Flusslandschaft 2018
Bürgerrechte
„Mit dem neuen PAG [Polizeiaufgabengesetz] schafft die CSU eine Polizeibehörde, deren Voll-
machten einzigartig in Deutschland sind. Nie hat es in Deutschland seit 1945 eine Polizei mit so umfassenden Rechten gegeben, in die Grundrechte der Bürger einzugreifen. Und alles, ohne dass eine Straftat geschehen wäre, auf bloßen Verdacht hin.“ MdL Claudia Stamm am 7. Februar bei der ersten Lesung des Polizeiaufgabengesetzes.
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Flugblatt vom 9. März
Freitag, 6. April: Studierende der Kunstakademie versuchen gegen 21 Uhr, vom Gelände aus auf der Höhe des Siegestors ein Banner am Zaun zur Leopoldstraße anzubringen. Die Aufschrift: „NEIN ZUM PAG“, darunter der Zusatz: „Damit die Polizei dein Freund bleibt“ und „STOP das neue Polizeiaufgabengesetz“. Schon bald sind sechs Streifenwagen und zwölf Beamte vor Ort. Diese dürften das Gelände der Akademie lediglich betreten, wenn es sich um einen Notfall handelt oder sie von der Akademie Einlass gewährt bekommen. Der Nachtpförtnerin erzählen die Beamten von einem „Notfall mit Unbekannten im Akademiegarten“, die sich Zugang zum Gelände verschafft hätten – prompt wird der Polizei Zugang zum Gelände erteilt. Ein Studierender filmt den Polizei-
einsatz, der Film wird konfisziert.2
11. April: Kurz bevor der Innenausschuss des Landtages zusammenkommt, um die Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes weiter zu besprechen, wird das Maxmonument Schauplatz der ersten Demonstration in München gegen den umstrittenen und verfassungsrechtlich höchst fragwürdigen Gesetzesentwurf der CSU. Die Demonstrant*innen protestieren mit Handschellen und Verhaf-
tungsbildern unter dem Motto „Wir sind alle verdächtig“ in Sichtweite des Bayerischen Landtags.
Das Bündnis gegen das Polizeiaufgabengesetz: “Die CSU kennt in Überwachung der Bürgerinnen und Bürger kein Halten mehr! Die geplanten Verschärfungen im Polizeiaufgabengesetz hören sich an wie aus einem Gruselkabinett und sind ein Angriff auf Freiheit und Rechtsstaat. Die Polizei wird praktisch weitgehend mit Geheimdienst-Befugnissen ausgestattet. Es ist von der CSU geplant, die-
se Gesetzesänderungen so schnell wie möglich zu verabschieden, bevor diese in der Öffentlichkeit erörtert werden können! Allein mit der schwammigen Begründung, eine „drohende Gefahr“ ab-
wehren zu müssen, soll die Polizei im Freistaat künftig die gesamte Bandbreite an Überwachungs-
maßnahmen rein präventiv, also noch bevor eine Straftat oder ähnliches passiert ist, einsetzen dür-
fen. Seit 1945 hat es in Deutschland keine Ausweitung polizeilicher Befugnisse in dieser Größen-
ordnung gegeben!” Kundgebung und Demonstration gegen das PAG beginnt am Donnerstag, 10. Mai, um 13 Uhr auf dem Marienplatz. Die Demonstrationsleitung spricht von über 40.000 Teil-
nehmer/innen, die Polizei von bis zu 30.000. Die Pressestelle der Polizei meldet: „Während der Versammlungen wurden bislang sieben Personen angezeigt. Bei den Anzeigenaufnahmen kam es auch zu kurzfristigen Freiheitsentziehungen. Hauptsächlich handelte es sich um Verstöße gegen das Versammlungsgesetz.“3
Mittwoch, 20. Juni: Die Polizeiklasse, Aktivist*innen der Kunstakademie, erbricht sich vor der Staatskanzlei mit hellblauer, „bayrischer“ Farbe. Damit protestierten die Künstler gegen das am 1. Juni eingeführte Polizeiaufgabengesetz (PAG) und die bayrische Innenpolitik.
Unter dem Motto „Jetzt gilt‘s – Gemeinsam gegen die Politik der Angst“ demonstriert ein breites Bündnis am 3. Oktober um 13 Uhr auf dem Odeonsplatz. Im Aufruf zur Demonstration heißt es: „Die Verabschiedung des neuen Polizeiaufgabengesetzes durch den bayerischen Landtag ist ein weiterer Schritt in Richtung einer autoritären Gesellschaft. Der Beschluss trotz des massiven Widerstandes in der Gesellschaft, hat nicht nur antidemokratische Tendenzen der amtierenden Landesregierung offenbart, sondern auch den unmittelbaren Abbau von Bürger*innen- und Men-
schenrechten in Bayern nach sich gezogen: Demonstrierende, Streikende, Gewerkschafter*innen, Journalist*innen, Anwält*innen, Geflüchtete, Linke und Migrant*innen sind seither noch stärker als bisher Repressionen und Überwachung ausgesetzt. Bezeichnend ist auch, dass es sich bei den elf Menschen, die seit Einführung der ?Unendlichkeitshaft? länger als 14 Tage in Polizeigewahrsam mussten, ausschließlich um Geflüchtete handelt. Das PAG war und ist deshalb ein zentraler Be-
zugspunkt der seit Monaten stattfindenden Proteste gegen die Politik der Staatsregierung und den allgemeinen Rechtsruck, der vom Wettstreit zwischen CSU und AfD angeheizt wird. Inzwischen ist es in Deutschland erschreckende Normalität, dass Faschist*innen in den Parlamenten und Sicher-
heitsbehörden sitzen und Menschen von einem rassistischen Mob durch die Straßen gehetzt wer-
den. – Aber unser Protest geht weiter. Wir verstehen den Widerstand gegen das Polizeiaufgaben-
gesetz als Teil einer tiefgreifenden gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung, die nicht nur Bayern, sondern Deutschland und ganz Europa erfasst hat. Nationalismus und Rassismus, Islam-
feindlichkeit, Antisemitismus, Antifeminismus und LGBTIAQ*-Feindlichkeit sind Facetten eines rechtsautoritären Gesellschaftswandels. Dieser drückt sich nicht nur in direkten Angriffen auf marginalisierte Gruppen aus, sondern findet auch auf staatlicher Ebene immer krassere Formen, unter anderem durch AnkER-Zentren, die Einrichtung des bayerischen Landesamts für Asyl und Rückführungen, Kriminalisierung von Seenotrettung, weiterhin stattfindende Abschiebungen nach Afghanistan und die Verabschiedung des sogenannten bayerischen Integrationsgesetzes. Darüber hinaus instrumentalisiert die Staatsregierung religiöse Symbole, kriminalisiert aber gleichzeitig das Kirchenasyl. Während derzeit in vielen Bundesländern Polizeigesetze verschärft werden, die Über-
wachung ausgebaut und somit Stärke demonstriert wird, ist das Sozialsystem von Schwäche ge-
kennzeichnet: Millionen Menschen leiden darunter, dass viel zu wenig investiert wird, etwa in Pfle-
ge, Gesundheit, Wohnen, Kinderbetreuung und Bildung. Diesen Verhältnissen stellen wir uns ent-
schieden entgegen. Der derzeitige Zustand in Bayern ist unhaltbar. – Wir treten gemeinsam für eine offene und solidarische Gesellschaft ein, in der Menschenrechte unteilbar und vielfältige und selbstbestimmte Lebensentwürfe selbstverständlich sind. Das neue PAG ist ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zu einer rechtsautoritären Staatlichkeit, die droht politische Veränderungen in diese Richtung unmöglich zu machen. Unser Ziel ist und bleibt deshalb die Rücknahme der Änderungen des PAG durch die Gesetze vom 24.7.2017 und 18.5.2018. Darüber hinaus stellen wir uns entschie-
den gegen jede bereits beschlossene und jede weitere Maßnahme, in der der Rechtsruck zum Aus-
druck kommt. Alle Parteien, die jetzt gemeinsam mit uns kämpfen, fordern wir auf, hier auch nach der Landtagswahl keine Kompromisse einzugehen. – Wir stellen uns gemeinsam dem Rechtsruck mit allen verfügbaren Mitteln entgegen! Gegen eine Politik der Angst! – Wir fordern:
– Rücknahme der Änderungen des PAG aus dem August 2017 und Mai 2018 sowie des Bayeri-
schen Integrationsgesetzes
– Individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen und unabhängige Untersuchungsstelle für Polizeigewalt und andere Vergehen
– Rückbau von Videoüberwachung und anderen Überwachungsmaßnahmen, keine Staatstrojaner
– Keine Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete (z.B. Afghanistan), Abschaffung sog. sicherer Herkunftsländer, keine Zusammenarbeit mit despotischen Regimen zur Flüchtlingsabwehr
– Keine Kriminalisierung von Seenotrettung und Kirchenasyl sowie die Abschaffung der AnkER-Zentren“ #noPAG #ausgehetzt
PolizeiKlasse und pen.gg collective installieren am 21. Oktober die cop-map, auf der Betroffene Po-
lizeipräsenz und Kontrollen in ihrer Nähe melden können.5
Siehe auch „CSU“.
(zuletzt geändert am 23.4.2023)
1 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung
2 Siehe https://www.mucbook.de/polizei-beendet-studenten-protest-gegen-das-polizeiaufgabengesetz/ und https://www.polizeiklasse.org/banner/.
3 Siehe www.no-pag.de, die Reden von Rechtsanwältin Anna Busl und Rechtsanwalt Hartmut Wächtler über das neue PAG im EineWeltHaus vom 3. Mai unter www.anderesbayern.tv/muenchen_bayern/index.html sowie die Bilder der Demonstra-
tion „nein zum PAG“ von Günther Gerstenberg.
4 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung
5 Siehe https://www.polizeiklasse.org/cop-map/ und https://cop-map.com/.