Materialien 2019
Persönliches zur Kündigung des JS-Kontos
An die Bank für Sozialwirtschaft
3. Juli 2019
Sehr geehrte Frau Rüth, sehr geehrter Herr Professor Schmitz,
Sie haben unser Konto, das der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, gekündigt. Warum dies faktisch ein großer Fehler war, können Sie sowohl unserem Statement dazu als auch den zahllosen Protestschreiben entnehmen, die Sie mittlerweile erreicht haben. Dem ist kaum noch etwas hinzuzufügen, außer vielleicht noch ein persönliches Wort, meine persönliche Ge-
schichte. Vielleicht begreifen Sie dadurch, in welche Sackgasse Sie sich da hinein begeben haben.
Mein Vater, der als 18-Jähriger von seinem Vater aus Chemnitz nach Palästina gerettet worden war, brachte meine Mutter und mich Anfang der 70er Jahre zurück nach Deutschland. Er lehrte mich, dass Deutschland das Land der Dichter und Denker sei, dessen dunkelstes Kapitel der Ver-
gangenheit angehöre, dass die Deutschen, die seinen Vater und viele andere Familienmitglieder ermordet hatten, aus dem Holocaust gelernt hatten: Nie wieder! Daher gab er mir mit auf den Weg, ich dürfe niemals vergessen, müsse aber lernen zu verzeihen. Und er brachte mir bei, dass wirklich alle Menschen gleich seien: Auch ich hier als Israelin, als Jüdin unter Deutschen sei ganz genau gleichwertig und gleich zu behandeln, so wie auch ich alle Menschen gleich zu behandeln hätte.
Viele Jahre später erst lernte ich die Menschenrechte kennen und das deutsche Grundgesetz — und das Leben als Erwachsene in Israel, wohin ich 2007 mit meiner Familie zog, um im Land meiner Sehnsucht zu leben. Doch mein Geburtsland hatte sich in einen Staat mit zwei Gesichtern verwan-
delt: Einem weitestgehend demokratischen für seine jüdischen Bürger*innen (wie mich), in dem es sich herrlich leben lässt, und einen Besatzerstaat für alle Nicht-Juden, für die das Leben graduell unterschiedlich schlimm ist. Den palästinensischen Israelis geht es bei aller Diskriminierung ver-
gleichsweise gut — verglichen mit den sehr diskriminierten Ost-Jerusalemern, den extrem unter-
drückten, schikanierten, ihrer Freiheit und Selbstbestimmung in fast allen Lebensbereichen be-
raubten Menschen in der Westbank oder gar mit den zwei Millionen Gazaner*innen, die tagtäglich die Hölle auf Erden erleben.
Ich erzähle Ihnen das aus eigener Anschauung — seit 2009 lebe ich wieder in Deutschland, bereise mein Geburtsland und Palästina aber regelmäßig — , und es schmerzt mich zutiefst, Ihnen als Deutsche, als Nicht-Juden, all dies mitteilen zu müssen. Glauben Sie ernsthaft, ich mache dies aus Selbsthass? Glauben Sie, es macht mir oder uns anderen Juden und Jüdinnen, die sich bei der JS engagieren, Freude, über die Untaten der israelischen Regierung zu sprechen? Können Sie sich nicht vorstellen, dass wir — jüdische und israelische Künstler*innen, Akademiker*innen, Profes-
sor*innen und viele andere — uns schon seit Jahren Tag und Nacht den Kopf darüber zerbrechen, wie dem Unrecht beizukommen sei? Wie wir unser Land, das im Namen von uns Juden in die Welt spricht, von seinem Irrweg abbringen können und ihm damit einen Liebesdienst erweisen? Wie wir den Palästinenser*innen, die sich der Gewaltfreiheit verschrieben haben, zur Seite stehen können? Haben wir nicht klar auf unserer Website formuliert, dass wir uns von jeder Form von Gewalt dis-
tanzieren? Konkret: Wir wollen nicht, dass Steine oder gar Bomben geworfen werden, wie in den beiden ersten Intifadas und leider danach auch immer wieder geschehen. Daher unterstützt die JS in ausgewählten Fällen, die mit unseren Prinzipien einhergehen, bestimmte BDS-Aktivitäten. Wie können Sie es wagen, uns deswegen als antisemitisch zu diffamieren? Wie können Sie es wagen, sich als Dienstleister in die politische Debatte einzumischen und uns damit faktisch zu boykottie-
ren? Was Sie tun, ist vorauseilender Gehorsam — aber ich frage Sie: Steht bei Ihnen die SA vor der Tür, so wie sie bei den Nachbarn meines Großvaters vor der Tür stand, die ihn unter Lebensgefahr versteckten? Und die ihn dann der Vernichtung preisgeben mussten, um ihr eigenes Leben zu retten?
Nein, bei Ihnen steht der Anspruch der israelischen Regierung vor der Tür, keine noch so legitime Kritik an ihrer Politik zuzulassen, und Sie lassen sich vor diesen Karren spannen, weil die israeli-
sche Regierung es fabelhaft versteht, Ihr schlechtes Gewissen zu aktivieren und mit Ihrer „histori-
schen Verpflichtung“ zu spielen. Doch Ihre historische Verpflichtung, Frau Rüth und Herr Prof. Schmitz, besteht als deutsche Bürger*in darin, das "NIE WIEDER!“ ernst zu nehmen und nichts und niemanden dabei zu unterstützen, andere Menschen zu diskriminieren — auch keine israe-
lisch-jüdische Regierung! Sie können an den monströsen Verbrechen des deutschen Kollektivs nichts wieder gut machen, aber Sie können dafür sorgen, dass diese Verbrechen niemals vergessen werden und diskriminierendes rechtes Gedankengut nie und nirgends auch nur ansatzweise seinen Samen säen kann.
Vor allem aber steht es Ihnen nicht zu, über uns Jüdinnen und Juden zu urteilen oder überhaupt auch nur in Erwägung zu ziehen, hier sei Antisemitismus im Spiel. Was für eine Verhöhnung! Ich erwarte hierfür eine Entschuldigung.
Der Akt, dass eine deutsche Bank einem jüdischen Verein im Jahre 74 nach dem Holocaust aus politischen Gründen das Konto kündigt, wird eines Tages als Akt von Antisemitismus in die Ge-
schichtsbücher eingehen. Es liegt in Ihrer Hand, das zu verhindern. Dass Sie seitens jüdisch-isra-
elischer Organisationen, vor allem seitens der rechts-nationalistischen israelischen Regierung Beifall dafür erhalten, sollte Ihnen zu denken geben.
Mit freundlichem Gruß,
Nirit Sommerfeld