Materialien 2016

Einlassung des Angeklagten Günter Wangerin

23. Februar 2016, 13 Uhr 15
Prozess wegen Hausfriedensbruch bei der Bundeswehr am 27. Juni 2015
vor dem Nymphenburger Schloss
im Justizgebäude an der Nymphenburgerstraße 16, Saal A123

Hohes Gericht, Da Sie gehalten sind, sich ein Bild von mir als dem Angeklagten zu machen, ein paar Worte zu meiner Person.

Ich bin 70 Jahre alt, seit 6 Jahren im Ruhestand. Bis 1986 war ich als Krankenhausarzt tätig, danach habe ich bis zum Eintritt ins Rentenalter als Lektor bei einem wissenschaftlichen Verlag gearbeitet.

Seit vielen Jahren – auch während meiner Zeit als Arzt und später als Lektor – war ich künstle-
risch tätig als Maler, Grafiker und Maskenbildner. Ich bin es bis heute. Besonders jetzt im Ren-
tenalter, widme ich mich dieser Tätigkeit, wie sie auch an der Aktion mit der Maske vor dem Nymphenburger Schloss sehen können. Für mich ist Kunst, auch Aktionskunst wie die Perfor-
mance, zur Lebensaufgabe geworden.

Da ich – wenn Sie so wollen – ein politischer Künstler bin, setze ich mich mit der Realität ausein-
ander, in der ich, in der wir leben. Zu dieser Realität zählt für mich als Künstler nicht nur die Land-
schaft, in der ich meine Zeit verbringe, sondern auch und vor allem die Art und Weise des Um-
gangs mit den Menschen durch die Entscheidungsträger in der Politik oder auf der Straße, egal, ob diese Menschen hier leben, oder auf der Flucht aus Armut oder Krieg zu uns kommen.

Bei meiner Malerei, meinen Skulpturen, Karikaturen, Masken geht es also um Krieg und Frieden, um Recht und Unrecht, um Humanität und Barbarei, um Flüchtlinge und Fluchtursachen. Z.B. auch um brennende Asylbewerberheime.

Warum erzähle ich Ihnen das? Ich tue es, weil ich selbst in dieser meiner Tätigkeit, die etwas mit dem Eintreten für eine menschliche Gesellschaft zu tun hat, seit Jahren durch Polizei und Justiz behindert werde. Neuerdings gesellt sich zu dieser unheiligen Allianz das Militär.

Ich stehe heute wieder einmal vor einem Gericht in diesem Haus. Ich sage WIEDER EINMAL, weil das in den letzten Jahren öfter der Fall war.

Allen Verfahren ist eines gemein: es handelt sich darum, dass ich das Recht auf Meinungsfreiheit nach Artikel 5 GG, in den letzten Jahren das Recht der Freiheit der Kunst Artikel 5 Absatz 3 GG in Anspruch genommen habe.

Ich stelle fest, dass die Wahrnehmung dieses Rechts wohl dann zum Problem wird, wenn es nicht um die Verherrlichung der Zustände in diesem Land geht, sondern um die Kritik an diesen.

Immer ging und geht es auch heute um die Teilnahme an Antikriegsaktionen, um Aktionen gegen alte und neue Nazis oder um die Verteidigung elementarer Rechte, z.B. des Asylrechts. Darum, dass alle Menschen gleich sind und selbstverständlich auch die gleichen Rechte haben müssen.

Ich habe niemandem etwas getan, jemandem Schmerzen zugefügt, jemanden übervorteilt, betro-
gen oder was auch immer.

Ich komme zum Vorwurf des Hausfriedensbruchs.

Hausfriedensbruch?

Was geschah am 27. Juni 2015? Das zu schildern ist schnell geschehen. Die Universität der Bun-
deswehr lud in den Zeitungen die Münchnerinnen und Münchner zu einer öffentlichen Ernennung junger Soldaten zu Offizieren vor dem Nymphenburger Schloss ein, also auch mich.

Das Ganze sollte mit militärischem Gepränge vor sich gehen, die Einladung wurde aber kurz vor dem Ereignis widerrufen, nachdem das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus eine Protestaktion gegen die Feierlichkeiten angekündigt hatte. Ich hatte die kurzfristige Absage nicht mitbekommen und mich ungehindert mit einem kleinen Podest und einer Plastiktüte, in der sich eine Gauckmaske und ein großes eisernes Kreuz befanden, an dem Platz eingefunden, an dem die Eltern der Jungoffiziere standen. Ich plante eine Kunstaktion.

Warum Gauckmaske? Weil Pastor Gauck der entschiedenste Befürworter von Bundeswehrein-
sätzen in aller Welt ist und keine Gelegenheit verstreichen lässt, für solche Einsätze zu werben. Die Auffassung, dass diese Einsätze VERFASSUNGSWIDRIG sind, entstammt nicht meiner krankhaf-
ten Phantasie, sondern wird auch von bedeutenden Verfassungsrechtlern geteilt.

Was passierte also konkret?

Als die über 400 jungen Soldaten angetreten waren und „Des großen Kurfürsten Reitermarsch“ – vorgetragen durch eine Bundeswehrkapelle mit Tambourmajor – verklungen war, trat Stille ein.

In diesem Moment stieg ich schnell auf mein kleines Podest, stülpte mir die Gauck-Maske und das Eiserne Kreuz über, salutierte und rief zweimal deutlich „Habt Acht“.

Mein Ruf war noch nicht verhallt, da rissen mich zwei Arme, einer links einer rechts, von meinem Podest. Das Ganze geschah ohne Vorwarnung. Ich bin sofort zu Boden gestürzt. Man nahm mich in eine Art Nackengriff – wer von den beiden das war, konnte ich nicht sehen – weil mir einer die Augen zugehalten hatte, man drehte mir dabei den Kopf hin und her, wobei meine Brille zu Bruch ging, griff mir dabei in die Nase (es war wohl der „kontrollierte Nasenhebel“, von dem der eine Feldjäger spricht) und legte mir, der ich wehrlos am Boden lag und mich in diesem Griff nicht be-
wegen konnte, Handschellen an. Auch dieses Manöver ohne ein Wort.

Ich wehrte mich nicht, weil ich wusste, welche juristischen Folgen das haben würde, protestierte aber laut und deutlich gegen dieses Vorgehen. Dazwischen forderte ich die beiden auf, mir die Handschellen abzunehmen, sie sähen doch, dass ich mich nicht wehrte. Ohne Erfolg. Sie schienen stumm. Sie zerrten mich dann hoch und rissen mich im Laufschritt mit sich fort zur Polizei. Ir-
gendwo auf dem Rasen nahmen sie mir dann die Handschellen ab.

Soweit, so schlecht.

Als ich die Zeugenaussagen der beiden las, war ich sprachlos.

Angeblich hätten sie mich davon zu überzeugen versucht, mein unentwegtes Rufen aufzugeben.

Angeblich hätten sie angedroht, unmittelbare Gewalt anzuwenden etc. etc.

Nichts davon stimmt.

Ich habe eine Frage an Sie, Herr Staatsanwalt: Sie haben die Zeugenaussagen der beiden doch gelesen.

Kam es Ihnen nicht komisch vor, dass ich gerufen haben soll: „Für die Abschaffung der Bundes-
wehr!“

Kam es Ihnen denn nicht seltsam vor, dass ausgerechnet ein Darsteller mit Gauckmaske und Eisernem Kreuz gerufen haben soll „Für die Abschaffung der Bundeswehr“?

Bedenken Sie: Meine Aktion war eine satirische. Als Gauck stand ich doch FÜR DIE BUNDES-
WEHR DA und nicht gegen sie! Ich rief „Habt Abt!“, eine Aufforderung also, wachsam zu sein.

Noch etwas, Herr Staatsanwalt. Nehmen Sie die Beschreibung des Vorgangs, dass ich angeblich „kontrolliert“ zu Boden gebracht worden sein soll, den beiden tatsächlich ab?

Ich soll also weiterhin versucht haben, meine Aktion fortzuführen?

Die Aktion war mit dem Herunterreißen der Maske und Eisernem Kreuz doch erledigt. Ich, ein Mensch mit siebzig, lag in eisernem Griff bewegungslos am Boden. Es schmerzte mir alles, vor allem Hals und die Hüfte. Dass ich lautstark protestierte, habe ich ja schon gesagt. Das war ja das einzige, was ich konnte.

Dass die Gewaltanwendung „zu ihrem und und auch meinem Schutz“ (sic!) notwendig war, glauben Sie das den Beiden? Zu meinem Schutz? Habe ich so was nicht schon in anderem Zusammenhang gehört?

Es gibt ja auch den Begriff „S c h u t z h a f t“.

Ich frage Sie, Herr Staatsanwalt: Was geschieht eigentlich, wenn ein Feldjäger als Zeuge Falsch-
aussagen macht? Halten Sie es für ausgeschlossen, dass ein Feldjäger Falschaussagen macht?

Wie Sie vielleicht wissen, sind die Bilder in den Zeitungen – sie waren ja in allen Münchner Tageszeitungen – von vielen Menschen mit Empörung aufgenommen worden. Auch von Leuten, die sich selbst als eher konservativ verstehen.

Es war ein Einsatz ohne jede Verhältnismäßigkeit, ganz egal, woran man sich juristisch orientiert. Ich bin froh, dass er für mich glimpflich ausgegangen ist. Es hätte anders kommen können. Meine Aktion war eine friedliche. Ich habe niemanden verletzt, mein zweimaliger Ruf hat keinem Trom-
melfell geschadet. Mit ein wenig Humor hätte der eine oder andere darüber lachen können. Diesen kleinen Auftritt hätte eine demokratische Versammlung erdulden müssen.

Das hat die Bundeswehr nicht. Warum? Weil sie – in meinen Augen wenigstens — kein friedlicher Verein ist. Das Vorgehen der Herren Hempel und Träger lässt böses ahnen, was sie tun, wenn sie mit der Waffe hinaus in die Welt ziehen, um dort angeblich für Frieden zu sorgen. Es lässt auch ahnen, welchen Charakter Aktionen der Bundeswehr haben könnten, wenn sie denn – wie von Herrn Schäuble lautstark gefordert – ganz offiziell im Inneren eingesetzt wird.

Wie sind solche Vorfälle möglich? Wie ist es möglich, dass es zu Prozessen wie dem meinen heute kommt?

Es hat etwas mit der demokratischen Kultur in diesem Land zu tun. Mit der gesellschaftlichen Stellung, die Widerstand, wenn er von links kommt, in diesem Land hat. Damit, wie derlei Kritik gegen bestehende Verhältnisse auf Behördenebene, regierungsamtlich usw., aber auch an vielen Stammtischen gehandelt wird. Man mag sie nicht. Und es hat eine langjährige unselige Tradition.

▄ Wir leben in einem Land, in dem kein Richter, der in der Nazibarbarei „Recht“ gesprochen hatte, für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurde. Sie alle sprachen – von ganz wenigen Aus-
nahmen abgesehen – nach 45 übergangslos bis zum Eintritt ins Rentenalter RECHT. Das geschah mit Selbstverständlichkeit.

▄ In einem Land, in dem Widerstandskämpfer gegen das Naziregime über viele Jahrzehnte als Verräter galten. Nicht nur an Stammtischen. Noch heute wird in Bayern die Vereinigung der Ver-
folgten des Naziregimes VVN, in der Überlebende Gegner des Naziregimes ganz unterschiedlicher politischer Couleur vereint sind, im Bericht des Verfassungsschutzes aufgeführt. Auch das mit Selbstverständlichkeit.

▄ In einem Land, das einen Politiker hoch kommen ließ – und er ist noch heute hoch geehrt – der unter dem Beifall sehr vieler Würdenträger den Satz geprägt hatte: „Ein Land, das solche wirt-
schaftlichen Erfolge zu verzeichnen hat wie Deutschland, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen.“

Das prägt und wird bis heute weitergetragen in alle Winkel dieser Republik. In Amtsstuben, in Schulen, ins Militär.

In einem solchen Land hat Widerstand und Kritik an Bestehendem – leider auch vor Gericht – einen anderen Stand als dort, wo antifaschistische und antimilitaristische Positionen, human orientiertes Denken wie Alexander Mitscherlich es genannt hat, eine Selbstverständlichkeit sind. Aber WO ist dieses Land? Wo? Nicht hier.

In einem solchen Land würde ich jedenfalls sehr viel lieber leben, als in einem, in dem Prozesse wie der meine geführt werden, die – beabsichtigt oder nicht – am Ende nur eines bewirken: Dass vor allem junge Leute sagen: Von Protest und Kritik lasse ich lieber die Finger.

Danke

Überraschung

Jahr: 2016
Bereich: Bundeswehr