Materialien 2015

Trauerrede für Konrad Kittl

Liebe Maria,
liebe Angehörige,
werte Trauerversammlung,

wir nehmen Abschied von Rechtsanwalt Konrad Kittl.

In den letzten Jahren haben wir, Maria, Konni und ich oft darüber geredet, was wir hier auf dieser schönen Erde eigentlich machen. Und ich erinnere mich sehr gut, wie Konni beschrieb, welche eigentlich unscheinbare Initialzündung ihn veranlasste, zu einem politisch engagierten Rechtsan-
walt zu werden. Ich erinnere mich deshalb so gut, weil es die Art war, in der er die Geschichte erzählte. Mir wurde klar, dass er seine Verletztheit und seine Empörung bis heute beibehalten hatte.

Es war Mitte der 50er Jahre. Die Franzosen führen einen vernichtenden Krieg gegen die Befrei-
ungsbewegung in ihrer Kolonie Algerien. Tausende werden umgebracht und gefoltert.

Konni, Student der Rechtswissenschaft, nimmt an einer Demonstration vor dem Französischen Konsulat in München teil. Auf seinem Schild steht „Freiheit für Algerien“. Die Polizei will die Kundgebung möglichst schnell auflösen, drängt die Studenten zur Seite.

Konni beginnt das Gespräch mit einem Polizeioffizier, erklärt ihm das Anliegen der Demonstran-
ten. Der Offizier schlägt einen Kompromiss vor. Die Studenten könnten, bevor sie gehen, ihre Ta-
feln und Spruchbänder vor dem Konsulat drapieren. Dort wären sie dann auch noch die nächste Zeit zu sehen.

Die Studenten lassen sich darauf ein. Beim Weggehen schaut Konni zurück und sieht, wie die Ta-
feln und Transparente auf einen herbei geholten Lastwagen geworfen und weggefahren werden.

Und so erlebt er, wie ein Vertreter des Staates in Uniform, dem er vertraut hat, ihn angelogen hat.

Hier liegt ein Schlüssel zum Verständnis von Konni Kittl Engagement. Es geht ihm um Wahrheit, natürlich um Wahrheit zwischen Individuen, das ist klar, aber viel weiter gefasst: Es geht ihm um Wahrheit im gesellschaftlichen Zusammenhang, es geht ihm um Wahrhaftigkeit, um diese innere Haltung eines Individuums, zu der nach Kant jeder Mensch fähig ist und dies auch sein sollte.

Konni hört an der Münchner Uni Vorlesungen von Juristen. Und mit der Zeit erfährt er, dass diese Juristen ihre Karriere im III. Reich gemacht haben. Mit der Zeit erfährt er, dass die selben Juri-
sten, die in der Nazizeit dem Regime und seinem Terror an vorderster Stelle zu Diensten waren, nach 1945 selbstherrlich über die Entschädigungen von KZ-Opfern befinden.

Der junge Mann, der zunächst glaubt, was ihm gesagt wird, beginnt zu zweifeln.

Mitte der 50er Jahre wird bei Demonstrationen in München paramilitärisch ausgerüstete Polizei eingesetzt. Es kommt zu bürgerkriegsähnlichen Unruhen. Mitten drin auch Konni Kittl mit einer Tafel „Für das verfassungsmäßig garantierte Demonstrationsrecht. Gewerkschaftlicher Arbeits-
kreis der Studenten“.

Es geht dem jungen Rechtsanwalt um Wahrhaftigkeit, an deren Mangel auch Freundschaften zer-
brechen können. Konni wirkt als Nebenkläger im zweiten Vera-Brühne-Prozess. Er hat genügend Indizien, um die Schuld der Angeklagten und ihrer Mittäter belegen zu können.

Einer seiner Freunde, ein Jurist, der später ein bekannter deutscher Autorenfilmer wird, dreht später einen Streifen über Vera Brühne. Konni sieht sich den Film an und sagt: „Vieles ist erlaubt, dramaturgische Höhepunkte setzen, Überzeichnen, subjektive Wertung, wenn sie als solche kenntlich ist, aber nicht die Verfälschung der Tatsachen.“ Die Freundschaft ist beendet.

Das Ganze klingt sehr ernst, aber ich will nicht vergessen, Konni war auch ein kreativer Kopf, der mit Worten spielte, ein Poet, der Absurdes sah und verknüpfte, dessen Fantasie weit über die Be-
grenzungen juristischen Hausverstandes gingen.

Typisch für Konni: 1981 kommt es in der Ära Kiesl zu einer Reihe von Hausbesetzungen. Die Münchner Polizei lässt sich prophylaktisch Blanko-Strafanträge von Hausbesitzern für den etwa-
igen Fall einer Hausbesetzung geben. Auch die Landeshauptstadt München hat bei zwei ihrer leerstehenden Anwesen in der Steinstraße 17 und Heidelärchenstraße 23 solch eine Blanko-Straf-
anzeige der Polizei auf deren Wunsch übergeben. Nachdem diese Blanko-Strafanträge in der Öffentlichkeit bekannt werden, hinterlegt Rechtsanwalt Kittl, der bekannte Kritiker des überbor-
denden Individualverkehrs, bei der Staatsanwaltschaft einen Blanko-Strafantrag, gültig – ich zitiere – „bei der Gefährdung von Leib und Leben von Herrn Kittl im Straßenverkehr“, der auch formgültig entgegengenommen wird.

Als gegen SDS-Student Otto Schlemper, der am 8. Mai 1967 an einem Sitzstreik vor dem amerika-
nischen Generalkonsulat beteiligt war und am 8. Februar 1968 im Amerikahaus gegen den Viet-
namkrieg protestierte, verhandelt wird, meint Rechtsanwalt Konrad Kittl, der viele Demonstranten verteidigt:

„Hier wird die Tradition einer unsinnigen Rechtssprechung gepflegt. Denn nach dem gesunden Menschenverstand, den man gelegentlich auch bei der Auslegung der Gesetze anwenden sollte, setzt eine Gewalttätigkeit eine aggressive Handlung voraus, die hier nicht vorliegt. Es sei abwegig, die temporäre Behinderung eines Fahrzeuges als Gewalttätigkeit zu bezeichnen, die den Landfrie-
den störe, und dies gar in einem Maß, dass ein Gesetz angewendet werden müsste, das mit Zucht-
haus bis zu zehn Jahren drohe.“

Das Urteil vom 21. Juni lautet vier Monate Gefängnis und nicht nur das: Der Student darf nicht mehr weiterstudieren.

Rechtsanwalt Kittl ist empört, dass die Wahrhaftigkeit des Grundgesetzes in der traurigen Verfas-
sungsrealität permanent mit Füßen getreten wird. Er weist immer wieder darauf hin, dass die Artikel 20 und 28 des Grundgesetzes keinen bestehenden Zustand beschreiben, sondern als Ziel-
vorgabe anzusehen sind. Es geht um die Schaffung einer gerechten Sozialordnung, von der wir heute weiter entfernt sind denn je. Aber Papier ist geduldig.

Kittl verteidigt im November 1968 den Studenten Thomas Schmitz-Bender. Der Justizpalast ist wie eine Festung abgesichert. Kittl protestiert als erstes dagegen. Die Öffentlichkeit sei ausgeschlossen, da kaum ein Durchkommen durch die Absperrungen möglich sei. Im Zuschauerraum befände sich außerdem eine erhebliche Anzahl von Staatsbeamten in Zivil.

Der Staatsanwalt begründet diese Maßnahmen, indem er aus einem Flugblatt vorliest: „Merkt euch: Deutsche Richter sind keine großen Lichter. Deutsche Staatsanwälte verprügeln wir in Bälte. Die Justiz ist eine Hure, bespringt sie. Kampf dem Justizterror!“

Achselzuckend erhebt sich daraufhin Rechtsanwalt Kittl und bemerkt: „Wenn es einen Justizterror gibt, muss man ihn bekämpfen.“

Erregt springt daraufhin der Anklagevertreter auf und ruft „Ich verwahre mich dagegen!“

Ungerührt gibt Kittl zurück: „Ob ein Justizterror vorliegt, ist eine Wertungsfrage.“

Schmitz-Bender wird am 27. November in der Revision wieder zu acht Monaten Gefängnis verur-
teilt. Kittl meint zum Urteil: „Der Geist, der hinter diesen politischen Prozessen steht, ist der Autoritätsgeist der Wilhelminischen Ära“.

In den letzten Jahren hat Konni eine autobiographische Schrift verfasst. Wir haben darüber oft miteinander gesprochen.

In der Beschreibung der Welt waren wir uns meistens einig. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, darin waren wir uns oft uneins. Konni war bis zum Schluss ein überzeugter Sozial-
demokrat. Er war 65 Jahre Mitglied in der SPD. Aber er verstand die Beweggründe der Außer-
parlamentarischen Opposition, auch wenn er andere Schlussfolgerungen zog. Dazu gehört auch, dass er gerade in der letzten Zeit oft mit seiner Partei unzufrieden war.

Rechtsanwalt Kittl lebte äußerst bescheiden, er war persönlich zurückhaltend, verfolgte keine eigenen Interessen. Lob und Anerkennung wehrte er ab. Es sei selbstverständlich, was er mache.

Was er machte? Er stand uns bei. Bei vielen vom SDS, von der APO, bei den Antiautoritären, den Autonomen. Auch wenn die Aussichten hoffnungslos waren. Er stand uns bei, obwohl wir die Lumpen waren, der Abschaum, die Linksradikalen.

Konni, von ganzem Herzen danke ich Dir, dass Du mit Klugheit und mit Witz viele von uns vertei-
digt hast, auch wenn Du wusstest, dass wir auf verlorenem Posten standen und wir Deine Anwalts-
kosten oft nicht bezahlen konnten.

Du warst auf unserer Seite und das werden wir Dir nie vergessen.

Du hast einmal gesagt:

„Wir müssen uns nicht einbilden, wir hätten es schon geschafft. Tatsächlich gibt es noch viel zu tun. Wir sind heute von unseren Zielen weiter entfernt als je zuvor.“

Konni hat sich immer politisch engagiert nicht nur in seiner Partei. Dieses Engagement war für in wesentlich. Und dies war auch eine wichtige Grundlage für Eure Beziehung, liebe Maria. Ihr habt Euch gegenseitig sehr viel Kraft gegeben, Ihr ward 45 Jahre glücklich zusammen und habt Euch sehr geliebt.

Ich wünsche Dir, Maria, sehr viel Kraft für diesen Abschied von unserem Konni.


Günther Gerstenberg

Überraschung

Jahr: 2015
Bereich: Bürgerrechte