Flusslandschaft 2017

Flüchtlinge

Das bayrische „Integrationsgesetz“ ist seit dem 1. Januar 2017 in Kraft. „Was da auf dem Tisch liegt, hat mit der bayerischen Verfassung und dem Grundgesetz nichts mehr zu tun“, sagt Dr. Klaus Hahnzog, bayrischer Verfassungsrichter.1

Abschiebungen in ein Land, das von Krieg gebeutelt ist, für das Reisewarnungen gelten und in dem noch nicht einmal deutsche Soldaten ihre Stützpunkte ausreichend schützen können? Undenkbar? Die Bundesregierung und besonders auch die bayrische Staatsregierung sieht das anders! Am 14. Dezember 2016 wurden 34 Menschen aus Afghanistan vom Frankfurter Flughafen nach Kabul ab-
geschoben. Darunter waren acht Menschen aus Bayern. Die politisch Verantwortlichen rechtferti-
gen ihre Abschiebepraxis in ein Kriegsland damit, dass es innerstaatliche Fluchtalternativen gäbe. Die Lage in Afghanistan aber ist katastrophal: Alleine im November 2016 gab es fünf große An-
schläge mit über 50 Toten und unzähligen Verletzten. In Afghanistan gibt es bereits jetzt mehr als eine Millionen Binnenflüchtlinge, die unzureichend oder gar nicht versorgt und geschützt werden können. – Seit Ende letzten Jahres gilt Afghanistan als „sicheres Herkunftsland“, obwohl die Bun-
desregierung Reisewarnungen herausgibt und ihre Diplomaten aus Sicherheitsgründen abgezogen hat. Immer mehr Afghaninnen und Afghanen werden abgeschoben. Dagegen wendet sich die De-
monstration, die am 21. Januar vom Stachus zum Franz-Joseph-Platz führt. Zu Beginn sind es einige Hundert Menschen, die protestieren, während des Zuges schließen sich immer mehr Men-
schen an. Soweit zu sehen ist, kommt es bei den Zuschauern am Straßenrand nicht einmal zu einer abfälligen Bemerkung. Bei der Abschlusskundgebung verliest eine Dame diesen offenen Brief eines Geflüchteten: „Was bedeutet die Abschiebung in ein Krisengebiet? Einen Menschen, eine ganze Familie dahin zu schicken, wo Bomben detonieren und kein Kind einen sicheren Schulweg hat. Die Bundesregierung forciert bereits seit geraumer Zeit Massenabschiebungen nach Afghanistan. Ihre Begründung: In Afghanistan gäbe es Gebiete, die man als ‘sicher’ einstufen könne. – Ist Afghani-
stan sicher? Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2016 kamen laut dem UN-Bericht vom 25. Juli 2016 1.601 ZivilistInnen ums Leben und es wurden 3.565 ZivilistInnen verletzt. Erst am 10. Januar dieses Jahres forderte ein Sprengstoffanschlag der Tali-
ban rund 50 Tote und mehr als 90 Verletzte. Afghanistan ist nicht sicher! – Die humanitäre Situa-
tion ist desaströs. Das Land ist von Krieg gebeutelt, die Sicherheitslage ist unterirdisch, die ökono-
mische Situation katastrophal. Für einen großen Teil der Bevölkerung steht weder medizinische Versorgung noch Elektrizität zur Verfügung. Selbst die internen Herkunftsländerleitsätze des Bun-
desamts für Migration und Flüchtlinge zeichnen ein düsteres Bild der Lage in Afghanistan. Dort heißt es: ‘In allen Teilen Afghanistans herrscht ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Form von Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen.’ Menschenrechtsverletzungen seien an der Tagesordnung, die Hälfte aller Kinder in Afghanistan seien ‘durch Mangelernährung lang-
fristig geschädigt’. Geflüchtete Menschen aus Afghanistan in ihr Herkunftsland abzuschieben ist nichts anderes als eine extreme Aufkündigung des Rechts auf Asyl von Seiten der Bundesregie-
rung. – Wir haben nicht aus Spaß unser Leben aufs Spiel gesetzt, nicht aus Spaß eine auszehrende, gefährliche Flucht auf uns genommen! Wir haben unsere Heimat, unsere Freunde und Familien nur deswegen verlassen, weil wir in Afghanistan nicht mehr leben können. Wir fordern nicht viel. Was wir verlangen, sind fundamentale Menschenrechte. Das Recht auf Asyl, die Möglichkeit, uns ein sicheres Leben aufzubauen. Wir sind an der Kultur, der Sprache und den Menschen hier inte-
ressiert. Wir haben Freundschaften aufgebaut, Ausbildungen absolviert und die Sprache gelernt. Es gibt zahlreiche Beispiele für gelungene Integration. Die jüngsten Entwicklungen sind nichts als politisches Kalkül. Der Innenminister Thomas De Maiziére formulierte das ‘Ziel’ schon im Oktober 2015: Dem Anstieg der Flüchtlingszahl aus Afghanistan ‘Einhalt’ zu gebieten. Es gibt keinen sachli-
chen Grund, weshalb trotz steigender Opferzahlen und Attentate seit 2016 weniger Menschen aus Afghanistan in Deutschland Schutz gewährt wird. – Wir möchten hierbleiben und ein Teil dieser Gesellschaft sein. Abschiebungen nach Afghanistan sind Menschenrechtsverletzungen. – Wir möchten euch bitten, dass ihr uns auf unserem Weg eine Unterstützung seid und uns in unserem Kampf um Bleiberecht unterstützt! Danke!“2

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Das Haus gegenüber dem Gewerkschaftshaus in der Schwanthalerstraße Anfang Februar

Am 4. Februar findet eine weitere Demonstration statt, die sich gegen die Abschiebung von Afgha-
nen wendet. Nach der Kundgebung ziehen die Demonstranten zum Odeonsplatz.4

Die Bundesregierung und auch die bayrische Staatsregierung halten vorerst an ihrer menschen-
verachtenden Politik fest und planen weitere Sammelabschiebungen nach Afghanistan, nachdem bereits am 14. Dezember 2016 und am 23. Januar 2017 insgesamt 60 Menschen nach Afghanistan abgeschoben wurden. Trotz der Tatsachen, dass in Afghanistan Krieg herrscht, dass monatlich zahlreiche Zivilist*innen bei Bombenanschläge sterben und dass sich die Situation in der vergan-
genen Zeit im ganzem Lande wieder dramatisch verschlechtert hat, verweisen die politisch Ver-
antwortlichen der deutschen Abschiebepolitik auf vermeintlich „sichere“ Gebiete in Afghanistan und auf angebliche „innerstaatliche Fluchtalternativen“.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) spricht sich im Februar für Abschiebungen abge-
lehnter Asylbewerber nach Afghanistan aus. Natürlich sei es bekannt, „dass die Sicherheitslage kompliziert dort ist“ und es spreche auch niemand davon, dass ganz Afghanistan ein sicheres Land sei. „Aber es gibt sichere Orte.“ Daher könne, „behutsam, verantwortungsvoll, aber dann auch ent-
schlossen“ zurückgeführt werden. Das Ziel von Angriffen der radikalislamischen Taliban in Afgha-
nistan seien „Repräsentanten des staatlichen Systems“, also etwa Polizisten und Botschaften. „Die normale zivile Bevölkerung ist zwar Opfer, aber ist nicht Ziel von Anschlägen der Taliban.“ Das sei ein „großer Unterschied“.

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Natürlich ist Afghanistan auch und vor allem für abgeschobene Geflüchtete nirgendwo sicher! Und bereits jetzt gibt es mehr als eine Millionen Binnenflüchtlinge in Afghanistan, die unzureichend oder gar nicht versorgt und geschützt werden können! Am 22. Februar werden Flüchtlinge vom Münchner Flughafen aus nach Afghanistan abgeschoben. Mehrere Hundert Menschen protestie-
ren.6

Am 27. März demonstrieren erneut 330 Menschen im Münchner Flughafen gegen Abschiebungen nach Afghanistan.7

Vom 11. April bis zum 25. Juli finden jeden Dienstag von 18 – 19 Uhr in der Innenstadt Mahnwa-
chen statt. Die Orte sind: 11.4.: Karlsplatz, 18.4.: Marienplatz, 25.4.: Rindermarkt, 2.5.: Odeons-
platz (Fläche vor der Feldherrnhalle), 9.5.: Karlsplatz, 16.5.: Odeonsplatz, 23.5.: Karlsplatz, 30.5.: Odeonsplatz, 6.6.: Marienplatz, 13.6.: Odeonsplatz, 20.6.: Marienplatz, 27.6.17: Odeonsplatz, 4.7.: Karlsplatz, 11.7.: Marienplatz, 18.7.17: Karlsplatz, 25.7.17: Marienplatz

Unter dem Motto „Perspektiven schaffen“ demonstrieren Münchner Schülerinnen und Schüler am Donnerstag, den 27. April, gegen Abschiebungen während der Ausbildung und gegen die strengen Arbeits- und Ausbildungsverbote für Flüchtlinge. Junge Flüchtlinge von der Berufsschule an der Balanstraße organisieren den Protestzug gemeinsam mit dem Jungen Bündnis für Geflüchtete, dem neben politischen und kirchlichen Organisationen auch Gewerkschaften und Einzelpersonen angehören. Die Demo startet um 15 Uhr an der Luisenstraße/Ecke Elisenstraße und führt über
die Gabelsbergerstraße, Arcisstraße, Schellingstraße, Amalienstraße und Adalbertstraße zum Ge-
schwister-Scholl-Platz. Dort findet vor der Ludwig-Maximilians-Universität um 16.30 Uhr eine Abschlusskundgebung statt.

Am 17. Juni fordern um 18 Uhr Bellevue di Monaco, Bayrischer Flüchtlingsrat, Münchner Schü-
lerbüro
, Münchner Flüchtlingsrat, Schlau-Schule, München ist bunt und viele weitere auf dem Salvatorplatz vor dem Kultusministerium „Keine Abschiebung von Menschen in Ausbildung und Arbeit“.


Marion Blomeyer fotografiert am 17. Juni bei einer Demonstration für Asylsuchende.

Am 8. November fragt AfD-Frontfrau Weidel auf youtube: „Warum werden 630.000 ausreise-
pflichtige Migranten nicht abgeschoben?“ Faktenchecker stellen fest, dass diese Zahl nicht stimmt und irreführend ist.8

(zuletzt geändert am 11.1.2021)


1 Ausführliche Informationen dazu auf der Internetseite des Bündnisses gegen das bayerische Ausgrenzungsgesetz: https://integrationsgesetz.bayern/. Siehe „Unendlichkeitsgewahrsam, Vorverlagerung des Gefahrbegriffs und Kontrollen in Geflüchtetenunterkünften – Bonbons aus den jüngsten PAG-Novellen“ von Yunus Ziyal.

2 Siehe Fotos von der Demonstration „keine abschiebungen nach afghanistan“ von Günther Gerstenberg.

3 Foto: Franz Gans

4 Siehe Fotos von der Kundgebung „wir sind auch menschen“ von Richy Meyer.

5 Grafik: Peter Brüning

6 Siehe www.karawane-muenchen.org/2017/02/21/22-02-demonstration-gegen-abschiebungen-nach-afghanistan-am-flughafen-muenchen/ und Fotos von der Kundgebung „stop deportations to afghanistan“ von Günther Gerstenberg.

7 Siehe Fotos von der Kundgebung „kein mensch flieht freiwillig“ von Günther Gerstenberg. Siehe dazu auch https://isw-muenchen.de/2017/03/facebook-sperre-fuer-de-maiziere/

8 Siehe https://www.stimmtdas.org/2017/09/07/weidel-wir-haben-630-000-ausreisepflichtige-migranten-in-deutschland/

Überraschung

Jahr: 2017
Bereich: Flüchtlinge