitpunkt konnten wir auf das Freundesnetzwerk zurückgreifen, das wir mit der Netzwerkerin Angelika gemeinsam aufgebaut hatten.
Wir haben als Familie beschlossen, dass Angelika zu Hause sterben sollte und wir sie bis zum Schluss begleiten. Und so ist es auch geschehen. Freunde haben mir jetzt nach ihrem Tod immer wieder geschrieben, sie hätten nicht gedacht, dass Angelika den Kampf gegen den Krebs verlieren würde.
Aber als die Krankheit unaufhaltbar fortschritt, wurde Angelika klar ,dass der Sieg über den Krebs nicht unbedingt heißt, noch ein paar Tage länger zu leben, sondern die bleibenden Tage in Würde zu leben. Und hier war sie siegreich: Angelika hat sich Ihre Würde bis zum Schluss nicht nehmen lassen. Bevor sie starb, hat sie gesagt: „Heute ist mein letzter Tag.“ Wir konnten Abschiednehmen und hatten den letzten intensiven Abend als Familie.
Angelika hat entschieden, es ist gut. Sie ist gestorben, wie sie gelebt hat: Als bewusster Mensch. All das ist vielleicht irgendwann tröstlich, aber jetzt ist der Schmerz in unseren Herzen und in unserer Familie eine große klaffende Wunde.
Ich möchte mich bei allen Freundinnen und Freunden, bei den Schwestern von Angelika bedan-
ken, die uns unterstützt haben und auch jetzt nicht alleine lassen.
Ich danke Euch allen, dass Ihr Angelika und uns auf diesem letzten Weg begleitet.
Liebe Angelika. Wir hatten eine Beziehung, in der wir uns gegenseitig stark gemacht haben, weil wir uns liebten und vertrauten. Ich danke Dir für all die Stärke und all die Liebe.
Das Team Lex-Benker gibt es ohne Dich nicht mehr, aber alles, was wir erreicht haben, und alles, was Du erkämpft hast, wirkt weiter.
PAUSE
Ich möchte noch etwas sagen.
Angelika war kein religiöser Mensch. In den letzten Monaten ihres Lebens gab es aber immer – auch für sie selbst überraschend – sehr spirituelle Momente. Und sie hat mir einen Brief hinter-
lassen, in dem sie u.a. sagt, dass wir uns für die Beerdigung gerne auch etwas überlegen sollen, das durchaus spirituell ist. Wir haben das mit den Kerzen bereits ein bisschen getan.
Meine Bitte an alle: Wir haben eine riesige Menge an Blütenblättern besorgt. Ich weiß, dass Ange-
lika auf Ihrer Indienreise das Werfen von Blütenblättern bei verschiedenen Festen sehr gemocht hat. Wenn wir jetzt ans Grab gehen: Nehmt doch bitte alle jeweils eine Hand voll Blütenblätter mit. Und wenn die Urne versenkt wird, möchte ich Euch bitten, die Blütenblätter mit mir gemeinsam zu werfen und dem Wind zu übergeben. Wir sind überzeugt, das hätte ihr gefallen.
Siegfried Benker