Flusslandschaft 1972

Umwelt

„… Der Umweltschutz ist zum geflügelten Wort geworden … In Wahrheit wird damit der Begriff Umweltschutz heruntergespielt. Und von da ist es nicht mehr weit zu der vielfach noch bestehen-
den Auffassung, dass Umweltverschmutzung so etwas wie ein Kavaliersdelikt sei. Ungeheuer ist heute noch die Gedankenlosigkeit, mit der man einer Gefahr gegenübersteht, die in fünfzig Jahren, wahrscheinlich noch früher, endgültig Weltfeind Nr. 1 sein wird. Dann wird es nur mehr um ele-
mentare Dinge gehen, und manche Sorgen, wie die Erhaltung von unersetzlichen Kunstschätzen, werden bedeutungslos sein. So dürfte man sich den Teufel darum scheren, ob dieses oder jenes Prachtstück einer gotischen Kathedrale in sich zusammenfällt … weil immer noch keine giganti-
sche Konservierungshülle um sie herum konstruiert wurde. Sicher, der Mensch lebt nicht von Brot allein. Aber wenn kein Brot mehr gedeiht und wenn das Brot des Meeres, wenn die Heringsschwär-
me ausbleiben und die Erde restlos verseucht ist, ergeben sich Zäsuren. Zum Nachdenken darüber eignet sich ein Urlaub in hoteleigenen Swimmingpools, die ob der Küstenverschmutzung bereits überall zu finden sind, besonders gut. Blanker Hohn ist unsere Ferienfreude schon geworden, sagt nicht nur Ihr Anton Sailer.“1

Oberfranken demonstrieren am 19. August vor dem Umweltschutzministerium.2

Ein Kernsatz der kapitalistischen Wirtschaftsordnung lautet grob zusammengefasst „Weiter, hö-
her, schneller“. Privatkapitalistische Konkurrenz ist auf Zuwachsraten angewiesen; wer sich mit dem Erreichtem zufrieden gibt, scheitert. Ein zentraler Glaubenssatz der überall propagierten Fortschrittsgläubigkeit lautet, dass, wenn nur das Wirtschaftswachstum garantiert sei, alle anderen Probleme gelöst werden könnten – vom Hunger in der Welt bis zum Umweltschutz vor der Haus-
türe. Der nüchterne Blick auf die Realität straft diese Metaphysik allerdings Lügen. Der Club of Rome, ein think tank von Industriellen, Politikern und Wissenschaftlern veröffentlicht 1972 seinen Bericht „Die Grenzen des Wachstums“, den Dennis Meadows zusammengestellt hat. Mit dieser Studie wird erstmals im Rahmen verschiedener Szenarien eine Prognose für die zukünftige, de-
struktive Weiterentwicklung der Welt erstellt und eine neue Ära der nichtmarxistischen Kritik am Kapitalismus eingeläutet, die zu einem der Ideengeber für alternative, ökologische und pazifisti-
sche Bewegungen wird. – Am 5. November kommt es zu einer Kundgebung bei der Reformations-
feier in der Matthäuskirche.3

Viele Umweltschutzinitiativen schließen sich zusammen; 1972 entsteht der Bundesverband der Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). 1977 zählt der BBU 300.000 Mitglieder.

(zuletzt geändert am 12.7.2020)


1 Graphik 7 vom Juli 1972, München, 5.

1 Vgl. Süddeutsche Zeitung 190/1972.

2 Vgl. Süddeutsche Zeitung 255/1972 und 256/1972.

Überraschung

Jahr: 1972
Bereich: Umwelt

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