Flusslandschaft 1972
Militanz
Die tödlichen Schüsse der letzten Monate lösen Wut aus. Die 20jährige Petra Schelm starb am 15. Juli 1971, der 24jährige Georg von Rauch starb am 4. Dezember 1971, der 23jährige Thomas Weis-
becker starb am 2. März 1972. Auf dem Parkplatz des Bayerischen Landeskriminalamts in Neu-
hausen explodiert am 12. Mai 1972 um 14 Uhr 25 eine Autobombe. Sie zerstört etwa sechzig Auto-
mobile. Gelegt hat die Bombe das „Kommando Thomas Weißbecker“. Nach einer Reihe von An-
schlägen werden einige Mitglieder der RAF in Frankfurt verhaftet.1
Die Bild-Zeitung schreibt am 1. Juni unter der Überschrift „Baader-Meinhof: Siegesfeier nach dem Bombenanschlag“: „Sechs Rechtsanwälte haben nach einem Attentat der Baader-Meinhof-Bande eine ‘Siegesfeier’ in der Wohnung eines Kollegen in München veranstaltet. Anlass der Feier war der Bombenanschlag auf das Münchner Landeskriminalamt, wie die Münchner Kripo mitteilte. Die Baader-Meinhof-Fahnder kennen diese sechs jungen Münchner Anwälte, die mit den Terroristen zusammenarbeiten … Wir wissen, dass sie den Terroristen zumindest Nachrichten übermitteln und Unterschlupfmöglichkeiten verschaffen. Aber bisher haben wir noch keine gesetzliche Handhabe gefunden zum Zugreifen, weil uns die notwendigen offiziellen Beweismittel fehlen. Die sechs An-
wälte werden überwacht.“2
Jan-Carl Raspe, Andreas Baader und Holger Meins werden am 1. Juni in Frankfurt am Main ver-
haftet. Am 15. Juni werden Ulrike Meinhof und Gerhard Müller in Langenhagen bei Hannover festgenommen. In den Medien, die das Meinungsklima beherrschen, wird die erfolgreiche Zer-
schlagung der „Baader-Meinhof-Bande“ gefeiert. Der „Stammtisch“ fordert „kurzen Prozess“, „Rübe ab!“. Einige wenige nachdenkliche Menschen meinen, sie könnten die Verzweiflung der RAF-Mitglieder begreifen und laufen damit Gefahr, im Klima der Lynchjustiz beschimpft, ange-
griffen und vor den Kadi gezerrt zu werden.
(zuletzt geändert am 2.1.2021)
1 Siehe „Erklärung vom 16. Mai 1972“.
2 Zit. in: Frank Rühmann, Anwaltsverfolgung in der Bundesrepublik 1971 — 1976, Hamburg 1977, 14.