Flusslandschaft 2016

Medien

Der ehemalige Mitarbeiter des ZDF, Wolfgang Herles, zuletzt Leiter und Moderator der Kultursen-
dung „Aspekte“, hat ein Buch mit dem Titel „Die Gefallsüchtigen“ geschrieben. Dabei könnte alles in Ordnung sein: „Politische Journalisten hatten schon immer zwei Probleme. Auf der einen Seite traten sie bei ihren Recherchen den Mächtigen auf die Füße, auf der anderen Seite zerstören sie durch die Veröffentlichung der recherchierten Fakten das Weltbild derer, die die jeweiligen politi-
schen Eliten als Führung akzeptiert hatten. Die meisten Menschen – auch in sogenannten aufge-
klärten Gesellschaften, Demokratien – wollen systematisch belogen werden. Für das konsequente Wegsehen der Bevölkerung, z.B. auf wessen Kosten der angebliche Wohlstand erzeugt wird, wählt der so zum Komplizen gemachte Bürger eine Führung, die nicht mit Fragen nach Ethik oder Ver-
antwortung eine Art Aufwachprozess einleitet. Dauerkoma auf beiden Seiten. Diese Form der Sta-
bilität basiert auf dem unsichtbaren Deal beider Ebenen – Herrscher und Beherrschte – die ent-
sprechenden Tabu-Themen zu erkennen und im täglichen Leben zu umschiffen. Dies geschieht jedoch erst im zweiten Step, durch Leugnung. Am Anfang steht immer das konsequente Unsicht-
barmachen offensichtlicher Lügen vor dem eigenen Intellekt. Der politische Journalist stört diesen Prozess der chronischen, aber eben ausgeglichenen Ignoranz und er hat dabei einen Partner auf seiner Seite, den auf lange Sicht niemand betäuben kann. Das Gewissen eines jedes Menschen. Politische Journalisten stören den Seelenfrieden. Vor allem den all jener Personen, deren Zurecht-
kommen mit der Wirklichkeit ausschließlich auf Selbstbetrug und Selbsttäuschung beruht. Politi-
sche Journalisten erklären in aller Öffentlichkeit: „Der Kaiser ist nackt“. Für das Zerstören des so süchtig machenden Trugbildes werden sie im Anschluss von fast allen gehasst. Wobei die Herr-
schenden sich wiederum der Beherrschten bedienen und über die von ihnen massiv manipulierten Massenmedien das gemeine Volk dazu aufzustacheln, den Überbringer der Botschaft zu ächten, zu verunglimpfen oder zu attackieren, was den großen Vorteil hat, dass die vielen Spielarten der Men-
schenjagd keinen Platz mehr für die Frage lassen, was konkret hat denn der in Ungnade gefallene Journalist eigentlich recherchiert? Die Masse sehnt sich nach einem väterlichen Diktator. Dieser erinnert sie an die Zeit der eigenen Kindheit. Familiäre „Sicherheit“ in einem autoritären Umfeld. Ähnlich süchtig nach sektenhafter Führung lechzt der embeddete Journalist nach Anerkennung durch die Mächtigen. Er tut alles, um sich als loyaler Schüler vor ihnen bemerkbar zu machen. Der Kotau vor der Macht scheint deutlich attraktiver zu sein, als die eigentliche Aufgabe des Journalis-
ten – das Suchen nach der Wahrheit und die Kontrolle der Macht.“ Wolfgang Herles kritisiert den um sich greifenden Quotenwahn, kritisiert marktkonforme Berichterstattung, kritisiert seine Kolle-
ginnen und Kollegen, die sich „hochbuckeln“, die sich angepasst haben, und er fordert, dass bei je-
dem Medienkonsum der kritische Verstand eingeschaltet bleibt.1


1 Siehe https://kenfm.de/wolfgang-herles/. Siehe auch http://www.ossietzky.net/19-2016&textfile=3665.

Überraschung

Jahr: 2016
Bereich: Medien