Flusslandschaft 2019
www
Am 19. Januar teilt die Technische Universität München mit: „Das US-amerikanische Unterneh-
men Facebook unterstützt mit 6,5 Millionen Euro die Initiative der Technischen Universität Mün-
chen (TUM), die ethischen Implikationen der Künstlichen Intelligenz zu erforschen. Die Zuwen-
dung fließt in das neue TUM Institute for Ethics in Artificial Intelligence und wurde Vizepräsident Prof. Thomas Hofmann und Projektkoordinator Prof. Christoph Lütge (Lehrstuhl für Wirtschafts-
ethik) auf der Konferenz ‚Digital-Life Design‘ in München von Facebook-COO Sheryl Sandberg offiziell bestätigt.“ Manche Zeitgenossen wundern sich. Was hat Facebook mit Ethik zu tun? Am 28. November spricht auf Einladung der „ver.di-Betriebsgruppe TUM-Stammgelände“ und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Prof. Dr. Christian Kreiss von der Hochschule Aalen im Münchner Gewerkschaftshaus zum Thema „Gekaufte Forschung? Wissenschaft im Dienst der Konzerne“.1
Die Reform des EU-Urheberrechts ist in Arbeit. Ziel ist, Urheber und Rechteinhaber sollen für ihre Arbeit fair bezahlt werden, rechtlich geschützte Werke dürfen nicht mehr auf Plattformen hochge-
laden werden. Bis jetzt war für diesen Vorgang der User verantwortlich, jetzt trägt die Verantwor-
tung der Betreiber der Seite. Seit Mitte Februar protestieren Internet-User gegen den Artikel 13 des Urheberrechts, der Plattformen wie YouTube beim Urheberrecht stärker in die Pflicht nehmen will. Schon beim Hochladen sollen die Betreiber garantieren, dass urheberrechtlich geschützte Werke nicht unerlaubt auf ihrer Seite landen. Dies können nur Uploudfilter bewerkstelligen, die jedes Werk mit einer Datenbank abgleichen und dann über Sein oder Nichtsein entscheiden. Die Gema, der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, die Gewerkschaft ver.di und der Deutsche Musik-
verleger-Verband fordern ein „Ja zur EU-Urheberrechtsrichtlinie“. Tatsächlich dürfte in den Fil-
tern auch hängen bleiben, was dem Inhalt eines Rechteinhabers bloß ähnelt, ihn rezensiert oder persifliert. Savetheinternet.info befürchtet dagegen Zensur, sieht die Meinungsfreiheit bedroht und ruft zu europaweiten Protesten gegen Artikel 13 der Urheberrechtsreform auf. Kundgebung und Demonstration beginnen am 23. März um 13.30 Uhr auf dem Marienplatz.2
Ein CDU-Europa-Abgeordneter vermutet, dass die Demonstranten von US-Internet-Konzernen ge-
kauft wurden. Eine NGO habe bis zu 450 Euro für die Demoteilnahme geboten. Tatsächlich hat die Digital-NGO Edri Reisestipendien an zwanzig ausgewählte Aktivsten aus ganz Europa vergeben. Diese sollen in Brüssel und Straßburg mit Parlamentariern über die geplante Reform sprechen. Da-
für sollen sie vorher an Workshops teilnehmen. Insgesamt belief sich das Reisestipendium auf 450 Euro. An Demonstrationen sollen die Aktivisten aber nicht teilnehmen. Andere CDU-Abgeordnete vermuten, dass die massenhaften Proteste, die in Brüssel einlaufen, von Bots stammen. Die Empö-
rung über die Unterstellungen ist groß. Zehntausende demonstrieren in vielen deutschen Städten. Am Mittag des 23. März ist der Marienplatz überfüllt.3
Der Wikileaks-Gründer hat sich seit Juni 2012 in der ecuadorianischen Botschaft in London befun-
den. Der neue, konservative Ecuadorianische Präsident, entschloss sich, ihn an die britischen Be-
hörden auszuliefern. Seit April diesen Jahres sitzt er im Hochsicherheitsgefängnis: „Prisoner of opinion: Julian Paul Assange (03.07.1971), Prison: Belmarsh, London, Prisoner Number: A9379AY, Case EAW 131226-10“ Er sagt von sich: „Ich sterbe hier langsam.“ Der britische Jour-
nalist Vaughan Smith hat mit ihm telefoniert. Er meint: „Es ist klar, dass es bei dem, was mit Julian geschieht, viel mehr um Rache geht und darum, ein Beispiel zu geben, um andere Menschen davon abzubringen, die US-amerikanische Macht auf diese Weise zur Rechenschaft zu ziehen. [Assange] lieferte eine Diskussion, eine Debatte darüber, wie Transparenz im digitalen Zeitalter aussehen sollte … Die Debatte wurde verworfen, sie hat nie wirklich stattgefunden, stattdessen wird er zu einer Geisel gemacht.“ Deshalb fordern die Reporter ohne Grenzen am 24. Dezember, ihn nicht an die USA auszuliefern und ihn aus humanitären Gründen freizulassen. Am letzten Tag im Jahr, einem Dienstag, erinnern Aktivist*innen4 mit einer Mahnwache in der Sendlingerstraße 19 von 16 bis 18 Uhr an die prekäre Lage von Julian Assange.
(zuletzt geändert am 26.3.2020)
1 Siehe auch https://publik.verdi.de/ausgabe-202002/gekaufte-wissenschaft/
2 Siehe https://savetheinternet.info/
3 Siehe die Bilder der Kundgebung und Demonstration „saveTheInternet“ am 23. März von Günther Gerstenberg.
4 Jetzt fängt der auch mit diesen Sternchen an, stöhnen manche Besucher*innen dieser Web-Seite. Aber: Nichts muss so bleiben, wie es ist! Schließlich kommt das Sternchen oder Asterisk aus der Programmiersprache und ist ein Platzhalter für jeden möglichen Wert einer Variablen inkl. Null. Das heißt mit ihm sind alle Möglichkeiten von Vielfalt repräsentiert. Im Zusammenhang mit Sozialforschung repräsentiert es „Normabweichung“ und soll den Fokus auf die zahlreichen, intersek-
tional verwobenen sozialen Organisationsfaktoren lenken, die unseren Platz in der Welt, oft ohne die Möglichkeit darauf Einfluss zu nehmen, determinieren. Es wird daher auch stellvertretend für sämtliche Personen verwendet, die nicht der weißen, cis-männlichen, heterosexuellen, christlichen oder bürgerlichen Norm entsprechen.