Flusslandschaft 2017
Internationales
- Allgemeines
- USA
- Kanada
- Westsahara, Honduras und Mexiko
- Türkei und Kurdistan
- Lettland
- Israel und Palästina
- Spanien und Katalonien
Allgemeines
1
Der G20-Gipfel in Hamburg am 7. und 8. Juli 2017 ist das zwölfte Treffen der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Neben deren Staats- und Regierungschefs nehmen Politiker weiterer Staaten und Vertreter internationaler wirtschafts- und handelspolitischer Orga-
nisationen daran teil. Auf dem Gipfel soll, so heißt es, ein Marshallplan für Afrika beschlossen wer-
den. Stattdessen geht es um die Beseitigung von Handelshindernissen. Auch bei den Protesten auf dem Fischmarkt geht es nicht um Afrika. Dort liegt Wut in der Luft. Für diese Wut gibt es viele Gründe. Aber der Ruf nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung wird nicht laut. Das war einmal ganz anders in der Bundesrepublik. Ende der sechziger Jahre ging es gegen den Vietnam-Krieg, ab 1973 gegen den Militärputsch in Chile, dann kamen die Nord-Süd-Kommission Willy Brandts und die Kampagnen „Waffen für El Salvador“ und Brigadisten für Nikaragua. Davon ist nichts mehr zu hören. „Ich hab Anfang der 70er immer gesagt, Leute, wenn wir nicht mehr für Afrika machen, dann kommen wir unter einen Einwanderungsdruck, der uns zum Polizeistaat machen kann, aber es hat kein Mensch zugehört“ – so der 90-jährige Erhard Eppler im Film „Federn lassen – Von der Dritten Welt zum Globalen Süden“ von Gaby Weber. Sie hat die ehemalige DLF-Redakteurin Karin Beindorff interviewt, den Historiker Jürgen Dinkel, das einstige RAF-Mitglied Lutz Taufer, den Sprecher der unabhängigen Gewerkschaft FAU Clemens Melzer, die Lateinamerikanisten Klaus Meschkat und Urs Müller-Plantenberg, Petra Schlagenhauf vom FdcL, Rainer Rehak von Cyber-
peace und Andreas Wehr vom Marx-Engels-Zentrum.2
Die Politikwissenschaftler Ulrich Brand und Markus Wissen definieren die „nördlich-westliche“ Lebensweise als „imperial“, womit sie deutlich machen, dass dieser Lebensstil seine Kosten ex-
ternalisiert, indem er diese auf die Natur und den globalen Süden abwälzt.4
USA
Der neue US-Präsident heißt Donald Trump, der mit seiner Parole „Make America great again!“ gewonnen hat. 600 Menschen, die meisten von ihnen US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner, demonstrieren am 21. Januar um die Mittagszeit vom US-Generalkonsulat zum Marienplatz. Weltweit findet an diesem Tag der „Woman’s March“ statt. Die Proteste richten sich gegen Frau-
enfeindlichkeit, Rassismus, Homophobie und religiöse Intoleranz. Auf Plakaten ist zu lesen: „Trump is a threat to the whole world“ und „Make America think again!“
Am 2. Februar protestieren mehrere NGOs (urgewald, Campact, Pro Regenwald, Forum Nord Süd, Fossil Free München, Aktionsgruppe Indianer & Menschenrechte und SomeOfUS) vor der Zentrale der BayernLB und übergeben mehr als 700.000 Unterschriften aus weltweiten Petitionen gegen die Finanzierung der Ölpipeline Dakota Access übergeben. Die BayernLB ist eine von 17 beteiligten Banken, die dem Pipeline-Konsortium im August 2016 einen Projektkredit über bis zu 2,5 Mrd. Dollar gewährt haben. Die Aktion ist Teil einer globalen Protestwoche. Die knapp 1.900 Kilometer lange Pipeline soll Land kreuzen, das der Stamm Standing-Rock-Sioux als heilig ansieht und nach bisheriger Planung auch unter dem See Oahe am Fluss Missouri verlaufen. Anfang De-
zember wurde der Weiterbau nach monatelangen Protesten des Stamms und weltweiter Unterstüt-
zer blockiert; die Protestbewegung hatte intensivere Umweltprüfungen durchgesetzt. Der neue US-Präsident Trump hat jedoch am 24. Januar angewiesen, den Bau der Ölpipelines Keystone XL und Dakota Access zu beschleunigen. Die Stammesangehörigen und Aktivisten wollen ihren Wider-
stand nun verstärken – auch gegen involvierte Banken. Dave Archambault II, Vorsitzender des Stamms Standing-Rock-Sioux, sagt: „Wir freuen uns, dass einige der Banken Gespräche mit unse-
rem Stamm geführt haben. Leider hat sich die BayernLB bisher einem solchen Dialog verweigert. Statt nur den Pipeline-Firmen zuzuhören, sollte sie auch unsere Sichtweise und Bedenken berück-
sichtigen. Dieser einseitige Ansatz hat in der Geschichte immer wieder zu großen Schwierigkeiten beim Umgang mit Interessen indigener Völker geführt. Die Bank sollte kein Unternehmen unter-
stützen, das bewusst unsere Sorgen ignoriert.“ Auch Regine Richter, Bankenexpertin bei urgewald, verurteilt die Haltung der Bank: „Die BayernLB ist viel zu passiv. Banken wie die holländische ING und die norwegische DNB äußern wenigstens öffentliche Kritik am Verhalten des Pipeline-Konsor-
tiums oder verkaufen Anteile beteiligter Unternehmen. Wenn die BayernLB nicht zum Gehilfen Trumps werden will, muss sie sich klarer öffentlich positionieren. Im Zweifel muss sie aus dem Kredit aussteigen.“ Linda Neddermann von Campact ergänzt: „Mit seiner Entscheidung geht der US-Präsident zurück in die energiepolitische Steinzeit. Wir brauchen aber für diesen Planeten eine Klimapolitik weg von Kohle, Öl und Gas. Die Campact-Aktiven wollen, dass sich die BayernLB als deutsche Bank aus diesem US-Projekt zurückzieht. Wir dürfen diesseits und jenseits des Atlantiks nicht jeden Fehler mittragen.“
Freitag, 7. April: Aktivisten der Münchner Friedensbewegung demonstrieren am Abend gegen den US-Bomben-Angriff auf den syrischen Militärstützpunkt al-Schairat, den US-Präsident Trump in der Nacht davor angeordnet hat. Eine Rednerin sagt: „Der US-Angriff ist eine völkerrechtswidrige Aggression gegen Syrien und ein Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen, unter dem er-
fundenen Vorwand, die syrische Armee sei für den Giftgaseinsatz in der vergangenen Woche ver-
antwortlich. Beweise dafür gibt es nicht. Alle syrischen Giftgasbestände wurden 2015 unter UN-
Kontrolle beseitigt. Bombenangriffe beenden nicht das Sterben in Syrien. Sie fügen den Giftgas-To-
ten weitere Tote hinzu. Die US-Aggression gegen Syrien erhöht außerdem die Gefahr einer militäri-
schen Eskalation zwischen den Atommächten USA und Russland und sie torpediert alle Versuche, durch internationale Verhandlungen einen Waffenstillstand zu erreichen und das Elend für die syrische Bevölkerung zu beenden. Unter Führung Russlands wird derzeit über ein Ende des Kriegs verhandelt. In Syrien droht Frieden, das ist offenbar die Angst derjenigen, die mit militärischer Ge-
walt den syrischen Präsidenten Assad entmachten und einen Regimewechsel in Syrien durchsetzen wollen. Deutsche Tornado-Aufklärungsflugzeuge und deutsche Tankflugzeuge unterstützen die Luftangriffe der westlichen Kriegs-Allianz in Syrien, bei denen tausende Zivilisten getötet werden. Wir fordern von der Bundesregierung, die Beteiligung der Bundeswehr am Kriegseinsatz der NATO in Syrien zu beenden. Wir fordern den sofortigen Stopp der US-Aggression gegen Syrien. Wir fordern internationale Verhandlungen zur Beendigung aller Kriegshandlungen und Verhand-
lungen für eine politische Lösung in Syrien.“
5
Max-Joseph-Platz am 15. April 2017
KANADA
Am 2. Februar demonstrieren mehrere NGOs vor der Zentrale der BayernLB und übergeben mehr als 700.000 Unterschriften aus weltweiten Petitionen gegen die Finanzierung der Ölpipeline Dako-
ta Access. Die BayernLB ist eine von 17 beteiligten Banken, die dem Pipeline-Konsortium im Au-
gust 2016 einen Projektkredit über bis zu 2,5 Mrd. Dollar gewährt haben. Die Aktion ist Teil einer globalen Protestwoche. Die knapp 1.900 Kilometer lange Pipeline soll Land kreuzen, das der Stamm Standing-Rock-Sioux als heilig ansieht und nach bisheriger Planung auch unter dem See Oahe am Fluss Missouri verlaufen. Anfang Dezember wurde der Weiterbau nach monatelangen Protesten des Stamms und weltweiter Unterstützer blockiert; die Protestbewegung hatte intensi-
vere Umweltprüfungen durchgesetzt. Der neue US-Präsident Trump hat jedoch am 24. Januar angewiesen, den Bau der Ölpipelines Keystone XL und Dakota Access zu beschleunigen. Die Stammesangehörigen und Aktivisten wollen ihren Widerstand nun verstärken – auch gegen invol-
vierte Banken. Dave Archambault II, Vorsitzender des Stamms Standing-Rock-Sioux, sagt: „Wir freuen uns, dass einige der Banken Gespräche mit unserem Stamm geführt haben. Leider hat sich die BayernLB bisher einem solchen Dialog verweigert. Statt nur den Pipeline-Firmen zuzuhören, sollte sie auch unsere Sichtweise und Bedenken berücksichtigen. Dieser einseitige Ansatz hat in der Geschichte immer wieder zu großen Schwierigkeiten beim Umgang mit Interessen indigener Völ-
ker geführt. Die Bank sollte kein Unternehmen unterstützen, das bewusst unsere Sorgen ignoriert.“ Auch Regine Richter, Bankenexpertin bei urgewald, verurteilt die Haltung der Bank: „Die Bayern-
LB ist viel zu passiv. Banken wie die holländische ING und die norwegische DNB äußern wenig-
stens öffentliche Kritik am Verhalten des Pipeline-Konsortiums oder verkaufen Anteile beteiligter Unternehmen. Wenn die BayernLB nicht zum Gehilfen Trumps werden will, muss sie sich klarer öffentlich positionieren. Im Zweifel muss sie aus dem Kredit aussteigen.“ Linda Neddermann von Campact ergänzt: „Mit seiner Entscheidung geht der US-Präsident zurück in die energiepolitische Steinzeit. Wir brauchen aber für diesen Planeten eine Klimapolitik weg von Kohle, Öl und Gas. Die Campact-Aktiven wollen, dass sich die BayernLB als deutsche Bank aus diesem US-Projekt zurück-
zieht. Wir dürfen diesseits und jenseits des Atlantiks nicht jeden Fehler mittragen.“ Beteiligte Gruppen: urgewald, Campact, Pro Regenwald, Forum Nord Süd, Fossil Free München, Aktions-
gruppe Indianer & Menschenrechte und SomeOfUS.
WESTSAHARA, HONDURAS und MEXIKO
In der Nacht vom 2. auf den 3. März 2016 wurde in Honduras Berta Cáceres, Generalkoordinatorin des Consejo Cívico de Organizaciones Populares e Indigenas de Honduras (COPINH) und Anfüh-
rerin indigenen Widerstandes, ermordet. Tomás Gomez, ihr Nachfolger, entging im Oktober 2016 knapp den Kugeln eines Mordanschlages. Der Konzern Siemens setzt zunehmend auf Projekte zur Gewinnung „grüner“ Energie. Sie dienen vordergründig dem Klimaschutz und der „Entwicklung“ im globalen Süden, stoßen aber immer wieder auf den erbitterten Widerstand der betroffenen Be-
völkerung. Völkerrechtsverletzungen werden zementiert, Gemeinden gespalten, indigene Rechte missachtet, AktivistInnen kriminalisiert, bedroht und ermordet. Der Dachverband Kritische Aktio-
näre, fdcl, GegenStrömung, HondurasDelegation, medico international, Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit und Pro Regenwald protestieren am Mittwoch, 1. Februar, anlässlich der Siemens-Jahreshauptversammlung ab 8.30 Uhr vor der Olympiahalle in München.
TÜRKEI und KURDISTAN
Der Journalist Deniz Yücel sitzt seit fast zwei Wochen in der Türkei in Polizeigewahrsam. Seinen Anwälten zufolge gibt es dafür keinen rechtlichen Grund, er hätte längst freikommen müssen. Die Initiative #FreeDeniz ruft deshalb für Dienstag, den 28. Februar, um 16:30 Uhr zu Solidaritätsak-
tionen im gesamten Bundesgebiet auf. Der Autokorso trifft sich beim Verkehrsmuseum am Bava-
riapark. Dort werden Plakate und Fahnen an den Autos angebracht. Um 17.30 Uhr geht es Rich-
tung Hauptbahnhof und von da aus in die Maxvostadt und nach Schwabing. Endpunkt ist der Geschwister-Scholl-Platz.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan strebt ein Präsidialsystem an, will die Gewaltentei-
lung einschränken und in einer Abstimmung die Verfassung seines Landes ändern lassen.
6
Auf einem Ampelmast Ecke Schwanthaler-/Paul-Heyse-Straße am 12. April
Freiheit für Mehmet Yeşilçalı! – Die Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) veröffentlicht folgende Pressemitteilung: „Gegen Mehmet Yeşilçalı und neun weitere Gefangene findet seit dem 17. Juni 2016 vor dem Oberlandesgericht München der Prozess wegen des Vor-
wurfs der Mitgliedschaft in der TKP/ML statt. Mehmet wurde am 15. April 2015 an seinem Wohn-
ort in der Schweiz verhaftet und etwa ein Jahr später, am 8. März 2016, nach Deutschland ausge-
liefert. Seitdem ist er in der JVA München Stadelheim inhaftiert. Am 21. März 2017 haben die Verteidiger von Mehmet beantragt, dass er aus der Untersuchungshaft entlassen wird. Begründet wurde der Antrag insbesondere damit, dass Mehmet während seiner jahrelangen Inhaftierungen in der Türkei seit 1980 schwerer Folter ausgesetzt war. Bereits vor seiner Festnahme 2015 befand er sich deswegen in der Schweiz seit einigen Jahren in Behandlung. Die Fortsetzung der Untersu-
chungshaft ist nicht zu verantworten und bedeutet eine schwere Gefährdung seiner Gesundheit. Mehmet braucht dringend therapeutische Hilfe. Diese ist unter den Haftbedingungen nicht zu gewährleisten. In dem Antrag wurde auch ein Vorfall in der JVA vom 9.12.2016 beschrieben, bei dem Mehmet von Mitarbeitern der Haftanstalt misshandelt und gedemütigt worden ist. Eine ver-
antwortungslose Knast-Ärztin hatte veranlasst, dass er gewaltsam und nackt für 24 Stunden in eine Kellerzelle gesperrt wurde. Von einem JVA-Mitarbeiter wurde Mehmet dabei auch geschlagen. Seit diesem Vorfall hat sich sein Gesundheitszustand noch weiter verschlechtert.“ Die ATIK ruft zu einer öffentlichen Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude und zu einem Zug der Solidarität auf: Freitag, 14. Juli, 11.30 Uhr, Nymphenburgerstraße 16, Gerichtsgebäude. Es sprechen: Inge Knoe-
ckel, Arbeitskreis aktiv gegen rechts in ver.di München, Cetin Oraner, Stadtrat für die Linke, Süleyman Güncan, Vertreter der ATIK, Betriebsrat IG BAU u.a. – Ab ca. 12.15 Uhr: Zug der Soli-
darität vom Gerichtsgebäude über die Hackerbrücke ins Westend – ca. 13 Uhr Georg-Freundorfer-Platz, U-Bahn Schwanthalerhöhe, dann wieder zurück zum Gerichtsgebäude – Ankunft dort ca. 13.45 Uhr zur Abschlusskundgebung.
Am 30. Juni flattern um 9.30 Uhr über 1.000 Flugblätter über den Gezi-Park in Istanbul. Ein selbsttätiger Drucker an einem geöffneten Fenster macht es möglich. Niemand wird verhaftet. Voraus geht diesem Akt des Widerstands der Wettbewerb „Scholl 2017“, in dem das Zentrum für politische Schönheit in den vergangenen vier Tagen die Geschwister Scholl unserer Zeit gesucht hat. Die Kandidaten sollten bereit sein, in eine Diktatur ihrer Wahl einzureisen und Flugblätter gegen das Regime zu verbreiten. Weit über 70 Kandidaten hatten sich zur Teilnahme bereit erklärt. In dem von in Deutschland lebenden Türken verfassten Gewinner-Flugblatt heißt es auf Türkisch: „Erdoğan und die AKP haben aus der Türkei eine offene totalitäre Diktatur gemacht … Wir rufen Euch auf: Seid keine willenlose Herde von Mitläufern, die zulassen, dass Nachbarn eingesperrt oder getötet werden. Verteidigt die Demokratie. Bekämpft den Rassismus. Stürzt die Diktatur … Widerstand ist Leben! Wir dürfen alle Revolutionäre nicht vergessen. Lasst uns genau wie sie, bis zum Ende Widerstand leisten, für die Befreiung der Gesellschaft aus der Diktatur. Denn gemein-
sam sind wir stärker als jedes System! Tod dem Diktator!“ Das Zentrum für Politische Schönheit dazu: „Der Widerstand der Geschwister Scholl besitzt nicht nur eine Relevanz für unsere Geschich-
te. Ihr Vermächtnis ist für uns heute von großer Bedeutung: indem wir die Diktatur beschweigen, indem wir der Türkei Wirtschaftsdialoge anbieten, während deutsche Journalisten mit absurden Anklagen in Haft sitzen, beschämen wir das, was wir in der Weißen Rose so hochhalten. Das Zen-
trum für Politische Schönheit freut sich auf den Staatsbesuch vieler weiterer erstklassiger Diktato-
ren in Deutschland am kommenden Wochenende und vertraut darauf, dass die hiesige Zivilge-
sellschaft einen konsequenten Umgang mit ihnen üben wird. Vergessen tötet.“
LETTLAND
Am 16. März kommt es in der lettischen Hauptstadt Riga – wie jedes Jahr seit 1991 – zu einem Gottesdienst, einem Ehrenmarsch und einer fahnengesäumten Kundgebung am Freiheitsdenkmal zu Ehren der lettischen Einheiten der Waffen-SS. Lettland gehört mit Estland, Litauen, der Ukra-
ine und Bulgarien zu den osteuropäischen Staaten, in denen Einheiten der Waffen-SS und andere mit den Nazis kollaborierende antisemitische Todesschwadronen als nationale Idole gefeiert wer-
den. Dies geschieht mit staatlicher Duldung und teilweise offener Unterstützung durch Behörden. Der Rigaer „Ehrenmarsch“ ist eine unerhörte Provokation für die Angehörigen der Opfer der letti-
schen Polizei und SS-Verbände und für die jüdische, russischsprachige und andere Minderheiten im Land. Er steht nicht nur im Gegensatz zu den Grundwerten der Europäischen Union, sondern ist auch eine Provokation gegenüber der Russischen Föderation und damit eine Gefahr für den Frieden in Europa. In Lettland werden antifaschistische Demonstrant*innen erheblichen Repres-
salien (Telefonüberwachung, Reisebeschränkungen, Behördenschikanen, Polizeiwillkür, staatliche Einflussnahme auf Hotels und Veranstaltungsunternehmen) ausgesetzt. Dies gilt auch für Unter-
stützer*innen, die aus Deutschland und anderen Ländern anreisen. Die Vereinigung der Verfolg-
ten des Naziregimes – Bund der AtifaschistInnen (VVN-BdA) und die Mitgliedsverbände der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) rufen dazu auf, nach Riga zu reisen und am 16. März an der antifaschistischen Kundgebung teilzunehmen. Gleichzeitig rufen sie dazu auf, am 15. März vor lettischen Botschaften und Konsulaten in Europa gegen die Verherrlichung von NS-Kollaborateuren und Massenmördern zu protestieren und Freiheit für Lettlands Antifa-
schist*innen zu fordern. Von 11 bis 13 Uhr fordert eine Mahnwache gegenüber dem lettischen Kon-
sulat in München in der Ohmstraße 22: Schluss mit der Ehrung von NS-Kollaborateuren und Mör-
dern! Anerkennen der baltischen Beteiligung am nazistischen Völkermord! Freiheit für „Lettland ohne Nazismus“!
ISRAEL uns PALÄSTINA
Für den 7. Februar plant Konzertpianist Michael Leslie ein Benefizkonzert für Gaza. Er will im Bür-
gerhaus Gräfelfing spielen. Angehörige der Münchner Jüdischen Gemeinde und Schülerinnen des Gräfelfinger Gymnasiums fordern die Absetzung des Konzerts. Ihre Vorwürfe: Vortäuschen huma-
nitärer Zwecke, Unterstützung von BDS (Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions) und von Terrorgruppen in Gaza. Dank der standhaften Bürgermeisterin findet die Veranstaltung statt und hat sehr großen Zuspruch.
Vom 12. bis 14. Mai soll in der Evangelischen Akademie Tutzing eine Tagung stattfinden, die „Nahost im Spannungsdreieck: Israelisch-palästinensische Friedensgruppen als Lernorte für deutsche Politik?“ thematisiert. Leiter Udo Hahn sagt die Tagung mit vermutlich stillschweigender Duldung des Landesbischofs ab: Es mangele an maßgeblichen Gesprächspartnern. Friedensakti-
vistInnen sind verblüfft.
Am 24. Mai spricht Gideon Levy im Gasteig zum Thema „50 years occupation“. Antideutsche und Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde protestieren lautstark und stören dauernd die Veran-
staltung der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe.
Am 17. September kursiert in München ein Aufruf.7
„Es ist höchst beunruhigend für die Informationsfreiheit in unserem Land, dass der Sprecherin der Jüdisch-Pälästinensischen Dialoggruppe, der in Jerusalem geborenen und aufgewachsenen Judith Bernstein, das Recht bestritten wird, am 3. Oktober im Gasteig einen Vortrag über Jerusalem zu halten.“ Das erklärt Elfi Padovan, die Organisatorin der Veranstaltung und Sprecherin der Landes-
arbeitsgemeinschaft Frieden und internationale Politik der Linkspartei, am Sonntag. Dagegen werde sie eine einstweilige Verfügung beantragen. Die Geschäftsführung des Gasteig begründete die fristlose Kündigung des Vertrags u.a. damit, dass es sich „bei einigen der Mitveranstalter um Gruppierungen handelt, die der BDS-Kampagne zumindest nahe stehen oder diese auch unter-
stützen“. (BDS steht für die Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions.) Zur Begründung des Gasteig, dass dies bei Vertragsabschluss nicht bekannt gewesen, erklärte Elfi Padovan, das Gegen-
teil lasse sich leicht belegen. „Offenbar soll hier, noch bevor über einen gemeinsamen Stadtrats-
antrag von SPD und CSU zur Einengung der Versammlungsfreiheit in München abgestimmt sei, in vorauseilendem Gehorsam ein Wunsch der Stadtregierung erfüllt werden“, erklärte sie. Mitveran-
stalter des Vortrags sind das Münchner Friedensbündnis, Pax Christi, Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe, Palästina-Forum, Frauen in Schwarz (München), Salam Shalom/Arbeitskreis Palästina-Israel, Landesarbeitsgemeinschaft Frieden und internationale Politik der LINKEN sowie das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus. Die Landesarbeitsgemeinschaft Frieden und internationale Politik vermutet, das Vorgehen des Gasteig könne im Zusammenhang mit einer seit Tagen in München laufenden Unterschriftenaktion gegen den Stadtratsantrag von SPD und CSU stehen, der von einer Reihe prominenter Persönlichkeiten, u.a. der Kabarettistin Lisa Fitz, dem Wissenschaftspublizisten Martin Urban und Clemens Verenkotte, dem früheren ARD-Hör-
funkkorrespondenten in Israel unterstützt wird. Allerdings scheitert der Gasteig mit seinem Vor-
haben, einen Vortrag über Jerusalem von Judith Bernstein am 3. Oktober zu verhindern. Das Landgericht München I hebt am Freitag mit einer Einstweiligen Verfügung die fristlose Kündigung des Vertrags durch den Gasteig auf. „Wir atmen auf, dass das Gericht das Grundrecht der Infor-
mationsfreiheit verteidigt hat,“ kommentiert Elfi Padovan, die private Veranstalterin des Vortrags, die Gerichtsentscheidung. München sei vor einer bundesweiten Blamage bewahrt worden. Mit der Gerichtsentscheidung sei auch verhindert worden, dass bereits vor der Abstimmung über einen gemeinsamen Stadtratsantrag von SPD und CSU, der israelkritische Veranstaltungen in allen städtischen Räumen Veranstaltungen einschränken will, eine solche Beschränkung von Grund-
rechten praktiziert werde.
SPANIEN und KATALONIEN
In Katalonien geht die Polizei am 1. Oktober gewaltsam gegen das Referendum über die Unabhän-
gigkeit von Spanien vor. Gummikugeln und Schlagstockeinsätze prägen den Tag. Insgesamt gibt es über 800 Verletzte auf Seiten der Wählenden.
Am Dienstag, 3. Oktober, demonstriert die Freie Arbeiter Union von 13 bis 15 Uhr vor dem Spani-
schen Generalkonsulat in der Odinstraße/Ecke Oberföhringer Straße 45 gegen die Polizeigewalt, findet allerdings auch, dass die Ausrufung eines neuen Staates überflüssig ist.
Das Centré Català de Munic (Katalanisches Kulturzentrum München) teilt mit: „Aus Anlass der Geschehnisse des vergangenen 1. Oktober verurteilen wir offen und entschieden das Vorgehen der Sicherheitskräfte des spanischen Staates gegen die Bürgerinnen und Bürger Kataloniens und gegen die dortigen Institutionen. Wir halten die Vorgehensweise der »Policía Nacional« und der »Guar-
dia Civil« für völlig unverhältnismäßig und gewalttätig. Aus diesem Grund rufen wir gemeinsam mit der ANC (Assamblea Nacional Catalana/Katalanische Nationalversammlung) zu einer Protest-
aktion auf, die am kommenden Donnerstag, den 5. Oktober, von 18 bis 20 Uhr am Marienplatz im München stattfinden wird. Es handelt sich um eine friedliche Versammlung zur Kundgabe der Solidarität mit dem katalanischen Volk und zur Verurteilung der Repression, außerdem wollen wir unseren Zusammenhalt in diesen schwierigen Augenblicken zum Ausdruck bringen. Wir fordern euch alle auf zu kommen, wenn möglich mit einer Nelke, um euch daran zu beteiligen, euch Aus-
druck zu verschaffen, zu lachen oder zu weinen, zu diskutieren, zu verarbeiten und Wunden zu heilen, vor allem aber, um als Menschen zu wachsen.“8
(zuletzt geändert am 26.1.2024)
1 Grafik: Bernd Bücking. In: Mayer/Garnreiter/Pauli/Schmid/Lessenich/Schuhler, Krise des Globalen Kapitalismus und jetzt wohin? isw-Report Nr. 109, Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München e.V., Juli 2017, 7.
2 Siehe den Film „Federn lassen – Von der Dritten Welt zum Globalen Süden“ von Gaby Weber unter https://www.youtube.com/watch?v=B9xookJFl3w.
3 Grafik: Bernd Bücking. In: Jan C. Zoelick, Postwachstum. Unser Leben nach dem Wachstumswahn, isw-Report Nr. 110, Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München e.V., September 2017, 9.
4 Ulrich Brand, Markus Wissen: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München 2017.
5 Foto © Volker Derlath
6 Foto: Franz Gans
7 Siehe den „Antrag“ der CSU- und SPD-Stadtratsfraktion vom 11. Juli und „Hände weg von der Meinungsfreiheit in München!“.
8 Siehe „Ich bin nicht einverstanden“ von Doris Ensinger.