Materialien 2019
Krailling
Am 27. Juni gab es einen Polizeieinsatz in einer Unterkunft nahe Krailling. Nein, eigentlich waren es drei Polizeieinsätze. Frühmorgens gab es eine Razzia unter Beteiligung von mindestens dreißig Beamten und einem Hund. Nach diesem Einsatz beschwerte sich einer der Bewohner, ein junger Afghane, der während der Razzia auf der Arbeit war, lautstark über die Durchführung bei der Verwaltung. Der Verwalter fühlte sich bedroht, rief die Polizei, es kam zum Einsatz Nummer zwei, von der lokalen Polizeiinspektion in Planegg.
Der Afghane stritt mit der Polizei herum, wurde aber nach Aussagen eines deutschen Augenzeugen nicht handgreiflich, wurde aber von den drei Polizisten zu Boden gebracht. Seine alte Mutter, 73 Jahre, kam hinzu, wollte ihrem Sohn helfen, wurde aber, wieder nach Aussage des Augenzeugen, von einem der drei Polizisten gepackt und durch die Luft geschleudert. Beim Aufprall auf den Bo-
den brach sie sich den Arm. Ihr Tochter kam hinzu. Mehrere andere Bewohner standen herum, griffen aber laut Augenzeugen nicht ein. Die Polizisten brachten den Afghanen zum Auto und fuh-
ren mit ihm davon.
Neun Männer aus der Unterkunft waren indes in Richtung Krailling unterwegs, um sich bei der Gemeinde zu beschweren. Auf dem Weg dorthin kam es schließlich zu Einsatz Nummer drei: Eine Hundertschaft USK Polizei rückte an, nahm die neun Personen fest, konfiszierte die Handys, nahm die Personen schließlich mit nach München und ließ sie nach einer erkennungsdienstlichen Be-
handlung am späten Abend wieder frei.
Im Münchner Merkur steht am nächsten Tag: „Update 18.22 Uhr: Krailling – Beamte der Planeg-
ger Polizeiinspektion führten am Vormittag eine routinemäßige Begehung der Unterkunft durch und überprüften die Bewohner. Als dies abgeschlossen war, fühlte sich laut Polizeipräsidium München „ein Bewohner in seiner Ehre verletzt“. Er habe die Wachleute bedroht und körperlich angegangen. Diese riefen wiederum die Polizei. Eine Streife rückte an und nahm den aggressiven Bewohner fest. Das nahmen neun weitere Bewohner der Containerunterkunft zum Anlass, sich mit dem Festgenommenen zu solidarisieren. Sie bewarfen die Beamten mit Steinen und Flaschen. Diese zogen sich rasch ins Auto zurück und fuhren mit dem Festgenommenen, zu dessen Nationa-
lität keine Angaben gemacht wurden, davon. Die Beamten lösten Alarm aus, ein größerer Unter-
stützungseinsatz wurde in Gang gesetzt, um wegen Verdachtes auf versuchte gefährliche Körper-
verletzung die neun Personen festzunehmen, die Steine und Gegenstände geworfen hatten … Laut Polizeipräsidium München kam es auch beim Großeinsatz zu Rangeleien. Hierbei stürzte eine 73-jährige Bewohnerin der Unterkunft und erlitt einen Armbruch. Sie wurde in ein Krankenhaus eingeliefert. Drei Polizeibeamte wurden leicht verletzt. Die neun Personen, die sich mit dem zuerst Festgenommenen solidarisiert hatten, wurden zur Vernehmung ins Polizeipräsidium München gebracht. „Die Ermittlungen laufen“, heißt es aus der Pressestelle … Der Kraillinger Helferkreis Asyl allerdings berichtet von Zeugen, die eine andere Vorgehensweise der Polizei beobachtet hätten. Eine Stellungnahme werde vorbereitet.“ Auch „Hallo München“ übernimmt die Polizei-
berichterstattung, ebenso „Würmtal.Net“. Der Vorwurf an die neun festgenommenen Personen lautet: Schwerer Landfriedensbruch.
Soweit so bekannt. Ein eigentlich belangloser Streit eskaliert, es kommt eine Hundertschaft oder zwei, um den „Landfrieden“ wieder herzustellen. Was hier anders ist: es gibt engagierte Unterstüt-
zer*innen, die einen Anwalt engagieren und den Bayerischen Flüchtlingsrat informieren. Die Un-
terstützer*innen sammeln Zeugenaussagen, Fotos und Videos von den Vorfällen, schreiben eine Pressemitteilung, in der sie die Ereignisse richtig stellen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen die Polizisten von Planegg, die, so ein Augenzeuge, den Armbruch der alten Frau direkt her-
beiführten. Inzwischen hat jeder der Beschuldigten einen Anwalt, insgesamt sind jetzt 12 Anwäl-
t*innen eingeschaltet, um die Rechte der Beschuldigten zu wahren.
Was hier anders ist als bei anderen, oft massiven Polizeieinsätzen, ist, dass es deutsche Augenzeu-
gen gibt. So können die morgendliche Razzia, das Verhalten der Planegger Polizei, das zum Arm-
bruch der Frau führte (das „Gerangel“, laut Polizeibericht), und auch die Festnahme und das Ein-
behalten der Handys der neun Personen hinterfragt werden. Ein Erfolg immerhin: die SZ schrieb in ihrer Starnberger Ausgabe gleich von unterschiedlichen und widersprüchlichen Darstellungen der Abläufe, und Würmtal.Net nahm die erste Meldung vom Netz, und stellte stattdessen die Pres-
seerklärung der Initiative ein.
So einfach kann es sein, der Kriminalisierung von Geflüchteten etwas entgegenzusetzen. Das geht aber nur da, wo es ein gutes Verhältnis von Geflüchteten und Ehrenamtlichen gibt. Das Innenmi-
nisterium weiß schon, weshalb in Ankerzentren Ehrenamtliche nicht erwünscht sind.