Flusslandschaft 2019
Kapitalismus
Neoliberale wie nationalistische Populisten eint Konkurrenzlogik und Rücksichtslosigkeit, Aggres-
sivität und Menschenverachtung. Ihre Religion ist die schrankenlose Allmacht der Märkte. Sie do-
minieren die kulturelle Hegemonie. Verwahrlosung oder gar Zerstörung von Gesellschaft und Na-
tur ist ihnen schnurz. Im Kräftedreieck von Kapital, Staat und Gesellschaft hat einst der sogenann-
te real existierende Sozialismus den Staat auf Kosten von Kapital und Gesellschaft aufgewertet, mit seinem jämmerlichen Ende hat das Kapital Staat und Gesellschaft sich unterworfen. Heute gilt es gegen Kapital und Staat die Gesellschaft aufzuwerten. An diesem Projekt arbeiten viele auf vielen Feldern. Sie propagieren Gerechtigkeit ohne Ansehen der Herkunft, die Gleichheit der Geschlech-
ter, verlangen Arbeitszeitverkürzung und ein Ende der entfremdeten Arbeit, eine gerechte Vertei-
lung des Reichtums national, besonders aber international, eine ökologische Lebensweise, Ge-
meineigentum und Daseinsvorsorge in öffentliche Hände und radikale Demokratisierung aller Lebensbereiche. No justice, no Peace!
Die Adresse des Bundesfinanzhofs (BFH) lautet Ismaninger Straße 109, sein Präsident heißt Ru-
dolf Mellinghoff. Der denkmalgeschützte, 1909 errichtete neobarocke Prachtbau liegt in Bogenhau-
sen in einem idyllischen Park, zu dem das gemeine Volk keinen zutritt hat. Soweit könnte alles in Ordnung sein. Aber da gibt es noch attac. Mit der Behauptung, die NGO sei zu politisch, entzog das Finanzamt Frankfurt dem Netzwerk am 14. April 2014 die Gemeinnützigkeit. Insbesondere der Einsatz für eine Finanztransaktionssteuer oder eine Vermögensabgabe diene keinem gemeinnützi-
gen Zweck, hieß es zur Begründung. Im November 2016 gab das Hessische Finanzgericht der attac-Klage gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit voll statt. Trotz des klaren Richterspruchs wies das Bundesfinanzministerium das Finanzamt an, beim Münchner BFH Revision zu beantragen. Im Januar 2018 trat das Ministerium dem Revisionsprozess auch offiziell als Verfahrensbeteiligter bei. Das Schreiben, mit dem das Finanzministerium im Juni 2018 seinen Beitritt zum Revisionsverfah-
ren gegen attac vor dem Bundesfinanzhof begründete, stammt von Unterabteilungsleiter Rolf Möhlenbrock. attac sei zu politisch engagiert, um als gemeinnützig gelten zu können. Insbesonde-
re kritisiert der Ministerialbeamte, die Positionen des Netzwerks seien „näher der Parteipolitik der Opposition als der der Regierungsparteien“. Im Februar 2019 urteilte der BFH, das politische En-
gagement von attac sei nicht vereinbar mit einer Gemeinnützigkeit. BFH-Präsident Mellinghoff: Zur Gemeinnützigkeit gehöre „nicht die allgemeine politische Betätigung auf allen möglichen Feldern“. attac habe „diesen Rahmen überschritten.“ Infolge des Entzugs der Gemeinnützigkeit können Mitglieder und Unterstützer der attac-Arbeit ihre Beiträge und Spenden nicht mehr von der Steuer absetzen. Stiftungen und andere Institutionen können Projekte von attac nicht mehr fördern. Da strahlt am 15. Mai das ARD-Wirtschaftsmagazin Plusminus brisante Fakten aus. Der Präsident des BFH, Rudolf Mellinghoff, und der für den „Fall attac“ zuständige Leiter der Steuer-
abteilung im Bundesfinanzministerium, Rolf Möhlenbrock, sitzen gemeinsam im Vorstand des wirtschaftsnahen und als gemeinnützig geltenden Lobbyvereins Institut für Steuern und Finanzen (ifst). Anliegen des Instiutes ist es, eine unternehmensfreundliche „bewegliche Steuerpolitik“ durchzusetzen. Dafür kommen in Vorstand und Kuratorium des Instituts Wirtschaftsvertreter, Abgeordnete und Finanzpolitiker, Ministerialbeamte, Richter und Wissenschaftler zusammen. In den Veröffentlichungen des Instituts überwiegen wirtschaftsliberale Positionen, wie sie FDP und CDU vertreten. So enthält der Einladungstext zur ifst-Jahrestagung klare Forderungen nach Sen-
kung von Unternehmenssteuern und steuerlichen Standortanreizen, die eindeutig als Lobbyarbeit für Unternehmen gewertet werden können.1
„Nach der Weltbank-Statistik vom letzten Jahr kontrollieren die 500 größten transkontinentalen Privatkonzerne – alle Sparten zusammen – 52,8% des Weltbruttosozialproduktes. Diese 500 Kon-
zerne haben eine ideologische, militärische, technologische, wissenschaftliche, politische Macht, die nie ein Kaiser, ein König oder ein Papst innehatte auf diesem Planeten. Sie entschwinden jegli-
cher sozialer, parlamentarischer, gewerkschaftlicher Kontrolle. Sie sind stärker.“2 Jean Ziegler glaubt nicht mehr, dass die repräsentativen Demokratien fähig sind, dieser zerstörerischen Kon-
zernmacht Einhalt zu gebieten und er verweist auf die vielen tausend sozialen Bewegungen, große und kleine, die an verschiedenen Fronten gegen das kapitalistische Unterdrückungssystem kämp-
fen.
Manfred Ach: „Vielleicht rührt die Scheiße, die uns der Kapitalismus beschert, daher, dass man sie schon den Kindern als großes Geschäft erklärt.“3
1 Gemeinsam mit anderen Organisationen hat attac die Gründung der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbil-
dung“ angestoßen, die im Juli 2015 die Arbeit aufgenommen hat. Der Allianz setzt sich für ein modernes Gemeinnützig-
keitsrecht und eine Änderung der Abgabenordnung ein. Ihr angeschlossen haben sich mehr als 120 Vereine und Stiftungen – darunter auch Brot für die Welt, Amnesty International, Medico International, Oxfam, Terres des Hommes und Cam-
pact. Siehe https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de/die-allianz/
2 Jean Ziegler in einem Interview mit Kontrast.at am 18.4.2019, siehe https://kontrast.at/jean-ziegler-kapitalismus-neues-buch/. Mit „People have the Power“ hat Patti Smith das vorgesungen: https://www.youtube.com/watch?v=y6Wz3i_BYUc
3 Zorn 2/2019, Hambach, 2.