Materialien 2017

Rede vor Gericht

1947 wurde ich geboren – in einem Trümmerfeld – wie es die bayerische Verfassung nennt – in einer zerbombten Stadt voller Kriegskrüppel und traumatisierter Menschen. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendjemand von Deutschlands RUHM UND EHRE sprach. Das Kriegerdenkmal an der Dachauer Straße stand damals nicht mehr und noch nicht wieder. Es lag zertrümmert.

1922 war es zur Verdrängung von Trauer und Friedensehnsucht errichtet worden – mit dem bleiernen, verlogenen Satz „SIE STARBEN FÜR DEUTSCHLANDS RUHM UND EHRE“ – Aus-
druck eines ideologischen nationalen Irrsinns und eines mörderischen Militarismus: Die Soldaten starben nicht für irgend einen Ruhm und nicht für irgendeine Ehre und schon gar nicht für Ruhm und Ehre des Landes, dessen Herrscher, adlige und militärische Diktatoren, diesen Krieg völker-
rechtswidrig vom Zaun brachen. Wer 1922 behauptete, die Millionen wären für Deutschlands RUHM UND EHRE gestorben, wollte das Rad der Geschichte zurückdrehen, wollte den furchtbar gescheiterten mörderischen Krieg der Ludendorffs und Hindenburgs uminterpretieren zu einer Ruhmestat, wollte die wilhelminisch-militärische Diktatur statt einer demokratischen Republik, wollte statt Frieden erneuten Krieg. SIE STARBEN FÜR DEUTSCHLANDS RUHM UND EHRE mit dem Nachsatz: DER NACHWELT ZUM VORBILD

Das ist keine Totenehrung, sondern ein widerwärtiger Missbrauch der Toten zu ideologisch-politischen Zwecken.

Der kleine Bruder meiner Oma wurde 1916 in den Krieg der Kaiser, Könige und Kriegstreiber befohlen, in das große Menschenschlachthaus und er kam darin im Alter von 17 Jahren vor Verdun um, d.h. er verreckte jämmerlich und dachte sicher nicht an DEUTSCHLANDS RUHM UND EHRE sondern wollte lieber nach Hause zu seinen Eltern, seinen Freunden und seiner Schwester. Die weinte und trauerte ein Leben lang um den geliebten kleinen Bruder. Von DEUTSCHLANDS RUHM UND EHRE sprach sie nie. Sie weinte und trauerte – wir alle hätten trauern müssen. Sie wünschte nichts sehnlicher als Frieden, während diejenigen, die von DEUTSCHLANDS RUHM UND EHRE tönten, die Dolchstoßlüge erfanden und Friedenswillen und Trauer unterdrückten und lügenhafte Kriegerdenkmäler errichteten mit Heldengedöns und RUHM und EHRE und Deutsch-
land Deutschland über alles.

1934 stand das Kriegerdenkmal auf dem Gelände der Wehrmachtskaserne mit der Frontseite zur Dachauer Straße und vor ihm standen Männer mit Hakenkreuzbinden und Hitler-Gruß. 1945 lag auch das Kriegerdenkmal in Trümmern wie halb Europa. Wäre es noch gestanden, wäre es ge-
schliffen worden aufgrund der Kontrollratsdirektive 30 der Alliierten, der zufolge militaristische und nazistische Denkmäler zu zerstören waren. 1962 wurde das Kriegerdenkmal von übrig geblie-
benen militaristischen Finsterlingen auf dem Gelände der Bundeswehr rechtswidrig neu errichtet mit der alten Ideologie, mit der alten Lüge, mit der alten Kriegsverharmlosung: SIE STARBEN FÜR DEUTSCHLANDS RUHM UND EHRE

Waren es die alten Lügner in neuer Uniform? Es ging doch nach 1945 um die „Befreiung des deut-
schen Volkes von Nationalsozialismus und Militarismus“ (GG Art. 139 und Gesetz Nr. 104). Die Bundeswehr bekränzt stattdessen heute diese militaristische Propaganda und Geschichtslüge mit Kränzen zum sog. „Volkstrauertag“. Nichts von Trauer – nichts von Frieden.

Mit meinem Künstlerkollegen Hans-Peter Berndl kam ich überein, dass wir gemeinsam etwas tun gegen Kriegspropaganda und Verdrängung. Zunächst schrieben wir ganz freundlich an die Bun-
deskriegsministerin und schlugen vor, das Denkmal mit einem Text zu ergänzen, in dem Trauer und Friedenswille genannt werden. Als Antwort kam ein ablehnendes Schreiben, in dem es hieß, es handle sich um ein „Sachzeugnis“, das möglichst unverändert erhalten bleiben soll. Welche „Sache“ soll denn damit bezeugt werden? Die alten Lügen und militaristische Propaganda von 1922? Oder die erneuerte Lüge und militaristische Propaganda von 1962? Kann das der „bestimmungsgemäße Gebrauch“ eines öffentlichen Denkmals sein? Wir sind als Bürger dieses Landes Miteigentümer dieses Denkmals. Das Eigentum (geschützt durch GG Art. 14 +15) soll dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Diese militaristische Propaganda dient aber nicht dem Wohl der Allgemeinheit, im Gegen-
teil: es führt die Allgemeinheit hinters Licht, belügt und betrügt sie.

Wir sind Künstler, die öffentlich wahrnehmbare Kunst herstellen. Die Urteilsbegründung, derzu-
folge es uns zwar auch um Kunst, aber nicht nur ging, ist falsch. Es geht um Kunst als Sichtbarma-
chen, Wahrnehmen, um den klaren Blick, um Sensibilität und Nachdenken. Es geht um Kunst, die sich ihrer Verantwortung bewusst ist und nicht nur verziert.

Wir haben deshalb auf diesen Brief aus dem Kriegsministerium mit einer Kunstaktion geantwortet, die sichtbar macht, welche Diskrepanz besteht, zwischen Kriegspropaganda und historischer Wahrheit. Wir entfernten 5 Buchstaben, so dass zu lesen war SIE STARBEN FÜR DEUTSCH-
LANDS UNEHRE und schickten die demontierten Buchstaben an die Bundeskriegsministerin mit der Bitte, das unsägliche Kriegerdenkmal zu ergänzen oder zu verändern. Statt einer positiven Antwort auf unsere Anregung wurde das Denkmal schwarz verhüllt und ich erhielt ein unhaltbares „Betretungsverbot“ für die öffentlich gewidmeten Grünanlagen auf dem Bundeswehrgelände.

Das befolgte ich nicht und schrieb mit HP Berndl das Wort TRAUER weiß auf die schwarze Ver-
hüllung. Umgehend wurde das Wort gelöscht. Warum? Wir schrieben dann das Wort FRIEDEN auf die schwarze Verhüllung: auch das wurde umgehend gelöscht. WARUM? Dann wurden nach einigen Monaten die Buchstaben für DEUTSCHLANDS RUHM UND EHRE so bombenfest wieder eingesetzt, dass sie auch eine dritten Weltkrieg überstehen könnten.

Die Bundeswehr und der Staatsanwalt kämpfen also für DEUTSCHLANDS RUHM UND EHRE gegen Trauer für die Hingeschlachteten und gegen Frieden für die Zukunft. Das ist wirklich eine Störung der Totenruhe. Wir brachten daraufhin in einer Kunstaktion eine Tafel mit dem Text an: „Wir trauern um alle, die im Weltkrieg 1914 -18 grausam und sinnlos ihr Leben verloren. Die Toten mahnen uns, mit allen Kräften für Frieden zu sorgen und Kriege zu verhindern.“

Damit haben wir keine „Gebrauchsminderung“ bewirkt, sondern einen verfassungs- und wahr-
heitsgemäßen Gebrauch erst ermöglicht. Die Tafel mit diesem wohl überlegten Text zu entfernen, ist Ausdruck einer historischen Verantwortungslosigkeit, von dreister Ignoranz, von verfassungs-
widrigem Militarismus.

Gerügt werden müssen die Verantwortlichen der Bundeswehr und nicht wir. Sie müssen verpflich-
tet werden, den vorgeschlagenen Text wieder anzubringen. Erst durch das widersinnige Abreißen der Tafel wurden Klebespuren sichtbar und die sollen den „bestimmungsgemäßen Gebrauch“ dieses Denkmals stören? Soll der bestimmungsgemäße Gebrauch Lüge und Propaganda sein? Es geht um verfassungsgemäße Inhalte, nicht um Klebespuren.

Wir haben Trauer und Friedenswillen mit unserer Kunstaktion bekundet. Wir handelten ange-
sichts der alljährlichen Lügenkränze der Bundeswehr in Notwehr oder Nothilfe. Wir sind also Rechtspfleger im Sinne des GG und nicht Rechtsbrecher. Wir haben keine gemeinschädliche Sachbeschädigung angerichtet, sondern ein gemeinnützliche Sachverbesserung vollzogen, die belohnt und nicht bestraft werden sollte.

Als gemäßigter Optimist erwarte ich ein Urteil, das dem gerecht wird und nicht inhaltslos an Kle-
bespuren kleben bleibt.

Wolfram Kastner

Überraschung

Jahr: 2017
Bereich: Gedenken