Flusslandschaft 1967
Alternative Ökonomie
Entfremdete Arbeit macht krank, schöner Konsum macht nicht gesund. Im Gegenteil. Es ist mög-
lich, wahre und falsche Bedürfnisse zu unterscheiden: „»Falsch« sind diejenigen, die dem Indivi-
duum durch partikuläre gesellschaftliche Mächte, die an seiner Unterdrückung interessiert sind, auferlegt werden: diejenigen Bedürfnisse, die harte Arbeit, Aggressivität, Elend und Ungerechtig-
keit verewigen. Ihre Befriedigung mag für das Individuum höchst erfreulich sein, aber dieses Glück ist kein Zustand, der aufrecht erhalten und geschützt werden muss, wenn es dazu dient, die Ent-
wicklung derjenigen Fähigkeit (seine eigene und die anderer) zu hemmen, die Krankheit des Gan-
zen zu erkennen und die Chancen zu ergreifen, diese Krankheit zu heilen. Das Ergebnis ist dann Euphorie im Unglück. Die meisten der herrschenden Bedürfnisse, sich im Einklang mit der Rekla-
me zu entspannen, zu vergnügen, zu benehmen und zu konsumieren, zu hassen und zu lieben, was andere hassen und lieben, gehören in diese Kategorie falscher Bedürfnisse. – Solche Bedürfnisse haben einen gesellschaftlichen Inhalt und eine gesellschaftliche Funktion, die durch äußere Mächte determiniert sind, über die das Individuum keine Kontrolle hat; die Entwicklung und Befriedigung dieser Bedürfnisse sind heteronom. Ganz gleich, wie sehr solche Bedürfnisse zu denen des Indivi-
duums selbst geworden sind und durch seine Existenzbedingungen reproduziert und befestigt wer-
den; ganz gleich, wie sehr es sich mit ihnen identifiziert und sich in ihrer Befriedigung wiederfin-
det, sie bleiben, was sie seit Anbeginn waren — Produkte einer Gesellschaft, deren herrschendes Interesse Unterdrückung erheischt.“1
1 Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Neuwied und Berlin 1967, 25.