Flusslandschaft 1973
AusländerInnen
„Aufenthaltsgenehmigung für Ausländer – Bayerischer Fußtritt — Bayerns Staatsregierung hat sich für jene ausländischen Arbeitnehmer, die seit vielen Jahren an den Produktionsrekorden des südlichsten Bundeslandes mitwerkeln, etwas Besonderes ausgedacht: einen Fußtritt. — Ausländische Kollegen, die seit sieben, acht Jahren bereits in der Bundesrepublik arbeiten, erhalten beispielsweise nur dann ihre Aufenthaltsgenehmigung verlängert, wenn sie sich schriftlich verpflichten, nach spätestens zwei Jahren unser Land zu verlassen. Unterschreiben sie nicht, müssen sie mit ihrer baldigen Abschiebung rechnen. — In Nürnberg, Augsburg und Kaufbeuren sind die ersten derartigen Entscheidungen bereits ergangen. Die ausländischen Arbeitnehmer sind beunruhigt, die Gewerkschaften empört. Jungsozialisten und Kirchen protestieren. Selbst die Arbeitgeber halten eine derartige Praxis für volkswirtschaftlichen Unfug. — Ungerührt von diesen Protesten, bleibt Bayerns Innenminister Bruno Merck bei seiner Haltung. Ihn stört auch nicht, dass die Praxis seines Ministeriums im direkten Widerspruch zu den ‚Grundsätzen zur Eingliederung ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien’ des Bundesarbeitsministeriums steht. Dort wird festgestellt, dass immer mehr ausländische Arbeitnehmer aus den verschiedensten Gründen länger in der Bundesrepublik verweilen wollen. ‚Hierauf ist rechtlich und tatsächlich Rücksicht zu nehmen.’ — Es heißt dann weiter: ‚Menschliche, soziale und wirtschaftliche Gründe gebieten, die Eingliederung der Ausländer in Arbeitswelt und Gesellschaft zu erleichtern und zu fördern.’ Für den CSU-Politiker Merck sieht Menschlichkeit so aus: Ausländer, die seit vielen Jahren mit ihren Familien in der Bundesrepublik leben, deren Kinder deutsche Schulen besuchen oder hier in der Berufsausbildung stehen, die weitgehend schon in unsere Wirtschaft und Gesellschaft eingegliedert sind und kaum noch Sprachschwierigkeiten haben, sollen ihre Koffer packen. Denn, so Merck, die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland und außerdem könne unser Staat keine drei Millionen ausländischer Arbeitnehmer verkraften. Deshalb sei es sinnvoller, die Ausländer jeweils für zwei Jahre in die Bundesrepublik zu holen und sie dann wieder in ihre Heimatländer zurückzuschicken. ‚Rotationsprinzip’ nennt man das. Zynischer kann man die wirtschaftliche Verwertung der Arbeitskraft kaum beschreiben. Wer Sorge hat, dass zu viele Ausländer angeworben werden, der soll strengere Richtlinien an die Anwerbung legen. Nicht aber jene Kollegen mit Ausweisung bedrohen, die seit vielen Jahren mit uns und unter uns leben. — Am 25. Januar soll sich die Innenministerkonferenz der Länder mit diesem Problem befassen Hoffentlich kommt es zu einem Beschluss, der Bayerns Alleingang stoppt und aufhebt. Die deutschen Arbeitnehmer jedenfalls sollten nicht dulden, dass ihre ausländischen Kollegen zum Freiwild behördlicher Willkürakte werden. – Egon Lutz“1
Seit November werden keine ausländischen Arbeitskräfte mehr angeworben. „Auch wenn mit dem sogenannten Anwerbestopp 1973 die Ära der staatlich forcierten Arbeitsmigration zunächst offiziell zu Ende ging, kamen seitdem jährlich tausende migrantische Arbeitskräfte legal ins Land. Dabei hat das nicht-erklärte Einwanderungsland Deutschland bis zum neuen Zuwanderungsgesetz 2004 durch die sog. ‚Anwerbestoppausnahmeverordnung’ die Arbeitsmigration gesteuert. Einer der Modi, wie seitdem ausländische Arbeitskräfte nachgefragt werden, ist der ‚Werksvertrag’. Aus der Sicht der Ausländerbehörden stellt die Werksvertragsarbeit keine ‚Migration’ dar, da die Arbeiter formell nur über einen bestimmten Zeitraum in Deutschland legal arbeiten dürfen und danach wider zurück ins Entsendeland müssen. Aus der Sicht der Gewerkschaften und des Zolls stellen die Arbeiter eine billige und flexible ‚Reservearmee’ dar, die die ‚teure’ ‚deutsche Arbeitskraft’ unterbieten. Für die Unternehmer und Subunternehmer bedeutet die Werksvertragsarbeit Extraprofite. Für die Werksarbeitnehmer selbst bedeutet es eine der wenigen Möglichkeiten, legal in Deutschland für harte Euros arbeiten zu können.“2
1 Metall 2 vom 23. Januar 1973, 15.
2 Crossingmunich. Orte, Bilder und Debatten der Migration. Rathausgalerie München, 10. Juli bis 15. September 2009, 30.