Materialien 2019
Bestraft die Täter, nicht die, die Taten aufdecken
Im April 2010 veröffentlichte die Whistleblower-Plattform Wikileaks von Assange Hunderttausen-
de als geheim klassifizierte US-Dokumente. Dadurch wurden schlimme völkerrechtliche und kri-
minelle Verstöße der USA aufgedeckt, darunter das Video „Collateral Murder“, das ein Kriegsver-
brechen der Besatzung eines Kampfhubschraubers aus 2007 im Irakkrieg dokumentiert, bei dem 12 unbewaffnete Zivilisten, darunter 2 Reuters-Korrespondenten, mit einem Maschinengewehr ermordet wurden. Die beteiligten Soldaten waren nicht bestraft worden. Das Video ging um die Welt und sorgte für breite Empörung.
Die US-Army ermittelte die Soldatin Manning als angebliche Informantin und setzte sie kurz da-
nach fest. Dem damals noch nicht namentlich feststehenden Informanten verliehen IALANA und VDW als „Anonymus“ den Whistleblowerpreis 2011. Manning wurde dann von einem Militärge-
richt nach dem „Espionage Act“ von 1917 in einem skandalösen Verfahren zu der horrenden Strafe von 35 Jahren Gefängnis verurteilt (vgl. A.Falter in „Whistleblower in der Sicherheitspolitik. Awards 2011/13, S. 183 ff. ). Bis dahin waren erst 3 Whistleblower nach diesem Gesetz verurteilt worden, das mit völlig unbestimmten Formulierungen hohe Strafen einschließlich Todesstrafe androht. Nach internationalen Protesten begnadigte 2017 Obama Chelsea Manning nach 7 Jahren Haft im Männergefängnis.
Überraschend wurde sie vor 4 Wochen wieder festgenommen, jetzt in Beugehaft, weil sie es ge-
genüber einer Grand Jury abgelehnt hatte, über ihre Zusammenarbeit mit Julian Assange auszu-
sagen. Sie verwies auf ihre Angaben in ihrem eigenen Verfahren – mehr gebe es nicht zu sagen. Darauf wurde sie in unbefristete Einzelhaft genommen, bis sie sich zur Aussage bereit erkläre. Sie leidet unter Panikattacken und Depressionen – Folgen der langen Militärhaft.
Auch Assanges Gesundheitszustand ist bedenklich auf Grund des Ausnahmezustandes in der ecua-
dorianischen Botschaft.
Beide in Haft – die Whistleblowerin und der Mann, der Preise dafür verdient hat, dass er ihre bri-
santen Informationen vor 9 Jahren veröffentlicht hat, beide nach 7 Jahren Freiheitsentzug nun wieder festgenommen. Die Koinzidenz lässt ahnen, dass Schlimmes auf Assange zukommt für den Fall, dass er in die USA abgeschoben werden sollte: eine Anklage nach dem Espionage Act mit mindestens 35 Jahren Strafe.
Dagegen ist fast vergessen, dass die Enthüllungen damals zahlreiche kriminelle Rechtsbrüche ans Licht brachten, die zu Geheimnissen erklärt worden waren. IALANA ist der Auffassung, dass Rechtsbrüche ohnehin keinen Geheimnisschutz beanspruchen dürfen und die Offenlegung solcher Vorgänge von strafrechtlicher Verfolgung freigestellt werden muss.
Zwar haben die USA ihr Auslieferungsersuchen, das zur Festnahme Assanges geführt hat, mit einer weniger schweren Beschuldigung begründet, die nur mit maximal 5 Jahren Freiheitsstrafe geahn-
det werden könnte. Aber selbst wenn die britische Regierung die Auslieferung nur für diese Ankla-
ge genehmigen würde: wer möchte seine Hand ins Feuer dafür legen, dass solche Garantien nach internationalem Recht von den USA dann eingehalten würden?
Wir erinnern: 1999 hatte im Fall der deutschen Brüder LaGrand ein Gericht in Arizona die beiden wegen eines Bankraubs zum Tode verurteilt, ohne ihnen entsprechend internationalem Recht kon-
sularischen Beistand zu gewähren. Darauf reichte die Bundesrepublik Deutschland Klage wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs ein. Das US-Gericht wies die Klage ab. Auch die Klage beim Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten blieb erfolglos. Eine beim Internationalen Gerichts-
hof (IGH) eingereichte Klage führte zunächst zu einer einstweiligen Anordnung des IGH vom 3. März 1999, die Vollstreckung aufzuschieben, die allerdings von den US-amerikanischen Behörden nicht beachtet wurde. Die Brüder wurden hingerichtet. Im Jahre 2001 urteilte der IGH, dass die USA mit der Hinrichtung gegen internationales Recht verstoßen hätten.
Unter der Regierung Trump ist der Bruch internationaler Abkommen, sofern sie die Machtentfal-
tung der USA beschränken, zum Programm geworden. 2010 forderte Trump für Assange bereits die Todesstrafe („death penalty, or something“).
Die Auslieferung Assanges in die USA muss daher unbedingt verhindert werden. Statt dessen fordern wir seine sofortige Freilassung.
Die Verletzung der Meldeauflage im Jahr 2012 rechtfertigt keine Haftstrafe, zumal die schwedische Justiz den damaligen Haftbefehl längst aufgehoben hat.
Zu der jetzigen Anklage der USA erklärt Glenn Greenwald in „The Intercept“ am 12. April 2019: die Anklage versuche das zu kriminalisieren, was für Journalisten nicht nur erlaubt, sondern geradezu ethische Pflicht sei: den Whistleblowern zu helfen, ihre Quellen zu anonymisieren („the indictment seeks to criminalize what journalists are not only permitted but ethically required to do: take steps to help their sources maintain their anonymity“). Daher sei die Anklage als schwerer Angriff auf die Pressefreiheit zu qualifizieren.
Wir protestieren auch gegen das Vorgehen der Regierung Moreno bei Beendigung des Asyls.
Assange war 2012 Asyl in der Londoner Botschaft durch den damaligen Präsidenten Correa ge-
währt worden. Ergänzend wurde das Botschaftsgebäude abgesichert gegen ein befürchtetes illega-
les Eindringen seitens britischer Behörden. Nach der Wahl des neuen Präsidenten Lenin Moreno im Jahr 2017 änderte sich das Vorgehen: nun wollte die Regierung Assange aus der Botschaft raus haben. Zunächst wurde versucht, durch Erteilung der Staatsbürgerschaft und Aufnahme in den diplomatischen Dienst Immunität für eine Ausreise zu erreichen. Das scheiterte an der Weigerung Londons, Assange zu akkreditieren. Dann wurden die Bedingungen für den Aufenthalt für Assange so verschlechtert, dass er vielleicht freiwillig die Botschaft verlassen würde oder wegen seines Ge-
sundheitszustandes in ein Krankenhaus gebracht werden müsste und dort festgenommen werden könnte. Auch das führte nicht zum Erfolg.
Gestern wurde nun Assange ohne Vorwarnung die Flüchtlingseigenschaft aberkannt – unter Ver-
stoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die dafür strenge Voraussetzungen vorgibt, die nicht vorlagen. Weiter wurde die Pflicht zur vorherigen Anhörung mit Gelegenheit zur Einlegung von Rechtsmitteln verletzt. Dann ließ der Botschafter die britische Polizei ins Botschaftsgebäude ein, um Assange überraschend festzunehmen und gewaltsam nach draußen bringen zu lassen. Und zu-
letzt aberkannte Ecuador anschließend Assange die Staatsangehörigkeit, nachdem es den eigenen Staatsangehörigen zuvor ausgeliefert hatte, was z.B. in der BRD durch Art. 16 Abs. 2 Grundgesetz und auch in vielen Ländern Südamerikas ausdrücklich verboten oder zumindest undenkbar ist.
Wir fordern: Bestraft die Täter der geheim gehaltenen Verbrechen, nicht diejenigen, die sie aufdecken und veröffentlichen!
IALANA am 12. April 2019