Flusslandschaft 2019

Ressentiments

Bei Demonstrationen mitzumarschieren birgt nur wenig Risiken; man ist unter sich und fühlt sich meistens wohl. Um einiges anstrengender ist es, sich angemessen bei Familienfesten, im Freundes-
kreis, in Sportvereinen oder bei der Arbeit zu verhalten. Wer hier widerspricht, geht Risiken ein, läuft Gefahr, Konflikte anzufachen, Gruppenharmonie zu beschädigen und den eigenen Ausschluss zu provozieren. Um in homogenen Gruppen Äußerungen zu widersprechen, die Menschen in wert-
volle und weniger wertvolle katalogisieren, braucht es Mut. Wenn wir den nicht aufbringen, kön-
nen wir einpacken.

Das Münchner Arbeitsgericht hat der Klage eines Leiharbeiters aus Sachsen gegen seine Kündi-
gung stattgegeben. Der gebürtige Dresdner Ronny arbeitete bei BMW etwas mehr als zwei Wo-
chen. Dann wurde er in der Probezeit gekündigt. Er hatte sich gegen rassistische Äußerungen eines Vorgesetzten über Kollegen zur Wehr gesetzt. Der hatte, bezogen auf andere Kollegen, immer wie-
der Sprüche wie „Bimbo!“, „Nigger!“, „diese Juden!“, „Behinderte!“ usw. von sich gegeben. Er tat es völlig ungeniert in der Abteilung und unter Namensnennung der so titulierten Kollegen. Ronny, neu in der Abteilung, hörte sich das eine Weile an. lrgendwann war es ihm zu viel. Er sagte das zu seinem Vorgesetzten, der, auf die NSU-Morde angesprochen, die Äußerung tat: „Na und, ein paar Kanaken weniger!“ Ronny ließ ihn wissen, dass er solche Töne nicht mehr hören wolle. Daraufhin verweigerte ihm der Vorgesetzte, der ihn hätte einweisen sollen, notwendige Informationen; beim Meister wurde Ronny angeschwärzt. Weder der inzwischen hinzugezogene BMW-Abteilungsleiter noch der Meister noch die Leiharbeitsfirma unterstützten Ronny. Im Gegenteil: Der Druck wurde größer, Ronny wurde von einem zum anderen Termin zitiert, beschimpft, bedroht, dass er im Be-
trieb den Mund zu halten habe, schließlich von BMW abgemeldet und aus der Leiharbeitsfirma ge-
feuert – angeblich wegen schlechter Arbeitsleistung. Dagegen klagten der Leiharbeiter und die Ge-
werkschaft ver.di. Das Arbeitsgericht gab ihnen am Freitag, 22. Februar, Recht. Die Kündigung ist unwirksam. Ein Arbeitnehmer müsse rassistische Beleidigungen nicht hinnehmen, selbst wenn sich diese nicht gegen ihn selbst richten. Ob Ronny es jetzt bei der Leiharbeitsfirma besser hat, ist allerdings zu bezweifeln.

Überraschung

Jahr: 2019
Bereich: Ressentiments