Materialien 2002

Leserbriefe

Keine Spur von Volksverhetzung

Auch ich gehöre zu der Generation, die in ihrer Jugend das „Beschweigen“ der Gräuel während des Naziregimes auf ähnlich beklemmende Weise im Elternhaus und in der Schule erlebte, wie es der Referent in der Veranstaltung am 5. November geschildert hat. Persönliche Erfahrungen und (Um)denkprozesse aus dieser Zeit öffentlich zu machen, dazu gehört selbst heute noch Mut, stößt man doch zumindest auf betretenes Schweigen, auf Desinteresse und Abwehr zu diesem Kapitel unserer Nachkriegsgeschichte. Ein reflektierter Umgang mit dieser Zeit könnte jedoch eine gute Grundlage sein, sich eine differenzierte Haltung zur aktuellen Hysterie um die Kritik an der Politik Israels zu den besetzten Gebieten der palästinensischen Bevölkerung zu erarbeiten. Insofern be-
dienten die diffamierenden Äußerungen in der Berichterstattung zu Beginn der Palästina-Tage schon im Vorfeld die bekannten Vorurteile.

Mit der Negativwerbung für einen Möllemann-Nachschlag erreichte der Verfasser allerdings auch, dass sich erfreulicherweise mehr Bürgerinnen und Bürger, als von den Veranstaltern erwartet, über geschichtliche und politische Hintergründe der Ereignisse in Israel und in Palästina kundig machen wollten. Was soll man aber von einem Berichterstatter halten, der nicht einmal Mut genug hat, sich auf die Frage des Referenten, ob jemand von der SZ anwesend ist, zu melden – anschlie-
ßend jedoch die Aussagen des Vortrags und die Diskussion im Publikum „kenntnisreich“ zer-
pflückt? Es wird unterstellt, dass an diesem Abend etwas Volksverhetzendes passiert sei. Nichts, aber auch rein gar nichts davon hat stattgefunden. Weiterhin wird eine legitime Kritik an der Politik Israels mit Antisemitismus gleichgesetzt, trotz der fast beschwörenden Klarstellung des Unterschieds durch den Referenten. Diese Art von Journalismus erinnert mich eher an frühere dunkle Seiten in einem anderen Teil Deutschlands, in dem Leute und kritische Organisationen ebenfalls mundtot gemacht oder ihnen zumindest nachhaltig geschadet werden sollte.

Was soll mit dieser Berichterstattung erreicht werden? Wollen Sie in Zeiten der Haushaltskür-
zungen dem Kulturreferat einfach nur mit Vorschlägen sekundieren, oder soll hier mit bewährten Mitteln bei den hier in München lebenden VertreterInnen der Konfliktparteien gezündelt werden? Man kann jetzt bilderbuchmässig erleben, wie der Konflikt zwischen Israel und den besetzten pa-
lästinensischen Gebieten, den die „große“ Politik schon seit langem schürt, sich vor der eigenen Haustüre eskalieren lässt: Mit Hilfe einer bewusst suggestiven Berichterstattung, die Ergebnisse einer sorgfältig unternommenen Recherche von Fakten ignoriert, und die getrieben ist – trotz besseren Wissens – einfach nur das hören und sehen zu wollen, was dazu beiträgt, eine der Kon-
fliktparteien zu diffamieren und zu kriminalisieren. Wenn jetzt geprüft wird, „ob der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt ist“, dann wird mit dem ausgelösten Schritt genau das Interesse der-
jenigen bedient, die Angriff schon immer als die beste Verteidigung ansehen und denen nichts daran liegt, dass es zu einer friedlichen Koexistenz beider Seiten kommt, weder in Nahost noch in München.

Monika Bobzien, München

Zutiefst diffamierend

Als Vereinigung von Lehrkräften bayerischer Schulen und von Referenten in der außerschulischen entwicklungspolitischen Bildungsarbeit der Kirchen, der Kommunen und großer Hilfswerke haben wir mit äußerstem Befremden die Darstellungen von Herrn Bertold Neff zur der Ankündigung der Palästina-Tage und zum Vortrag unseres Gründungsmitglieds Herrn Christoph Steinbrink zur Kenntnis genommen. Die undifferenzierte, unterschwellig zutiefst diffamierende Vorabbewertung dieser Veranstaltung als „antisemitische Propaganda“ kann in ihrer nicht mehr zu überbietenden Fehldeutung nur verstanden werden als der Versuch, das „Eine-Welt-Haus“ der weltoffenen Me-
tropole München mit seiner phantastischen Vielfalt eines friedensstiftenden interkulturellen Ver-
einslebens dahingehend zu knebeln, dass politisch unerwünscht kritische Stimmen ausgeblendet und kriminalisiert werden.

Und nicht nur das, offen wird in Ihrer nach eigenem Verständnis liberalen Zeitung schon im Vor-
feld angedrohter Überprüfungen angeregt, dem nach seiner Satzung und nach seinen Verträgen mit der Stadt in der Gestaltung seiner Arbeit selbstbestimmenden Trägerverein des Eine-Welt-Hauses die notwendigen Zuschussmittel für die kreative Vielfalt seiner Kulturarbeit zu kürzen. Diese als Zitate aus den Reihen der Stadtparlamentarier gebrachten Repressionsversuche bedro-
hen eine Einrichtung, die sich nach langer geduldiger ehrenamtlicher Vorbereitung schon im ersten Jahr ihrer Arbeit als weithin beachtetes Erfolgsprojekt zur Verständigung unter den viel-
fältigen Kulturen und Kulturträgern in der Landeshauptstadt entwickelt hat. Auf Grund des ge-
meinschaftlichen Eintretens aller beteiligten Kräfte für toleranzbereiten Dialog, für unbedingte Friedfertigkeit, für freiheitliche demokratische Entscheidungsstrukturen und grundlegende Men-
schenrechte in unserer eigenen Gesellschaft und in allen Teilen der Einen Welt entsteht hier eine engagierte, unschätzbar wichtige Verständigungsarbeit in den weltweit vielfach von Feindseligkei-
ten und Hass vergifteten Kultur- und Religionsgruppen-Beziehungen. Wollen Sie der Landes-
hauptstadt im Ernst nahe legen, diese Einrichtung zu kastrieren, obwohl München von vielen anderen Kommunen um dieses Modell beneidet wird?

Ludwig Gernhardt, Schondorf

Reiner Opportunismus

Es ist nicht neu für die deutschen Medien, dass bei jeder Kritik an Israel der Vorwurf des Antisemi-
tismus erhoben wird. An dieser Art des Mundtotmachens muss sich jeder, der die Wahrheit über die israelischen Praktiken in den palästinensischen Gebieten berichten will, einstellen. Unter den Referenten während der Palästina-Tage in München sind zwei Israelis und eine Südafrikanerin, gegen die nicht einmal Frau Knobloch diesen Vorwurf einsetzen kann, denn diese sind anerkannte Historiker, Wissenschaftler und Friedensaktivisten. Deswegen greift Frau Knobloch zu einem neuen Standard-Vorwurf. Volksverhetzung heißt jetzt die neue Waffe gegen die Wahrheit. Dabei hat weder Frau Knobloch noch irgend einer der Herren der SPD und der CSU im Rathaus sich ernsthaft mit den Themen, Inhalten und den Referenten beschäftigt. Keiner von ihnen machte sich die Mühe einmal zuzuhören und dann zu beurteilen. Es handelt sich bei der Aktion gegen die Palä-
stina-Tage nämlich um reinen Opportunismus. Wir haben keinen dieser Herrn vom Rathaus in der Demo gegen die neuen Nazis in München gesehen.

Die Palästina-Tage zielen auf eine Aufklärung, die in Deutschland verboten ist. Die Palästinenser zeigen während dieser Palästina-Tage die Verbrechen der israelischen Politik mit Hilfe ehrlicher Israelis und Friedensaktivisten an und setzen ein Zeichen für die Verständigung zwischen Israelis und Palästinenser für einen gerechten Frieden in Palästina. Diese Menschen verdienen unser aller Achtung.

Haysam El-Tibi, München


Süddeutsche Zeitung 263 vom 14. November 2002.

Überraschung

Jahr: 2002
Bereich: Internationales