Flusslandschaft 1990

Kapitalismus

Milton Friedman meint im Newsletter der Pelérin Society: „A democratic society once established, destroy a free economy.“ Demokratie ist nur zulässig, solange die Wirtschaft von demokratischen Entscheidungsprozessen verschont bleibt, d.h. solange die Demokratie keine ist.

Wohin wir sehen, überall siegt der Kapitalismus. Hans L. Merkle, Chef eines Weltkonzerns, meint zur Marktwirtschaft als Gipfel wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und politischer Kultur: „Aner-
kennt man Selektion als ein übergeordnetes Werkzeug des Weltenbaus, als Weltgesetz, setzt man sich da und dort Anfeindungen aus. Doch kommt jeder Ausleseprozess der Gesamtheit zugute – und der Markt ist ein Werkzeug der Auslese. Er trennt die Spreu vom Weizen.“1 Da ist Hans See, der an der Fachhochschule Frankfurt Politikwissenschaft lehrt und eine andere Meinung hat, ganz aus der Zeit gefallen. Fast sieben Jahre lang hat er Material zu „Kapital-Verbrechen“ gesammelt und gerade jetzt erscheint sein Buch! Für ihn nimmt der Kapitalismus seinen Ausgang im organi-
sierten Verbrechen. Kapital entsteht und wächst aus Unterjochung, Raub und Massenmord in den Kolonialländern und aus Enteignung und Disziplinierung der Massen im eigenen Land. Nicht nur Kriege und Diktaturen sichern und vermehren Kapital, gerade in den modernen Industriestaaten garantieren die gegenseitigen Abhängigkeiten von Regierung, Medien und Wirtschafts- und Fi-nanzkapital die nicht in Frage zu stellende Kontinuität des Wirtschaftssystems. Darin sind auch Kirchen, Sozialdemokratie und Gewerkschaften eingebunden. Ein feines Instrumentarium filigra-ner Instrumente sorgt für Akzeptanz. Ist die weltweite Durchsetzung nicht mehr garantiert, müs-sen gröbere Praktiken angewendet werden. Umso schwieriger ist es, die alltäglichen Folgen für Milliarden von Menschen weltweit aufzudecken, die freilich nie „Kapital-Verbrechen“ im juristi-schen Sinn sind, sondern übliche Praxis im Rahmen der Legalität. Wer hier Kritik übt, hört reflex-artig, er beeinträchtige die unternehmerische Betätigungsfreiheit und riskiere die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Marktwirtschaft erhalte ihre Dynamik und Leistungsfähigkeit vom Konkur-renzkampf. Dieser basiert, so Hans See, auf der Rücksichtslosigkeit gegenüber Konkurrenten, Ar-beitnehmerInnen und letztlich gegen Mensch und Natur. So erzeugen Kapital-Verbrechen „eine Sog- und Spiralwirkung, die die legale Wirtschaft teilweise dazu verlockt, teilweise dazu zwingt, die Grenzen zwischen der legalen Bereicherungswirtschaft und dem organisierten Wirtschaftsverbre-chen zu öffnen und die Spuren des kriminellen Austausches von Waren und Dienstleistungen zu verwischen.“2


1 Zit. in Hans See, Kapital-Verbrechen. Die Verwirtschaftung der Moral, Düsseldorf 1990, 543.

2 A.a.O., 26.

Überraschung

Jahr: 1990
Bereich: Kapitalismus