Materialien 2002
Sehr geehrter Herr Regierungspräsident
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
Bayern
Vorsitzender
An den
Regierungspräsidenten der
Regierung von Oberbayern
Herrn Werner-Hans Böhm
80534 München
München, 2. Mai 2002
Sehr geehrter Herr Regierungspräsident,
die Regierung von Oberbayern richtete an unser Mitglied, Frau Sophia Deeg, beiliegenden Brief.
Irgend jemand in der Regierung von Oberbayern entnahm offensichtlich den Medien,
– dass Frau Deeg „im Krisengebiet Palästina bzw. im palästinensischen Hauptquartier von Yassir Arafat“ war,
– dass Frau Deeg Mitglied von attac sei
– und dass Frau Deeg auf einer Kundgebung gesprochen habe, die vom palästinensischen Studentenverein organisiert und durchgeführt worden sei.
Vor dem „Hintergrund der Vereinbarkeit dieser Tätigkeiten mit der Verfassungstreue zum Freistaat Bayern“ wurde Frau Deeg zu einer Stellungnahme aufgefordert.
Ich habe nun zwei Fragen an Sie;
1. Wer in der Regierung von Oberbayern hat dieses Schreiben veranlasst?
2. Wie kommt dieser/diese dazu, an der Verfassungstreue von Frau Deeg zu zweifeln? Welche Verfassungsartikel sieht er/sie unter Umständen missachtet?
Die an Frau Deeg gerichteten Fragen erscheinen mir überaus fragwürdig.
Frau Deeg soll beantworten, in welchen der genannten Organisationen sie Mitglied ist, da sind wohl „attac“ und „Palästinensischer Studentenverein“ gemeint. Das wäre ja leicht zu beantworten, wenn es die Regierung von Oberbayern auch nichts angeht. Aber aufzuführen, in welchen „darüber hinausgehenden Organisationen“ Frau Deeg Mitglied ist, ist schon schwieriger. Was sind zum Bei-
spiel über „attac“ „hinausgehende Organisationen“? Frau Deeg ist – wie schon erwähnt – auch Mitglied der GEW – geht nun die GEW über „attac“ hinaus oder nicht?
Noch schwieriger ist die Frage zu beantworten, welche Zielsetzungen diese, die darüber hinausge-
henden Organisationen, verfolgen und mit welchen anderen Organisationen diese „ggf. in Verbin-
dung stehen“.
Angenommen, die Regierung von Oberbayern schätzte die GEW als eine über „attac“ und den „Pa-
lästinensischen Studentenverein“ hinausgehende Organisation ein, Frau Deeg müsste eine sehr lange Auflistung darüber machen, mit wem die GEW in Verbindung steht (Kultusministerium, Parteien, andere Einzelgewerkschaften etc.).
Beinahe philosophisch, auf jeden Fall für längere Meditationen geeignet, erscheint mir die letzte Frage: „Auf welchen Umfang in oder außerhalb der genannten Organisationen erstrecken sich Ihre Aktivitäten?“ Angenommen, was nicht der Fall ist, Frau Deeg wollte diese Frage beantworten, sie stünde vor beinahe unlösbaren Problemen. „Aktivitäten und deren Umfang“ innerhalb der genann-
ten Organisationen könnte sie ja schildern, aber „Aktivitäten und deren Umfang außerhalb der genannten Organisationen“? Das ist schon ein bisschen viel verlangt, oder?
Sehr geehrter Herr Regierungspräsident, es ist mir völlig unerfindlich, warum sich Frau Deeg unterstellen lassen muss, nicht verfassungstreu zu sein. Und: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Regierung von Oberbayern eine ernsthafte Beantwortung dieser merkwürdigen Fragen von Frau Deeg erwartet.
Deshalb bitte ich Sie dringend, das Schreiben an Frau Deeg für gegenstandslos zu erklären.
Mit freundlichem Gruß
Schorsch Wiesmaier
PS. Die GEW wird die Medien über diesen Vorgang informieren.
Anlage
Archiv der Münchner Arbeiterbewegung