Flusslandschaft 2006

Medien

Sendungen privater Fernsehanbieter treffen auf Jugendliche ohne Chancen, verwahrlost in zerrüt-
teten Familien. Hier entsteht ein neuer Teufelskreis. Die Bildungskatastrophe bleibt nicht nur ein Ergebnis mangelnder sozial-ökonomischer Voraussetzungen, sie wird verstärkt durch die Vulgari-
tät der medialen Invasion privater Anbieter ins häusliche Umfeld. Eigentlich hätte mit der Einfüh-
rung des Privatfernsehens zugleich die Ganztagsschule verpflichtend werden müssen. »Denn es sind die armen Schichten, die eher auf eine solche Ganztagsbetreuung angewiesen sind als die bes-
ser gestellten … Reiche Leute haben die Möglichkeit, ihre Kinder sinnvoll zu beschäftigen, auf sie aufzupassen, sie von den Rohheiten der virtuellen ‘Straße’ fern zu halten und sie in einen verant-
wortlichen Medienkonsum einzuüben. Dagegen erreichen die Dreckfluten des medialen öffentli-
chen Raums die neuen Unterschichten – die man gönnerhaft gern als ‘bildungsfern’ bezeichnet – überwiegend ungefiltert … Die Politik reagiert auf die virulente Gefahr der moralischen Verwahrlo-
sung ganzer gesellschaftlicher Gruppen vorerst mit einer Integrationsdebatte und einem Appell zur ‘Werte-Erziehung’, für den sie den Beistand der Kirchen sucht. Bemerkenswerterweise rufen nach Werten nun die neuen Helden jenes CDU/CSU-Bürgertums, das noch vor 25 Jahren – zum Bei-
spiel in Gestalt von Ernst Albrecht und Franz Josef Strauß – am energischsten für die Einführung des Privatfernsehens kämpfte, und das also maßgeblich verantwortlich war für die medialen Aus-
würfe an Dreck, die uns von dort aus … täglich anwehen.«1


1 Gustav Seibt, Opfer ’06. Die Bildungskatastrophe, die Wertedebatte und die heillose Macht des Vulgären in den Massenmedien, in: Süddeutsche Zeitung 99 vom 29./30. Apri/1. Mai 2006, I.

Überraschung

Jahr: 2006
Bereich: Medien